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[19] Der Vater ist zu dem Churfürsten Friedrich von Sachsen gereist, mit einigen Freunden; sie wollen ihn fürs Heil des Vaterlandes bewegen, die Kaiserkrone anzunehmen. Möge es ihnen gelingen! Kein edleres Haupt kann sie schmücken,[19] denn es schlägt unter ihm ein reines menschliches Herz. Dir meine Bertha, soll die Einsamkeit dieser Tage geweiht seyn.

Du begehrst zu wissen, wie es denn eigentlich mit mir stehe? Woher diese Abneigung gegen die passendsten ehrsamsten Eheanträge? Wohl fühltest Du, daß mein Herz in die Ferne schweife. Du fürchtest, das Lesen der welschen Geschichten habe meinen Sinn nach einer Traumwelt gekehrt, der keine Gestalt dieser Erde gleichen kann. Ich werde den Himmel nicht herabziehen, sagst Du, und mich einst vergebens nach den frischen Blüthen, die die Wahrheit des Lebens uns bietet, und die ich jetzt verschmähe, zurücksehnen.

Wenn es so werden sollte, so werden könnte, meine Liebe, so muß ichs ertragen. Jetzt lebt der Himmel in meinem Herzen, in einem hohen, edlen Männerbilde, – ihm muß ich mich weihen, sollte es auch einst als ein Schatten vor mir zerrinnen, es ewig anbeten, denn einmal erhellte sein Glanz meine Seele.[20]

Du hast Dir keine dringende Frage erlaubt, mit zartem Sinn vermieden, das Heiligthum meines Herzens zu berühren, mein Sehnen in die Ferne, mein Stummseyn oft ertragen. Nur, da Deine Furcht um mein verfehltes Geschick Dich zur Rede gereitzt, überwinde ich alles, was mich zurückhielt, was ich nicht zu nennen vermochte. Thue einen klaren Blick in die Seele Deiner Anna, die sich, obgleich nach langem Zögern, doch gern vor Dir enthüllt.

Du weißt, wie die Jugendfreundschaft meiner Mutter, mit der Herzogin von Bayern, der Schwester unsres verstorbenen Kaisers, mir die Ehre zuzog, im Gefolge ihrer Tochter, der Prinzessin Susanna, zu seyn, als sie zur Hochzeitfeier mit dem Markgrafen von Brandenburg, nach Augsburg zog. Ich erfreute mich der Heiterkeit unsres Zuges, durch die schönen Auen Bayerns und Schwabens. Alle Fröhlichkeit kam aus dem Herzen, denn das Herz der Braut schlug dem Geliebten warm entgegen. Mehr als alles Andere erfreute mich das Anschauen[21] unsres Kaisers. Seine Ritterthaten, seine Liebe mit der zu früh verlornen Maria von Burgund, sein Heldensinn, mit edler Milde gepaart, von dem mir der Vater von Jugend an erzählte, machte ihn mir zum Gegenstand der lebendigsten Verehrung. Mehr als alle andre Geschichten und Mährchen, ergötzten mich die Thaten eines edlen Mannes unsrer Zeit, und ich träumte mir manchen stillen Abend auf unsrer Burg, die Freude, ihn zu sehen.

Mein Herz wallte ihm entgegen, als einer längst bekannten Erscheinung, als er im köstlichen Schmucke einhergeritten kam, umgeben von dem Bräutigam und vielen Fürsten und Herren, um die Prinzessin an der Brücke vor Augsburg zu empfangen. Eine ältere Rittersfrau, die mit uns auf dem Wagen saß, nannte uns die Namen der Begleiter. Die heitern Lüfte ertönten vom Schall der Trompeten, die Sonne umleuchtete mit hellen Strahlen den festlich geschmückten Reiterhaufen, die Glocken ertönten vom hohen Dom. Es war ein feierlicher Augenblick,[22] und die Brust schwoll in einer Fülle des neuen Lebens. Als an der St. Ulrichs-Kirche der Kaiser vom Pferd stieg, die Prinzessin von ihrem Wagen hob, um sie und den Bräutigam an seinem Arm zur Trauung zu geleiten, versammelten sich die Ritter des Gefolgs auch um unsern Wagen, uns diesen Dienst zu leisten. Die schönste Männergestalt, die ich je gesehen, stand seitwärts etwas zurück, mit einer gewissen holden Schüchternheit, die mich sogleich unglaublich anzog. Ich fürchtete, ein andrer Ritter möchte mir den Arm bieten, und drängte mich kindisch zurück. Glücklicherweise ergriffen sie nur meine entgegenkommenden Gespielen, und der Erwünschte nahte sich mir. Mein Gewand hatte sich in eines der Räder verwickelt, sittig und fein erwartete er, bis ich es daraus befreit hatte; aber als die Pferde ungeduldig fortdrängend, während meines Aussteigens, den Wagen vorwärts zogen, faßte er mich rasch in seinem Arm auf. Die Puffen seines Ermels streiften an meiner Wange hin, und als ich[23] meinen Blick dankend gegen ihn aufschlug, lächelte es mir wie Himmelsglanz aus seinen freundlichen lichtbraunen Augen entgegen. Er bot mir den Arm, mich zur Kirche zu führen, und sein zartes Bemühen, mich im Gedräng zu beschützen, indem wir dem Zuge nacheilten, schien mir so liebenswürdig. Wir hatten keine Worte gewechselt, aber während der Trauungs-Ceremonie stand er mir gegenüber. Selten wagte ich meine Augen auf ihn zu richten, aber immer fand ich die Seinen. Die ernsten Worte der ewigen Verbindung zweier Herzen und Leben, hatten mich nie tiefer gerührt; ich suchte mich im Gebet für das Glück der guten Fürstin Susanna zu sammeln, hielt meine Augen hinter dem Gebetbüchlein verborgen, aber sein Blick stand vor mir, und alle Lettern schienen mir übergoldet von seinem Strahl. Einmal, als ich nach ihm aufzuschauen wagte, fiel ein Sonnenstrahl gerade auf sein schön gelocktes Haupt, die braunen Locken glühten wie Gold, es war mir, als wenn ein Heiligen-Schein sich[24] um ihn herzöge. Es ist sonderbar, aber ich sah seitdem die Glorie immer um ihn.

Ich bebte, als er sich dem Kirchenstuhle näherte, mich zurükzuführen, meine Kniee zitterten, ich mußte mich ans Geländer halten, aber als ich seinen Arm ergriffen hatte, war mirs, als durchdräng mich eine neue Kraft, fest gieng ich durch den langen Säulengang der Kirche. Stolz fühlte ich mich an der Seite des Schönsten, denn keiner der andern Ritter, die meine Gespielinnen geleiteten, war mit ihm zu vergleichen. Lange giengen wir durch das Volk, das an beiden Seiten gedrängt stand, dem Zuge zuschauend. Freundlich grüßend gieng er, ich sah, daß er aller Augen auf sich zog. Ein schönes Paar! flüsterten einige Weiberstimmen dicht neben uns, und eine glühende Röthe, ich fühlte es, flog über meine Wangen. Sein Auge ruhte auf mir, ich wußte es, ohne daß ich wagte, das meine aufzuschlagen; mir schien's sogar, als schlöß er meinen Arm fester an den seinen, oder war es das vordringende Paar hinter uns, das[25] diese Bewegung veranlaßte? Bei einer Wendung des Zugs gieng das Brautpaar an uns vorüber. Zum erstenmal vernahm ich den süßen Laut seiner Stimme, und immer noch tönt er an mein Herz – in welch sinnigen Worten: »Glücklich sind die, fürwahr zu nennen, wo der Priesterseegen die Herzen wahrhaft mit dem Leben vereint.« Und sollte das je anders seyn? wollte ich sagen, aber meine Brust schlug hoch, meine Lippen bebten, kein Wort konnte hervordringen. Wunderbar schien er dennoch die Stimme meines Innern vernommen zu haben, und fuhr fort: Ja, es giebt Seelen, die einzig in Wahrheit und Liebe zu leben vermögen, ihre unwiderstehliche Gewalt thut sich beim ersten Blick kund! Sein Ton war weicher, inniger an mich gerichtet. Wir standen am Wagen, ohne daß ich ein Wort zu sagen vermocht, ich zürnte mir selbst, fürchtete, daß er mein Schweigen als kindische Blödigkeit des Landmädchens deuten möchte. Mit derselben zarten Sorge hob er mich in den Wagen. Nur ihn sah ich fortan im bunten[26] Gewimmel des Weinmarktes, dem Wehen seines Helmbusches folgten meine Augen; unachtsam auf alles Andre, was um mich her vorgieng, saß ich stumm und in mich gekehrt, und fühlte das Walten einer Gottheit über mir.

Beim Mahl, beim Tanz, umgab er mich mit der feinsten Aufmerksamkeit und Sorgfalt, aber unüberwindlich blieb meine Schüchternheit gegen ihn.

Ein dem Vater bekannter Ritter nahte sich mir, und sprach einige spaßhafte Worte, ich erwiederte sie mit Heiterkeit. Zum erstenmal hörte ich den Ton Ihrer Stimme, flüsterte er mir ins Ohr –, warum war der süße Laut nicht an mich gerichtet? ich beneide ihn fremden Ohren.

Schön vor allen Andern war er beim Ritterstechen mit dem Markgrafen; so voll Hoheit und Anmuth, so des Sieges gewiß, trug ihn das stolze Roß, als fühlte es die Schönheit seines Reiters. Auch waren alle Augen auf ihn gerichtet, und alle Herzen flogen ihm zu, – und mich suchte sein Auge unter dem Kreis[27] glänzender schöner Frauen – wagte nur einen bescheidenen Blick –, so fällt ein Blitz der wetterleuchtenden Wolken in eine Frühlingslandschaft. Es war etwas Gehaltenes, Ernstes, fast Melancholisches in seinen Zügen, in seiner ganzen Haltung, und als die ganze Gesellschaft in lautes Gelächter über die Scherze des lustigen Raths von Rosen ausbrach, umzog nur ein leises Lächeln die schönen Wangen.

Nicht ungern sah ich beim Tanz die Blicke der Zuschauer auf uns geheftet, und mit Vergnügen hörte ich mich schön nennen, nur um seiner Wahl nicht unwerth zu scheinen. Selbst der gute Kaiser gab ein Zeichen des Beifalls, als wir bei ihm vorbei walzten, sanft schlug er mich auf die Schulter, und sagte: Du liebreizend Kind! In seeliger süßer Freude verflogen die Stunden neben ihm. – Ich ermüde Dich wohl mit Weitläuftigkeit, meine Bertha? So gern wiederhole ich mir selbst jeden Augenblick jener Zeit, doch wie matt ist jede Erzählung! Wie kann man den Zauber beginnender[28] Liebe aussprechen? Eben so wenig wie den werdenden Frühling, der jeden Moment neue Blüthen erschließt. Er ist da, so die Liebe, ein Kranz himmlischer Rosen – wir wissen nicht wie sie kam. Dacht' ich an eine Zukunft in diesen sonnenhellen Tagen? Nein, Bertha, nur an den nächsten Morgen dacht' ich, wenn Einsamkeit der Nacht mich in der stillen Kammer umfieng. Dann sind wir glücklich, wenn das Nächste unsre Seele füllt. Nach den Sternen, die auch ihn umflammten, sah ich auf, und den ersten Sonnenstrahl grüßte mein entzücktes Herz, denn er würde mir seine Gestalt umleuchten.

Eine einsame Stunde mit meiner Fürstin Susanna, erschloß die tiefern Wünsche meines Busens. Die Ritter zogen mit dem Kaiser auf die Jagd; ich stand neben ihr auf dem Balkon, wir sahen sie an uns vorüberreiten, ihr Auge folgte dem Gemahl, und wendete sich dann in seinem sanften Freudenglanz auf mich, als eben Ottomar von Rheinfeld vorbei ritt, und sie und mich edel und anmuthsvoll grüßte. Susanna[29] hatte die Röthe, die meine Wangen überflog, und das höhere Schlagen meines Herzens bemerkt, sie umfaßte mich und führte mich ins innerste Gemach. Anna, ich bin glücklich, sehr glücklich, denn nichts gleicht der Wonne, sich dem Geliebten, lang Ersehnten, ganz und für ewig vereint zu fühlen, nur für ihn, in ihm zu leben, vor dem allsehenden Auge des Himmels. Billig fürchtet die Jungfrau, ihr volles Herz zu zeigen, und strebt ängstlich den Schatz ihrer Liebe und Treue zu verbergen. Süßes, seeliges Loos des Weibes, dem Mann ihrer Liebe ganz anzugehören, in Liebesfülle ohne Maaß und Ende, vor seinen Augen an seinem Herzen leben zu dürfen! Gutes Kind, ich ahne, auch Dich hat Liebesmacht umfangen, und fürwahr, Du hast schön gewählt, denn selbst neben meinem Gemahl und Herrn, scheint Rheinfelds hohe Gestalt, und sein sittiges edles Wesen, mir liebenswerth.

Läugnen half hier nichts, ich sank auf ihre Hand meine glühenden Wagen zu verbergen,[30] und nun wob sie, wie die freundliche Hoffnungsgöttin, mit holden Zauberworten eine Zukunft, mit himmlischen Gestirnen des Glücks und der Vereinigung mit ihm übersät, um mich her. Er mein Gemahl und Herr – O Bertha! kaum konnte mein Herz diese Fülle des seeligsten Traums fassen!

Eines ihrer Fräuleins, in den Rheinlanden wohl bekannt, trat herein. Susanna brach die Unterhaltung ab, und knüpfte eine leichtere und scherzende an. Die Ritter wurden gemustert. Es ist schade, sagte das Fräulein, daß der Schönste und Tapferste kein Gegenstand unsrer Wünsche seyn kann. Und welchen haltet ihr dafür? fragte Susanna. Ottomar von Rheinfeld, sonder Zweifel, erwiederte das Fräulein – aber sein Vater hat ihn zum geistlichen Stande bestimmt; nur auf kurze Zeit ist ihm vergönnt, das frohe Ritterleben zu führen. Er hat eine gelehrte Erziehung genossen, und ob auch kühner Jugendmuth und Lust, ihn mehr zu Waffen thaten, als zu jener stillen Bestimmung reißt, so[31] glaubt man dennoch, er werde die Wünsche der Eltern erfüllen. Seine Geisteskräfte, seine großen Verbindungen, zeigen seinem Ehrgeitz die höchsten Würden der Kirche im Hintergrund. Gleich einer Eiseswoge umdrang es mein Herz, meine Pulse stockten, ich erblaßte, hatte Mühe mich auf meinen Füßen zu erhalten, der Boden schien unter mir zu entfliehen, und gleich einer dunkeln Wolke lag es vor meinen Augen. Susanna hielt mich, und suchte die Aufmerksamkeit der unbarmherzigen Erzählerin von mir abzulenken. Das wird wohl noch anders werden, sagte sie, zu muthigen Ritterthaten ist dieser Mann geboren, wie sollte er das Brevier dem Schwerte vorziehen? Sonderbare Umstände liegen dieser Begebenheit zum Grunde, fuhr das Fräulein fort. Als neugebornes Kind lag Ottomar halb todt im Arm seiner Mutter. Die Aerzte hatten ihn aufgegeben; der Tod schien die kleinen Glieder mit seiner Eiseskälte schon zu fesseln, als die Untröstliche ein Gelübde that, das Kind der Kirche zu weihen, wenn die heilige[32] Jungfrau es ihr errettete. Das Leben kehrte alsobald zurück, die fromme Mutter wurde wundersam getröstet, und sie, wie der Vater, blieben des Gelübdes eingedenk, und bereiteten ihn von Jugend auf dazu vor. Bemerktet Ihr nicht schon, meine Fürstin, wie oft in Freud und Lust ein finstrer Ernst Ottomars Züge umhüllt, wie es ihn an das Gelübde mahnt, wenn er dessen im frohen frischen Lebensmuth vergaß?

Susanna ergriff einen Vorwand mich hinwegzuführen; in der freien Luft im Garten wurde mir's leichter, meine Thränen flossen unaufhaltsam. Ihr liebes Herz gab ihr tröstende Worte ein, von dem Einfluß, den die Gunst ihres Gemahls beim Churfürsten haben könne, wie dieser die Eltern bewegen werde, Ottomar frei zu lassen, aber mein Herz blieb wie von einem eisernen Netz des Schmerzes umstrickt, alle Blüthenhoffnungen fielen von ihm ab. O Fürstin, rief ich, ist dem so, so nehme auch mich eine Freistatt in stillen Klostermauern auf; nach dem, was ich gefühlt, kann ich keines andern[33] Mannes seyn! Die Gute ermüdete nicht, Trostgründe aufzusuchen, versprach der Sache auf den Grund zu kommen, mit der zarten Schonung, die ihr mein offnes Geständniß und edle Frauensitte gebot, die der Weiblichkeit Geheimniß sorgsam im verschloßnen Busen bewahrt.

Als der Abend uns wieder mit den zurückgekehrten Jägern vereinte, als die Macht seiner Gegenwart mich umglänzte, wurde es stiller in mir. Welche Zaubergewalt ist in der Nähe des Geliebten? sie beschwichtigt Furcht und Hoffnung! Nur von Zeit zu Zeit war es mir, als dränge ein Gespenst der Nacht auf mich zu, mit dem Rufe: scheide von Freud' und Leben, – die Welt hat kein Glück mehr für Dich!

Das Ende der Feste nahte heran. Susanna ergriff einen einsamen Augenblick, zog mich zu sich und sagte: ich läugne Dir nicht, meine Anna, daß das Geschwätz meines Hoffräuleins nicht ohne Grund ist, aber hoffe auf meine Freundschaft, auf die thätige Mitwirkung meines[34] Gemahls. Solltest Du unglücklich seyn, wenn Deine Freundin in Freude und Liebe lebt? Hoffe, war ihr letztes Wort, als sie mir einen goldnen Anker, mit einem Kettlein um den Hals legte.

Ernst und Trauer lag um uns Alle, bei den letzten Abendvergnügungen. Ich konnte mein Gefühl in dem Allgemeinen verbergen. Als beim letzten Tanz meine Hand in der seinen lag, die ich schüchtern jetzt kaum zu fassen wagte, nicht mehr als die edle Hand vertrauend ergreifen durfte, die mich durchs Leben geleiten konnte, sah auch er mich ernst an, den Schatten der Trauer auf meinen Zügen bemerkend. Woher diese düstre Wolke auf dem lieblichsten Angesicht, das eine ewig heitre Sonne umstrahlen sollte? fragte er.

Mir war, als müsse ich in den Boden versinken, eher den Tod, als daß er mein Gefühl errathen sollte. – Wir sind nicht auf Erden, ungetrübte Freuden zu genießen, edler Herr,[35] erwiederte ich; die Trennung von meiner Fürstin schmerzt mich, auch hat mein Vater ernste Gedanken über das Leben des Kaisers, den selbst eine traurige Ahnung verfolgt. Sollte er uns entrissen werden, der große, gütige. herrliche Mann? So suchte ich ihm, falschen Herzens, meine Schwachheit zu verbergen. Doch lag auch Wahrheit in meinen Worten. Mein Fräulein, sagte er mit einem sanften Händedruck, möchte ich werth seyn, Ihr Freund zu werden, allen Kummer des zarten, reichen Herzens zu theilen, zu erleichtern! Nur im Zauber ihres Lächelns kann mir fortan die Welt und das Leben freudig erscheinen.

Der Tanz riß uns fort, aber seine Augen ruhten ernst auf mir, mit unendlichem Trost, unendlicher Liebe – wie schön stand ihm dieser Ernst!

Am nächsten Morgen geleitete er mich mit der Mutter zum Wagen, als wir aus der Messe heimfuhren. Wir standen vor der Kirche, und er sagte mir leise: an diesem Platz sah ich Euch[36] zuerst, theure Anna, er wird mir stets der liebste auf Erden bleiben. Wollt auch Ihr ohne Unlust, seiner gern gedenken? Ich erröthete, vermochte nicht zu sprechen, aber meine Augen suchten ihn, und sagten, fürcht' ich, mehr als sie sollten. In einer Wolke von Thränen zerrann sein geliebtes Bild vor mir, als er von uns schied.

Die Ritter geleiteten den Kaiser. Nachdenklich und wehmüthig kehrte der Vater zu uns zurück, und erzählte, wie der gute Kaiser trauernd Abschied von der lieben Stadt genommen, wo er so fröhliche Tage verlebt, im Gedanken, er sehe sie zum letztenmal. Ach, nur zu wahr hat sich die traurige Ahnung bestätigt! Wenn ein guter und großer Mann scheidet vom Leben, ist's als wenn die Welt aus ihren Angeln sich drehte. Was hielt sie auch in sichrer Bahn, als der gute Wille der Mächtigen – ein edles Herz. Im Ernst des Vaters, weinte ich meinen Schmerz still und unbemerkt aus. Mein Blick suchte die hohen Thürme der Stadt, so[37] lang sie am Horizont standen. Welch eine neue Welt gieng mir dort auf? Das schöne Schwabenland bot mir vergebens seinen Reitz, seine Fülle dar. Der heitre Sinn, der mich mit allen schönen Bildern des Lebens verband, wollte nicht wiederkehren. Am dritten Tage unsrer Reise hielten wir unser Nachtlager in einer angenehmen kleinen Stadt. Das ganze Völkchen mit der Traubenlese beschäftigt, war fröhlich über die Segensfülle dieses Jahres. Der frohe Gesang heimkehrender Winzer, mit Trauben beladen, die schlanken Mädchengestalten an der Hand ihrer Jünglinge, in unschuldigen Scherzen und Lachen, der ruhig dankbare Ausdruck auf dem Gesicht der Eltern, – die allgemeine Freude umfing auch mein Herz, da des Vaters Stirn sich erheiterte.

Im ruhigen Kreislauf der Natur, in den kleinen Freuden, die er dem menschlichen Daseyn zugesellt, ists, als ob die innere Kraft sich stärkte, der eigne Schmerz nimmt eine mildere Farbe, und die Hoffnung auf eine Wendung[38] des Geschicks, erhebt allgemach ihre linden Flügel.

Ich gieng mit dem Vater in den nächsten Weinberg, wir genossen der süßen Früchte, die uns freundliche Menschen aus der Fülle des Seegens darboten, und schauten in die lachende Gegend, auf den glänzenden Strom mit beladnen Schiffen und geputzten Menschen bedeckt, von denen Gesang und blasende Instrumente ertönten. Jenseit des Flusses erhob sich hinter den Traubengeländen eine waldige Anhöhe, die scheidende Sonne übergoldete die Pfade, die sich daran hinzogen. Ein Ritter von einigen Knappen begleitet, kam aus dem Dunkel des Waldes hervor. Immer glänzender und lichter wurde die Gestalt, – es ist Ottomar, tönte es durch mein ganzes Wesen. Des Vaters Augen reichten so weit nicht; ich wagte es nicht, meine Entdeckung auszusprechen. Noch traute ich meinen Augen nicht, schon oft hatte mein innres Auge mir seine Gestalt vorgezaubert, die dann beim Annähern in eine ganz unbekannte zerfloß.[39] Als der Reiter hinter den Bäumen einer Bergschlucht hinab verschwand, gieng der Vater in die Herberge zurück, schweigend folgt' ich ihm. Wir giengen zeitig zur Ruhe. Mir wurde eine kleine Kammer angewiesen, deren mit Weinlaub umgränztes Fenster auf den Garten gieng. Es war heller Mondenschein die Blumen wiegten sich im Silberstrahl und die Blätter ferner Bäume; lieblicher Duft drang mir entgegen; ich konnte mich von dem lebenden Zauberhauch der schönen Nacht nicht losreißen, und lag am Fenster bis zur Mitternachtsstunde.

Plötzlich entstand ein Geräusch am Gartenzaun, das Geisblattgeranke bewegte sich, und unten im dunkleren Gebüsch erkannte ich eine Männergestalt. Lautenakkorde ertönten, sie rührten mein Herz auf eigne Weise, eine schöne tonvolle Stimme fiel ein, und sang ein welsches Liedchen, folgenden Inhalts:


Süßer Liebe Träume blühen

In dem Schoos der Mitternacht,[40]

In der holden Sterne Flimmern

Fühlt sich neu das Herz erwacht.


Ewig schaut ihr Auge nieder

Auf der Erde wechselnd Rund,

Wie das Auge des Geliebten

Flammend steht im Herzensgrund.


Scheiden, o du Tod der Freude!

Doch der Tod der Liebe nicht,

Durch der nächtgen Wolken Hülle

Glüht ihr ewig heitres Licht!


Ueber Abgrund, über Fernen

Sind sich treue Herzen nah,

Und es tönt vom Firmamente:

Lieb' ist nah, ist ewig da.


Ottomars Stimme tönte durch mein ganzes Wesen, seine Gestalt gieng dem innern Liebesauge aus der Hülle der Nacht auf. Wie durch Zaubergewalt gefesselt, hielt ich mich am Fenster. Er stand vor mir, ohne daß ich ihn kommen[41] sah, und der helle Mond warf seinen Strahl auf die geliebten Züge. Anna, flüsterte seine sanfte Stimme, geliebte Anna! wird mir wirklich auch das Glück Eures Anschauens gewährt? Ein guter Engel führte mich hierher, ja, es war der Engel meines Lebens, Du selbst.

Meine Hand lag in der seinen auf dem Fenstergesims, seine Lippen bedeckten sie mit heißen Küssen. Ich strebte sie ihm zu entziehen. O, entreiße mir nicht einen Augenblick, den mir Gott selbst geschenkt. Höre mich an, holdes Mädchen, rief er mit sanfter Liebesstimme, der mein Herz gehorchen mußte. Gebunden, verworren ist mein Geschick durch den Willen liebender Eltern, aber in Dir hat mir der Himmel einen Weg zum Glück bezeichnet, ein schönes Ziel, nach dem All mein Streben sich lenket – ich hoffe es zu erreichen, wenn Eure Neigung mir Hoffnung zulächelt. Wollt Ihr aus unaussprechlicher Güte mir geloben, binnen einem Jahre Eure Hand nicht zu verschenken? Hoffend, getröstet zieh' ich also von[42] Euch. Kann ich dann nicht wiederkehren, o so haltet mich für den Unglücklichsten, den der Mondstrahl bescheint – für einen, der aller Freude des Lebens entsagen muß, um sich herber Pflicht, ewiger Sehnsucht zu weihen. Kehr' ich wieder, dann vergönnt mir die süße Hoffnung, Euer Herz durch treue Liebe, durch edle Thaten zu gewinnen, die mich dieses höchsten Erdenglücks nicht unwerth machen. Könnt Ihr, wollt Ihr mir diese kühne Bitte gewähren? Ewig, wie die glänzenden Augen des Himmels über uns leuchten, wird meine Liebe seyn. Nur Euch will ich besitzen, hier und dort. Sprecht Ja – sendet einen Strahl himmlischen Lichts in meine dunkle Seele. – Glühend waren seine Bitten, seine süße Stimme umstrickte mit aller Gewalt zauberischen Verlangens mein Herz, ihm ewig anzugehören. Ich stammelte das gewünschte Ja, und bat ihn, mich jetzt zu verlassen. Ein Flor lag vor meinen Augen, ich war nah am Umsinken, doch glühte ein noch nie gefühltes Leben in meiner Brust. Seine Thränen brannten[43] auf meiner zitternden Hand. Lebt wohl, edler Herr, vermocht' ich zu sagen. Ich halte mein Wort, entschüpfte im Fliehen meinen Lippen, und meine Hand umschloß die seine fester, vielleicht zum ewigen Abschied.

Ich konnte fliehen, aber meine ganze Seele blieb bei ihm – wird es ewig bleiben.

Seit dieser Stunde, meine Bertha, grüßt Deine Anna jeden beginnenden Tag nur mit der Frage: wird er mir ihn bringen, den Geliebten? jeder scheidenden Sonne sende ich den Seufzer nach, er kam noch nicht! Noch zwei Monde, und das Jahr ist abgelaufen, das über mein Leben entscheidet. Schon fangen die Blätter an, sich zu färben, – wird mein Glück mit ihnen hinwelken? Ist dem so, o so möge die erstarrende Natur mich auch aufnehmen in ihren Todesschlummer! Befiehlt mir der Glaube an eine bessere Welt, und die Liebe der Meinen, zu leben, so sey es hinter düstern Klostermauern, entsagend auf ewig jeder Liebe, als der, an sein Andenken![44]

Quelle:
Caroline von Wolzogen: Erzählungen. 2 Bände, Band 2, Stuttgart und Tübingen 1826, S. 19-45.
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