59. An einen wankelmüthigen Schüler der Gnade

[166] 1727.


Wenn, vielgeliebter Freund! dein Diener wissen könt',

Wie lange dir der Herr noch Lebens-Zeit vergönnt':

So könt er eher noch mit gleichen Augen sehen

Wie wenig bis daher zu deinem Heil geschehen.

Weil aber, der die Höll und Tod in Händen hält,

Uns eine kurze Frist zur Gnaden-Zeit bestellt,

Und will, daß unser Geist nach Seinem Reiche ringe:

So halte mir zu gut, daß ich auf Eifer dringe.

Du hast das ewige unwandelbare Wort,

Das weiset schlechterdings auf eine enge Pfort:

Das redet überall von einem schmalen Wege,

Und daß man seines Heils mit Furcht und Zittern pflege.

Die Menschen hindern uns! allein, wo ist der Mann,

Der unsern armen Geist dereinst vertreten kan;

Wenn Jesus auf dem Stuhl nach unserm Ernste fragen,

Und unser eigen Herz nichts wissen wird zu sagen?

Gelobet sey der Herr, der dich gerühret hat!

Er gebe keiner Ruh in deiner Seele Statt,

Bis du das wichtige und grosse Werk vollendet,

Um welches willen Er sich selbst bey Gott verpfändet.

Wohl dem, der diese Welt für lauter Spiel-Zeug hält.

Allein, wer kan doch das? wer überwind't die Welt?[166]

Nur einer, welchen Gott zu Christo hingezogen,

Und der sein theures Heil mit Redlichkeit erwogen.

Derselbe wirft sich bald vor Jesu Füsse hin,

Und spricht: Mein Ursprung, ach! hier liegt mein Geist und Sinn:

Ach! mache mich doch recht zu Deinem Unterthanen,

Und solt'st Du mir den Weg durch Dorn und Hekken bahnen.

Der Vorsatz aber muß nicht ohne Nachsatz seyn:

Es treffe Wort und Sinn recht redlich überein;

So wird man allererst die Kraft des Herrn empfinden,

Da stutzt der Seelen-Feind und das Gesetz der Sünden.

Die Menschen dieser Welt sind nur ein blos Gespenst,

Wenn du sie, werther Freund! nach ihrem Wesen kennst;

So hältst du sie gewiß für unglükselge Narren,

Mit allen heuchelnden und Lohn-begiergen Pfarren.

Indessen weil du selbst von N.N. angezeigt,

Daß er sein Herze Gott und Jesu zugeneigt:

So wolle neben ihm ja keine Zeit versäumen,

Dich eben so, wie er, dem Heiland einzuräumen.

Die Brüder dieses Orts sind allemal erfreut,

Wenn man von deiner Seits denselben Frieden beut:

Sie grüssen dich im Herrn, und wünschen dich im Segen

Und neben dir sich selbst dem Herrn zu Fuß zu legen.


Quelle:
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Ergänzungsbände zu den Hauptschriften, Band 2, Hildesheim 1964, S. 166-167.
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