4. Das ander Weyhnacht-Lied

[26] Auff Pindarische Art.


Der 1. Satz.


Warümb ist der Himmel offen?

Laß uns hoffen.

Wird die Nacht nicht hell und klar?

Es ist wahr.

Siht mann nicht den Mond verbleichen?

Er muß weichen.

Das gestirnte Wolcken-heer

Fliht je mehr und mehr;

Es entspringt ein neues Licht/

Das mit solchen güldnen strahlen

Durch die fünstern Nächte bricht

und der Wolcken zelt kann mahlen

Mit Rubien und Hyacinth/

Das den Nächten abgewinnt.


[26] Der 1. Gegensatz.


Was doch hört mann an dem Himmel?

Ein Getümmel.

und was ist das vor ein Klang?

Ein Gesang.

Der dort auß den Lüfften wallet?

Ja es schallet:

Eine süße Melodey

Macht uns Kummers-frey.

Hör ich/ oder deucht mich so/

Dort die güldnen Cherubienen/

Ach wie seyn sie doch so froh

Mit den klahren Seraphinen/

Hört das liebliche Gethön/

Ach wie klingt es nur so schön!


Der 1. Nachklang.


Freuet Euch alle/ seyd frölich im Herrn/

Das trauren sey ferrn/

Kommet und schauet und fürchtet Euch nicht/

Ein edeles Licht

Ist itzund auffgangen

Mit güldenen Wangen/

O fröliche zeit/

Jesus der Heyland ist heute gebohren/

Welcher zum Spiegel der Gottheit erkohren/

Wird itzund auch fleischlich bekleidt/

O fröliche zeit!


[27] Der 2. Satz.


Wer ists/ der sich hier einstellt?

unser Held.

Der dort ligt auff Stroh und Heu/

Sünden-frey?

Ach wie ziht Er ein die Lippen

In der Krippen/

Dessen Hände-werck wir seyn/

Der uns nehrt allein/

Der des Großen Gottes Sohn/

Mischt sich in der Menschen Orden/

Hat verlaßen seinen Thron

und ist unser Bruder worden:

Himmel/ Erde/ Lufft und Meer/

und was drinnen/ freut sich sehr.


Der 2. Gegensatz.


Wie mag dieses gehen zu?

Gleube du.

Muß Vernunfft dann schweigen hier?

Gleube mier.

Ey so nehm ich Adlers-augen!

Ja die taugen.

Denn ein Adler höher nicht

Durch die Wolcken bricht/

Wenn er seine kleine Zucht/

In dem Neste nicht mehr sihet:

Also meiner Sinnen flucht

Sich zu schwingen nicht bemühet

Weiter in die tieffe nein;

Sondern hier soll Glaube seyn.


[28] Der 2. Nachklang.


Sey uns willkommen du himlisches Kind/

So Friedlich gesinnt!

öffnet die Thore/ der Hertzog kömmt an/

Erweitert die Bahn;

Der König der Ehren

Der lässet sich hören/

O heiliges Licht!

Hertzog/ du Hertze des Friedens willkommen/

Friede wird heute verkündigt den Frommen

und zeiget sein güldnes Gesicht/

O heiliges Licht!


Der 3. Satz.


Kömmstu/ schönster Held/ zu mier?

Ja zu dier.

Wie soll das verschulden ich?

Liebe mich.

Sol nach deiner Lieb' ich streben?

Ja mein Leben.

Ey so komm: Ich bin verwundt/

Küsse meinen Mund/

O du süßer Breutigam/

Du Beherscher aller Hertzen/

Lesche meine keusche Flamm/

und der Liebe süße schmertzen/

Ich bin Dein und Du bist mein/

und Dich lieb' ich nur allein.


[29] Der 3. Gegensatz.


Wer benimmt uns so den Muth?

Liebes-gluth:

Frauen-Liebe brennt wohl sehr/

Diese mehr.

Ja es halten deine Wangen

Mich gefangen/

O du güldner Friedens-Held/

Der mir nur gefällt.

Gib daß unser Vaterland

Mag gedoppelt widerschauen/

Was der Feind von uns gewandt

und den stoltzen Frieden bauen/

Daß die gantze Christenheit

Dich erheb' in Ewigkeit.


Der 3. Nachklang.


Ehret den HErren/ lobsinget dem HErrn/

Preiset ihn gern.

Himmel und Erde laß hören ein Lied/

Sey immer bemüht

Die Stimme zu schwingen/

Den Heiland zu singen/

Zu itziger zeit.

Ehre sey Gott in der höhe dem mächtigen Herren/

Frieden auff Erden: Unfriede sey ferren!

Die Menschen seyn höchlich erfreut

Zu itziger Zeit!


Quelle:
Philipp von Zesen: Sämtliche Werke, 17 Bände, Band 1, Berlin/ New York 1970 ff., S. 26-30.
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