9. Scherzgedichte

[173] Zu dein und meiner Lust

Gesteht die frohe Brust:

Es müssen alle Minen

Zu unsrer Liebe dienen;

Die kennen ich und du.


Denn siehst du mich nur an,

Hast du genug gethan.

Das Auge wird dirs sagen:

Was andre müssen fragen,

Das schliessen ich und du.
[173]

Und regt sich nur der Mund,

So thut das Lächeln kund,

Das Herze sey dein eigen.

Wer liebt, und auch kann schweigen,

Der machts, wie ich und du.


Man rede, was man will,

Ich sitze Mäuschen still;

Ja sehn wir andre scherzen,

So gehts uns nicht zu Herzen;

Das thun auch ich und du.


Denn in der besten Welt,

Die auf Ergetzung hält,

Da gelten keine Grillen;

Man lebt nach eignem Willen,

So als wie ich und du.


Die Unschuld knüpft das Band.

Nimmst du mich bey der Hand,

So werd ich nicht erschrecken,

Und mich aus Furcht verstecken;

Das hassen ich und du.


Ich scheue nicht das Licht,

Wenn dein Mund freundlich spricht.

Und willst du mich auch küssen,

So mags der Nachbar wissen;

So haltens ich und du.
[174]

Wir suchen keinen Wald,

Zu unserm Aufenthalt.

Wenn unsre Nachtgespenster

Sich küssen hinterm Fenster,

So merkens ich und du.


Wenn die und jene schimpft,

Das freye Mäulchen rümpft,

Denk ich, sie ist die rechte

Bey jedem Löffelknechte.

Das weis längst ich und du.


Wenn jene Schäfermagd

Sich mit der Keuschheit plagt,

So gilt kein spassen, scherzen,

Sie will im dunkeln herzen,

Nicht so wie ich und du.


Blondinchen weis und klug

Auf List, und auf Betrug,

Erwartet mit Verlangen

Den kleinen Mann zu fangen;

Da scherzen ich und du.


Was macht der Männerfeind,

Der Weiber bester Freund?

Dort unter jener Eiche

Spielt er verliebte Streiche?

Da lachen ich und du.
[175]

Wer auf die Liebe flucht,

Und doch die Winkel sucht,

Dem wollen wir vermelden,

Dergleichen schlechte Helden

Verspotten ich und du.


Wir fliehen vor der Zunft;

Und lieben mit Vernunft;

Ein Wort, ein Mann ein Herze,

Im Ernst und auch im Scherze:

So denken ich und du.


Eur Lieben ist gemein,

So wollen wir nicht seyn.

Wer unsre Sitten tadelt,

Da uns die Tugend adelt,

Schimpft sich; nicht ich und du.


Wer lacht bey dem Entschluß,

Der thut sich selbst Verdruß,

Denn sollten wirs auch hören,

Kanns unsre Lust nicht stören;

So bleiben ich und du.[176]


Quelle:
Christiane Mariane von Ziegler: Vermischte Schriften in gebundener und ungebundener Rede, Göttingen 1739, S. 173-177.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hume, David

Dialoge über die natürliche Religion

Dialoge über die natürliche Religion

Demea, ein orthodox Gläubiger, der Skeptiker Philo und der Deist Cleanthes diskutieren den physiko-teleologischen Gottesbeweis, also die Frage, ob aus der Existenz von Ordnung und Zweck in der Welt auf einen intelligenten Schöpfer oder Baumeister zu schließen ist.

88 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon