Zweites Kapitel.

[43] Am folgenden Morgen um zehn Uhr schlief Nana noch. Sie bewohnte das zweite Stockwerk eines großen neuen Hauses auf dem Boulevard Haußmann. Der Eigentümer des Hauses vermietete seine Wohnungen bis sie trocken wurden an alleinstehende Damen. Ein reicher Kaufmann aus Moskau, der nach Paris gekommen war, um daselbst einen Winter zuzubringen, hatte Nana diese Wohnung eingerichtet und den Mietzins auf ein halbes Jahr vorausbezahlt. Die[43] Wohnung war zu groß für sie und war deshalb auch nie vollständig möbliert worden. Gegenstände von schreiendem Luxus, wie vergoldete Tischchen und Sessel standen dicht neben allerlei Trödelkram wie Mahagonitischchen und Kandelaber aus bronziertem Zink. Es war eben die Wohnung eines Geschöpfes, das von seinem ersten Liebhaber zu früh fallen gelassen, in die Hände aussaugender Zuhälter geraten war. Das ganze Hauswesen sah nach einem verfehlten Anfang aus, der an Kreditverweigerungen und Pfändungsandrohungen gescheitert war.

Nana schlief mit dem Rücken nach oben und umklammerte mit den nackten Armen das Kissen, in welches sie ihr vom Schlafe blasses Gesicht drückte. Der Schlafraum und das Toilettezimmer waren die einzigen zwei Räume, die durch einen Tapezierer des Stadtviertels mit Sorgfalt eingerichtet waren. Bei dem matten Lichte, das durch den Vorhang eindrang, sah man Möbel aus Palisanderholz, Sessel und Vorhänge aus gesticktem Damast, große blaue Blumen auf grauem Grunde. Nana fuhr plötzlich aus dem Schlafe auf, gleichsam erschrocken über die Leere an ihrer Seite. Sie blickte auf das Kopfkissen, das neben dem ihrigen lag, auf dem noch der warme Eindruck eines Kopfes zu sehen war. Sie drückte auf den Knopf der elektrischen Klingel.

Ist er fort? fragte sie das eintretende Kammermädchen.

Ja, Madame. Herr Paul hat sich vor zehn Minuten entfernt. Madame waren sehr ermüdet, darum wollte er Sie nicht wecken, er hat mich beauftragt, Madame mitzuteilen, daß er morgen wiederkommt.

Inzwischen hatte Zoé, die Kammerfrau, die Vorhänge zurückgezogen. Das helle Sonnenlicht fiel ins Zimmer.

Zoé war eine Brünette mit glatt gescheiteltem Haar, langem, bleichem, narbigem Gesicht, platter Nase, dicken Lippen[44] und schwarzen, stets beweglichen Augen, ein wahres Hundegesicht.

Morgen, morgen ... wiederholte Nana, die noch nicht völlig wach zu sein schien. Ist das sein Tag ... morgen?

Ja, Madame, Herr Paul ist immer am Mittwoch gekommen!

Ach ja, ich erinnere mich, rief Nana und setzte sich im Bette auf. Jetzt ist aber alles anders ... Ich wollte es ihm heute sagen ... Er würde ja morgen mit dem Zigeuner zusammentreffen, und wir hätten eine schöne Geschichte.

Madame haben mich nicht verständigt, ich konnte also nichts davon wissen. Wenn Madame die Tage verändern, so werden Sie gut daran tun, mich auch davon zu verständigen, damit ich weiß, woran ich mich zu halten habe ... Der alte Filz kommt also nicht mehr am Dienstag?

Unter vier Augen benannten sie mit diesen Namen »Zigeuner« und »alter Filz« jene zwei Männer, die gegenwärtig den Haushalt bestritten; einen Kaufmann aus der Vorstadt Saint-Denis mit sparsamen Neigungen und einen Walachen, der sich für einen Grafen ausgab und dessen unregelmäßig einfließendes Geld einen seltsamen Duft hatte. Daguenet kam an den Tagen nach dem alten Filz; da der Kaufmann um acht Uhr schon zu Hause sein mußte, wartete der junge Mann in der Küche, bis der andere sich entfernte und nahm dann den noch warmen Platz ein. Er und Nana fanden dies sehr bequem.

Um so schlimmer, sagte Nana endlich. Ich werde ihm heute nachmittag schreiben. Wenn er meinen Brief nicht erhält, wirst du ihn morgen nicht einlassen.

Zoé trippelte inzwischen leise im Zimmer umher. Sie sprach dabei von dem großen Erfolge des gestrigen Abends. Madame habe so viel Talent gezeigt; sie habe so wunderbar[45] schön gesungen! Oh, Madame könne nunmehr über ihre Zukunft beruhigt sein!

Nana, mit dem Ellbogen auf das Kissen gestützt, antwortete nur mit wiederholtem Kopfnicken. Ihr Hemd war hinabgeglitten, die aufgelösten Haare fielen wirr über ihre nackten Schultern.

Gewiß, gewiß! murmelte sie. Aber was fange ich an, bis meine Zeit kommt? Ich werde sicherlich heute wieder allerlei Scherereien haben ... Ist der Hausbesorger wieder da gewesen?

Sie begannen über ernste Dinge zu sprechen. Man war für drei Quartale die Miete schuldig, der Hauseigentümer drohte mit der Pfändung. Außerdem war da eine Menge von ungestüm drängenden Gläubigern: ein Wagenvermieter, eine Wäschelieferantin, ein Schneider, ein Kohlenhändler, und noch andere Leute, die sich täglich auf einer Bank im Vorzimmer festsetzten. Besonders schrecklich war der Kohlenhändler, der immer auf der Treppe einen Heidenlärm machte. Den größten Kummer aber hatte Nana wegen des kleinen Ludwig, eines Kindes, das sie mit sechzehn Jahren bekommen und bei einer Amme in einem Dorfe in der Umgebung von Rambouille untergebracht hatte. Das Weib hatte dreihundert Franken zu fordern, ehe sie den Kleinen zurückgab. Seit ihrem letzten Besuche bei dem Kinde litt Nana unter einem Anfall von Mutterliebe. Sie hatte die fixe Idee, das Kind zurückzunehmen und es zu ihrer Tante, der Frau Lerat in Batignolles zu geben, wo sie es besuchen konnte, so oft es ihr beliebte. Die Kammerzofe meinte, Madame habe dem alten Filz alles anvertrauen sollen.

Ach, ich hab' ihm ja alles gesagt! rief Nana. Er antwortete mir, es stünden ihm große Zahlungen bevor. Der geht nicht über tausend Franken für den Monat hinaus ...[46] Der Zigeuner sitzt auf dem trockenen; er muß im Spiel verloren haben. Was den armen Mimi betrifft, so wäre es notwendig, ihm Geld zu leihen. Ein Sinken der Wertpapiere auf der Börse hat ihn völlig blank gemacht; er hat nicht einmal soviel, um mir Blumen zu kaufen.

Das bezog sich auf Daguenet. In den ersten Morgenstunden hatte Nana kein Geheimnis vor Zoé. Diese war an solche Vertraulichkeiten schon gewöhnt und nahm sie mit einer gewissen respektvollen Teilnahme auf. Da Madame die Gnade hatte, über ihre Angelegenheiten mit ihr zu sprechen, wollte auch sie ihre Meinung sagen. Vor allem wolle sie versichern, wie sehr sie Madame zugetan sei. Sie hatte ihrethalben Madame Blanche verlassen und Gott weiß, daß Madame Blanche alles mögliche aufgeboten, um sie zurückzulocken. An Plätzen fehlte es ihr nicht, sie sei ja bekannt genug. Aber sie wolle bei Madame bleiben, selbst in den Tagen der Not, weil sie Vertrauen in Madames Zukunft habe. Dann gab sie ihre Ratschläge zum besten. So lange man jung sei, dürfe man allerlei Torheiten begehen. Jetzt heiße es aber, die Augen öffnen, denn die Männer dächten jetzt nur daran, Madame zu huldigen. Oh, sie würden sich jetzt scharenweise einfinden. Madame brauche nur ein Wort zu sagen, um ihre Gläubiger zu befriedigen und soviel Geld zu bekommen, wie sie wolle.

All das verschafft mir doch keine dreihundert Franken, sagte Nana, in den wirren Flechten ihres Haares wühlend. Ich muß dreihundert Franken haben, heute, sofort ... Es ist zu dumm, daß ich niemanden kenne, der mir dreihundert Franken gibt ...

Sie wollte Madame Lerat nach Rambouillet senden, um ihren Ludwig zu holen. Der Gedanke, diesen Plan nicht ausführen zu können, verdarb ihr die Freude an dem gestrigen Triumph. Daß sich unter all den Männern, die ihr gestern[47] zugejubelt hatten, kein einziger fand, der ihr fünfzehn Louis bringen würde! ... Auch könne man ja nicht so ohne weiteres Geld annehmen ... Kurz: sie fühlte sich unglücklich. Sie kam immer wieder auf ihr Kind zu sprechen. Es habe so unschuldige Engelsäuglein und stammle so drollig »Mama«, daß man sich darüber krank lachen müsse ...

In diesem Augenblick ertönte die elektrische Klingel.

Zoé ging hinaus, kam bald zurück und meldete in vertraulichem Tone:

Eine Frau.

Sie hatte dieses Weib zwanzigmal gesehen, aber sie tat, als ob sie sie nicht kenne und nicht wisse, welche Beziehungen dieses Weib zu Damen, die in Verlegenheit sind, unterhalte.

Sie hat mir ihren Namen genannt: Madame Tricon.

Die Tricon, rief Nana. Richtig, an die habe ich nicht gedacht ... Laß sie eintreten.

Zoé führte eine hochgewachsene, alte Dame ein, die Löckchen trug. Sie hatte das Aussehen einer herabgekommenen Gräfin, die ewig bei den Advokaten steckt, um ihre Prozesse zu betreiben.

Zoé verschwand unbemerkt mit einer geschmeidigen Bewegung, mit der sie das Zimmer zu verlassen pflegte, wenn ein Herr erschien. Sie hätte übrigens bleiben können. Die Tricon nahm nicht einmal Platz. Zwischen ihr und Nana fand eine Unterredung in wenigen Worten statt.

Ich habe heute jemanden für Sie. Wollen Sie?

Ja ... Wieviel?

Zwanzig Louis.

Um wieviel Uhr?

Um drei Uhr. Abgemacht?

Abgemacht.

Dann sprach die Tricon vom Wetter. Es sei so trocken,[48] daß man zu Fuß gehen könne. Sie habe noch vier oder fünf Personen zu besuchen. Dann blickte sie auf ein Namensverzeichnis, das sie aus der Tasche zog, und entfernte sich. Nana schien beruhigt. Ein leichtes Frösteln lief über ihre Schultern, sie grub sich wieder in das warme Bett ein. Langsam schloß sie die Augen zur Hälfte. Sie lächelte bei dem Gedanken, daß sie am folgenden Tage Ludwig hübsch ankleiden werde. Im Schlafe durchlebte sie von neuem die Ereignisse der Nacht, mit den lauten Beifallsrufen, die sie wohlig einwiegten.

Um elf Uhr kam Madame Lerat.

Nana schlief noch. Bei dem Geräusch der sich öffnenden Türe erwachte sie und sagte zu Lerat:

Du wirst heute nach Rambouillet fahren.

Ich bin deshalb gekommen, sagte die Tante. Um zwölf Uhr zwanzig Minuten geht ein Zug; mit diesem will ich fahren.

Nein, ich werde das Geld erst später haben, sagte Nana. Dabei streckte sie die Arme, daß ihr Busen sich spannte. Du wirst frühstücken, dann werden wir über die Sache reden.

Zoé brachte einen Frisiermantel.

Madame, flüsterte sie, der Friseur ist da.

Nana hatte keine Lust, in das Toilettezimmer zu gehen. Sie rief selbst hinaus:

Treten Sie ein, Francis!

Ein gut gekleideter Herr trat ein und grüßte. Nana stieg mit nackten Beinen aus dem Bett. Sie beeilte sich dabei nicht und streckte die Arme aus, damit Zoé ihr den Frisiermantel anziehen könne. Francis, dem die Szene offenbar behagte, nahm eine würdige Miene an und wartete, ohne sich umzuwenden. Nachdem sie Platz genommen und er mit dem Kamm einmal durch ihr Haar gefahren war, sagte er:[49]

Madame haben vielleicht die Zeitungen noch nicht gelesen ... Der Figaro bringt einen sehr guten Artikel.

Er hatte eine Nummer des Blattes mitgebracht. Madame Lerat setzte ihre Brille auf, stellte sich ans Fenster und las den Artikel laut vor. Sie richtete sich mit ihrer Gendarmengestalt auf, ihre Nase wurde spitz, wenn sie ein galantes Beiwort zu lesen hatte. Es war ein Artikel aus Faucherys Feder, unmittelbar nach der Vorstellung geschrieben; zwei Spalten, sehr warm gehalten, von geistreicher Bosheit gegen die Künstlerin, von brutaler Bewunderung für das Weib.

Ausgezeichnet, bemerkte Francis wiederholt.

Nana machte sich über die Komplimente lustig, die in dem Artikel ihrer Stimme gemacht wurden. Fauchery sei übrigens ein netter Mensch, dem sie sich für seine Artigkeit dankbar zeigen werde. Madame Lerat erklärte, nachdem sie den Artikel noch einmal gelesen: die Männer hätten sämtlich den Teufel in den Beinen. Sie war von dieser Anspielung sehr befriedigt und verweigerte jede nähere Aufklärung darüber. Francis hatte inzwischen die Frisur Nanas vollendet. Er grüßte und sagte:

Ich werde heute auf die Abendblätter achten. Ich soll, wie gewöhnlich um fünfeinhalb Uhr kommen, nicht wahr?

Bringen Sie mir einen Tiegel Pomade und ein Pfund Krachmandeln mit, rief ihm Nana nach.

Die beiden Frauen, die nun allein waren, erinnerten sich, daß sie einander noch nicht umarmt hätten, und küßten einander sehr geräuschvoll. Der Artikel hatte sie erhitzt. Nana, bisher noch halb schlaftrunken, wurde wieder von dem Fieber ihres Triumphes erfaßt. Ah! Rosa Mignon wird heute einen bösen Tag haben. Da die Lerat es gestern abgelehnt hatte, ins Theater zu gehen, weil sie, wie sie sagte, solchen Aufregungen nicht gewachsen war, begann Nana,[50] ihr von ihrem Triumph zu erzählen, wie ganz Paris zu ihren Füßen gelegen habe. Dann unterbrach sie sich plötzlich und fragte, ob man das geglaubt habe, zur Zeit, da sie noch in der Goldtropfengasse umhergestrichen? Madame Lerat schüttelte den Kopf: Nein, niemals habe man das voraussehen können. Dann ergriff sie das Wort, wobei sie eine ernste Miene annahm und Nana ihre liebe Tochter nannte. Sie war ihre zweite Mutter, seitdem ihre Mutter dem Papa und der Großmama nachgefolgt war. Nana war sehr gerührt und nahe daran, in Tränen auszubrechen. Madame Lerat sagte, die Vergangenheit sei vorbei, man dürfe nicht daran denken. Oh, es sei eine schmutzige Vergangenheit! Dinge, von denen man gar nicht reden solle ... Sie habe ihre Nichte lange Zeit nicht gesehen; man sage in der Familie, sie erniedrige sich durch den Verkehr mit diesem Geschöpf. Doch das sei unmöglich; sie forsche auch nicht nach ihrer Lebensweise; sie habe sich gewiß stets anständig betragen. Es genüge ihr, daß sie sie jetzt in einer gesicherten Stellung finde und daß sie ihrem Kinde eine zärtliche Mutter sei. Es gehe nichts über die Rechtschaffenheit und Arbeit.

Von wem ist denn das liebe Kind? fragte sie dann plötzlich mit lebhafter Neugierde.

Nana war überrascht von dieser Frage und sagte dann nach einigem Zögern:

Von einem feinen Herrn.

Schau, schau, bemerkte die Tante; man sagte, es sei von einem Maurer, der dich prügelte ... Du wirst mir das eines Tages erzählen; du weißt, ich bin verschwiegen. Ich will dein Kind pflegen, als ob es ein Prinz ist.

Madame Lerat hatte sich von ihrer Beschäftigung, sie war Blumenmacherin gewesen, zurückgezogen und lebte jetzt von ihren Ersparnissen, sechshundert Franken Rente,[51] Sou für Sou zusammengescharrt. Nana versprach, ihr eine hübsche kleine Wohnung zu mieten und überdies ihr monatlich hundert Franken zu geben. Die Tante war außer sich vor Freude und umarmte ihre Nichte. Sie riet ihr, die Männer nur tüchtig zu schröpfen, da sie sie nun einmal in ihrer Gewalt habe. Nana lenkte das Gespräch auf Ludwig und schien durch eine plötzliche Erinnerung wieder traurig gestimmt zu werden.

Das ist dumm, brummte sie, ich muß um drei Uhr ausgehen.

Zoé trat ein und meldete, daß das Frühstück aufgetragen sei. Man begab sich in das Speisezimmer, wo eine bejahrte Dame bereits bei Tische saß. Sie hatte ihren Hut nicht abgelegt und trug ein dunkles Kleid von unbestimmter Farbe, zwischen der Farbe des Flohs und der des Gänsemistes schwankend. Nana schien über ihre Anwesenheit nicht verwundert; sie fragte sie bloß, weshalb sie nicht in ihr Zimmer gekommen sei.

Ich habe Stimmen gehört, erwiderte die Alte, und dachte, Sie seien in Gesellschaft.

Madame Maloir, eine Frau von Würde und Benehmen, diente Nana als »ältere Freundin« und Gesellschafterin. Die Anwesenheit der Madame Lerat schien sie anfangs zu beunruhigen. Als sie erfuhr, daß es eine Tante sei, betrachtete sie diese mit sanften, lächelnden Blicken. Nana, die einen Wolfshunger hatte, warf sich inzwischen auf die Radieschen, die sie ohne Brot knusperte. Madame Lerat machte Umstände und wollte keine Radieschen essen, sie machten heiser, meinte sie. Zoé brachte Koteletten; Nana verschmähte das Fleisch und sog an den Knochen. Zuweilen schielte sie nach dem Hute ihrer alten Freundin.

Ist das der neue Hut, den ich Ihnen gegeben habe? fragte sie endlich.[52]

Ja, ich habe ihn umgeändert, brummte Madame Maloir mit vollem Munde.

Der Hut hatte eine merkwürdige Form; oberhalb der Stirne war er ungeheuer breit und überragt von einer riesengroßen Feder. Madame Maloir hatte die Manier, alle ihre Hüte zu »überarbeiten«; sie allein wußte, meinte sie, was ihr gut stehe und im Handumdrehn machte sie aus dem elegantesten Hute eine Schlafmütze. Nana, die ihr den Hut erst gekauft hatte, um ohne zu erröten mit ihr ausgehen zu können, war ärgerlich darüber und rief ihr zu:

So legen Sie ihn wenigstens ab.

Nein, ich danke, entgegnete die Alte mit vieler Würde; er geniert mich beim Essen gar nicht.

Nach den Koteletten kam Blumenkohl mit einem Rest kalten Huhns.

Nana schnitt zu allen diesen Gängen nur Grimassen, ließ alles stehen und aß nur noch Konfitüren.

Der Nachtisch zog sich in die Länge. Zoé trug das Tafelgeschirr nicht ab, als sie den Kaffee brachte. Die Damen begnügten sich damit, ihre Teller wegzuschieben. Das Gespräch ging noch immer um den Triumph vom vorigen Abend. Nana drehte sich Zigaretten und rauchte, sich in ihrem Sessel wiegend. Zoé war im Zimmer geblieben, lehnte sich an den Anrichtetisch, kreuzte die Arme und begann, ihre eigene Geschichte zum besten zu geben. Sie behauptete, sie sei die Tochter einer Hebamme zu Bercy, die schlechte Geschäfte gemacht habe. Zuerst sei sie bei einem Zahnarzt in Dienst gewesen, später bei einem Versicherungsagenten. Doch da gefiel es ihr nicht. Sie zählte dann nicht ohne Stolz alle Damen auf, bei denen sie als Kammerfrau gedient habe. Sie sprach von diesen Damen in einem Tone, als ob sie deren Schicksal hundertmal in Händen gehabt habe. Ohne sie wäre es so mancher dieser[53] Damen gar übel ergangen. Eines Abends zum Beispiel, als Madame Blanche sich eben in Gesellschaft Herrn Octaves befand, kam ihr »Alter«. Was tut Zoé? Sie stellte sich, als ob sie beim Durchschreiten des Salons stolperte und fiel. Der Alte eilte herbei, rannte in die Küche, um ein Glas Wasser für sie zu holen und – Monsieur Octave hatte inzwischen Zeit zu verduften.

Die Geschichte ist nicht übel, bemerkte Nana, die mit Aufmerksamkeit, ja, mit einer gewissen Bewunderung diese Bravourstücklein anhörte.

Ich habe viel Unglück gehabt ... begann darauf Madame Lerat.

Dabei rückte sie näher zu Madame Maloir und machte ihr allerlei vertrauliche Mitteilungen. Beide tauchten ihren Zucker in den Kaffee und sogen daran. Madame Maloir hörte die Bekenntnisse der anderen an, machte aber ihrerseits niemals solche.

Man sagte, sie lebe von einer geheimnisvollen Pension in einem Zimmer, das niemand betreten dürfe.

Plötzlich verlor Nana die Geduld.

Tante, spiele nicht mit den Messern! Du weißt, das macht mich nervös.

Ohne viel darauf zu achten, legte Madame Lerat zwei Messer kreuzweise auf den Tisch. Nana wollte übrigens nicht zugeben, daß sie abergläubisch sei. Das Umstürzen des Salzfasses beispielsweise habe nichts zu bedeuten, auch der Freitag nicht. Anders verhalte es sich mit den Messern, diese haben nie gelogen; daran glaube sie. Es werde ihr sicherlich irgend etwas Unangenehmes zustoßen.

Dann gähnte sie und sagte gelangweilt:

Schon zwei Uhr. Ich muß ausgehen ... Das ist sehr dumm.

Die beiden alten Frauen blickten einander an. Alle drei[54] zuckten die Achseln und schwiegen. Gewiß ... die Sache ist nicht immer amüsant ... Nana hatte sich wieder in ihrem Sessel zurückgeworfen und rauchte; die anderen beobachteten tiefes Stillschweigen und versenkten sich in philosophische Betrachtungen.

Bis Sie zurückkommen, wollen wir eine Partie Bezigue machen, sagte Madame Maloir endlich. Spielen Sie Bezigue, Madame?

Gewiß, Madame Lerat spielt Bezigue, und zwar ausgezeichnet. Es sei nicht nötig, meinte die Alte, Zoé, die hinausgegangen war, zu bemühen, ihnen einen Spieltisch zurecht zu machen; ein Ende des Speisetisches werde ihnen genügen. Sie schlugen das Tischtuch über die schmutzigen Teller zurück. Als Madame Maloir sich anschickte, die Karten aus einer Schublade des Anrichtetisches herauszunehmen, forderte Nana sie auf, ihr einen Brief zu schreiben. Es sei ihr langweilig zu schreiben, fügte sie hinzu, auch sei sie ihrer Orthographie nicht ganz sicher, während ihre alte Freundin einen sehr gefühlvollen Stil habe. Dann lief sie in ihr Zimmer, um schönes Papier zu holen. Auf einem Möbelstück stand eine unförmliche große Tintenflasche, darin steckte eine rostige Feder. Der Brief war für Daguenet bestimmt. Madame Maloir schrieb ihm: »Mein liebes Männchen«; er möge am folgenden Tage nicht kommen, denn »es sei nicht möglich«, aber »ob nah ob fern« im Geiste sei sie stets mit ihm usw. Zum Schluß kamen tausend Küsse.

Madame Lerat hatte jedem Satze mit einem Kopfnicken zugestimmt. Ihre Augen leuchteten; sie war glücklich, wenn sie in Liebesgeschichten mitreden durfte. Darum wollte sie auch ihrerseits zur Abfassung des Briefes etwas beitragen und sagte mit girrender Stimme:

Schreiben Sie lieber: »Tausend Küsse auf Deine schönen Augen«.[55]

Ganz recht: Tausend Küsse auf Deine schönen Augen, wiederholte Nana, während die beiden Alten scheinheilige Gesichter machten.

Dann wurde Zoé gerufen, damit sie den Brief durch einen Boten bestellen lasse. Das Kammermädchen plauderte gerade mit einem Theaterdiener, der für ihre Herrin eine dienstliche Mitteilung brachte. Nana ließ ihn eintreten und übergab ihm den Brief an Daguenet, damit er ihn auf dem Rückwege an seine Adresse bestelle.

Dann fragte sie ihn aus.

Oh, meinte er, Herr Bordenave ist sehr zufrieden; wir haben für acht Tage alles ausverkauft. Madame glauben nicht wie viele Herren sich nach Ihrer Adresse erkundigt haben.

Als der Diener fort war, sagte Nana, sie werde höchstens eine halbe Stunde ausbleiben. Wenn Leute kämen, sollte Zoé sie warten lassen.

Während sie noch sprach, ertönte die elektrische Klingel. Es war ein Gläubiger, der Wagenvermieter. Der kann jetzt die Daumen drehen bis zum Abend. Die Sache sei nicht eilig.

Vorwärts, Mut! sagte Nana, von Trägheit niedergedrückt. Ich sollte schon unten sein.

Aber sie rührte sich nicht. Sie sah, das Kinn auf die Hand gestützt, dem Spiele ihrer Tante zu. Da schlug es drei Uhr, sie sprang erschrocken auf.

Herrgott, es muß doch sein, brummte sie verdrießlich.

Liebes Kind, sagte Madame Maloir in mütterlichem Tone, suchen Sie rasch fertig zu werden.

Ja, spute dich, fügte Madame Lerat hinzu, indem sie die Karten mischte. Wenn du mit dem Gelde um vier Uhr da bist, fahre ich mit dem Zuge, der um halb fünf Uhr geht.

Es soll nicht lange dauern, brummte Nana.

In zehn Minuten hatte sie mit Zoés Hilfe ein Kleid angelegt[56] und einen Hut aufgesetzt. Es kümmerte sie wenig, daß ihre Toilette nicht ganz in Ordnung war. In dem Augenblicke, als sie fortgehen wollte, ertönte die elektrische Klingel wieder. Es war der Kohlenhändler. Gut, der kann jetzt dem Wagenvermieter Gesellschaft leisten; sie werden sich weniger langweilen. Da sie aber eine Auseinandersetzung befürchtete, zog sie es vor, durch die Küche, über die Hintertreppe zu verschwinden. Sie tat dies oft und hob dabei ein wenig ihre Röcke.

Wenn man eine gute Mutter ist, wird alles verziehen, bemerkte Madame Maloir salbungsvoll, als sie mit Madame Lerat allein geblieben war.

Die beiden Alten versenkten sich in eine endlose Partie.

Der Tisch war nicht abgeräumt worden. Das Zimmer war von Speisegerüchen und Zigarettenrauch erfüllt. Die Damen tranken Likör. Sie mochten zwanzig Minuten gespielt haben, als die Klingel dreimal hintereinander ertönte, Zoé hastig eintrat und ohne viel Umstände sie aufstöberte.

Ihr könnt da nicht bleiben ... Wenn viele Leute kommen, brauche ich die ganze Wohnung ... Vorwärts ...

Madame Maloir wollte die Partei zu Ende spielen, aber als Zoé Miene machte, sich auf die Karten zu stürzen, entschloß sie sich, den Platz zu räumen. Sie nahm die Karten mit, ohne das Spiel zu zerstören; Madame Lerat nahm die Likörflasche, die Gläser und die Zuckerdose. So zogen sie sich in die Küche zurück, wo sie, zwischen Wischlappen, die zum Trocknen dalagen, und dem mit schmutzigem Wasser angefüllten Eimer sitzend, an der Ecke eines Tisches ihr Spielchen fortsetzten. Als Zoé in die Küche zurück kehrte, fand sie sie wieder in ihr Spiel versunken.

Wer ist gekommen? fragte Madame Maloir nach einer Weile.[57]

Niemand! erwiderte die Zofe geringschätzig. Ein kleiner, junger Mensch ... Ich wollte ihn fortschicken, aber er ist so hübsch mit seinem bartlosen Mädchengesicht und seinen blauen Augen, daß ich ihn doch warten hieß ... Er hält einen riesigen Strauß in Händen, den er um keinen Preis weglegen will. Man ist versucht, ihm den Hintern einzupfeffern; es ist sicher ein entlaufener Schulbub'.

Madame Lerat holte eine Flasche Wasser, um einen Grog zu bereiten. Die in Kaffee getauchten Zuckerstückchen hatten ihr Durst gemacht. Zoé brummte, sie müsse auch einen Schluck trinken. Ihr Mund sei gallbitter, sagte sie.

Wo haben Sie ihn hingesteckt?

Ins letzte Kabinett, das unmöblierte Zimmer. Es steht dort nichts als ein Koffer von Madame und ein Tisch. Dorthin stecke ich die ungehobelten Gläubiger.

Sie zuckerte sich ein Glas Grog, als die elektrische Klingel wieder ertönte.

Kreuzdonnerwetter! fluchte sie, will man einen nicht einmal ruhig einen Grog trinken lassen! Das kann gut werden, wenn das Läuten jetzt schon beginnt.

Sie lief aber doch hinaus.

Als sie zurückkam, sagte sie, den fragenden Blick der Maloir beantwortend:

Ein Blumenstrauß, sonst nichts.

Die drei Frauen tranken einander zu, dann räumte Zoé langsam die Tafel ab.

Draußen ertönte die Klingel noch zweimal. Zoé berichtete jedesmal:

Ein Blumenstrauß, sonst nichts.

Sie erzählte dann zum Ergötzen der beiden Alten, wie die Gläubiger draußen im Vorzimmer die Hälse reckten, als die Blumen gebracht wurden. Madame wird alle diese Sträuße auf ihrem Toilettetisch finden. Schade, daß diese[58] kostspieligen Dinger zu nichts wert sind. Das Geld ist rein hinausgeworfen.

Ich wäre mit dem Geld zufrieden, das die Männer in Paris täglich für Blumen für die Frauen hinauswerfen, bemerkte Madame Maloir.

Sie sind sehr bescheiden, brummte Frau Lerat, man könnte auch mit dem Bindfaden zufrieden sein, der zu diesen Sträußen verwendet wird.

Es war dreiviertel auf vier Uhr geworden. Zoé war erstaunt über das lange Ausbleiben ihrer Herrin. Madame pflegt sonst solche Nachmittagsausgänge sehr kurz abzutun.

Madame Maloir bemerkte, die Dinge gingen nicht immer so, wie man wolle.

Ja, es gibt viel Widerwärtigkeiten im Leben, fügte Frau Lerat hinzu. Es wäre übrigens das Beste zu warten. Ihre Nichte sei gewiß durch Geschäfte zurückgehalten. Übrigens sei man ja in der Küche nicht schlecht aufgehoben.

Die Klingel ertönte wieder.

Zoé kam aufgeräumt zurück.

Kinder, der dicke Steiner ist da, sagte sie im Flüstertone. Den habe ich im kleinen Salon untergebracht.

Frau Maloir gab der Frau Lerat, die diesen Herrn nicht kannte, Aufschlüsse über den Bankier.

Sollte er Rosa Mignon im Stiche gelassen haben? fragte sie dann.

Zoé nickte und meinte, sie könne darüber manches erzählen. Doch sie mußte wieder hinaus, denn es wurde wie der geläutet.

Nun, da ist uns ein Stein ins Haus gefallen, sagte sie, als sie zurückkehrte. Der Zigeuner ist da. Vergebens wiederholte ich ihm, daß Madame ausgegangen sei. Er hat sich im Schlafzimmer festgesetzt. Wir haben ihn erst für heute abend erwartet.[59]

Um einviertel auf fünf Uhr war Nana noch nicht zurück. Wo mochte sie nur bleiben? Die Sache war unbegreiflich. Es kamen noch zwei Sträuße. Zoé bereitete den beiden Alten, die über ihren Karten einzuschlafen drohten, Kaffee. Es schlug halb fünf. Entschieden mußte Madame etwas zugestoßen sein. Die drei Frauen flüsterten untereinander. Plötzlich hörte man hastige Schritte von der Hintertreppe her. Endlich war Nana da. Man hörte ihren keuchenden Atem, noch bevor sie die Tür geöffnet hatte. Sie war sehr rot und aufgeregt. Ihr Rock, von dem die Spangen abgesprungen waren, fegte die Treppe; die Spitzen hatte sie durch eine Pfütze geschleppt, die vom ersten Stockwerk hinabgeschüttet worden war.

Gott sei Lob, daß du endlich da bist! rief die Lerat. Du läßt die Leute nicht übel warten.

Madame handelt wirklich nicht klug, fügte Zoé hinzu.

Ohnehin verdrießlich geriet Nana durch diese Vorwürfe außer sich. Nach dem Ärger, den sie soeben überstanden, empfange man sie nun so.

Laßt mich in Ruhe, schrie sie.

Still, Madame, es sind Leute da, sagte Zoé.

Nana fuhr mit gedämpfter Stimme fort:

Glaubt ihr etwa, ich hätte mich unterhalten? Die Geschichte wollte kein Ende nehmen ... Ich wollte, ihr wäret dabei gewesen ... Ich war wütend und hatte nicht übel Lust, Ohrfeigen auszuteilen. Und keine Droschke, um zurückzukommen. Glücklicherweise ist es nicht weit von hier. Ich bin gerannt wie toll.

Hast du das Geld? fragte die Lerat.

Welche Frage! entgegnete Nana.

Sie hatte sich mit dem Rücken gegen den Feuerherd auf einem Sessel niedergelassen und zog ein Kuvert aus dem Mieder. Darin befanden sich vierhundert Franken. Man sah[60] die Banknoten durch einen breiten Riß, den sie mit dem Finger in das Kuvert gemacht hatte, um sich von seinem Inhalte zu überzeugen. Für die Lerat war es heute schon zu spät aufzubrechen; man vereinbarte, daß sie am folgenden Tage fahre.

Nana wollte sich in lange Erklärungen einlassen, aber die Zofe unterbrach sie mit den Worten:

Madame, es sind Leute da, die Sie erwarten.

Darüber geriet Nana wieder in Zorn. Die Leute sollen warten, bis sie mit ihren eigenen Angelegenheiten fertig sei.

Die Lerat streckte die Hand nach dem Geld aus.

Nein, nicht alles! rief Nana. Dreihundert Franken für die Amme, fünfzig Franken für die Reisekosten, fünfzig Franken behalte ich für mich.

Da galt es aber, einen Hundertfrankenschein zu wechseln. Das ging nicht so leicht, denn es waren keine zehn Franken im Hause. Sie wandte sich gar nicht an Madame Maloir, denn diese hatte nie mehr als sechs Sou für den Omnibus bei sich. Endlich ging Zoé hinaus und sagte, sie wolle in ihrem Koffer nachsehen. Sie kam bald darauf zurück und brachte hundert Franken in lauter Hundertsousstücken. Man zählte das Geld auf einer Ecke des Küchentisches. Madame Lerat entfernte sich sofort und versprach, Ludwig am folgenden Morgen zu holen.

Du sagst, daß Leute da sind? fragte Nana, noch immer sitzend und ausruhend.

Ja, Madame, drei Personen.

Sie nannte den Bankier zuerst. Nana schnitt eine Grimasse. Dieser Steiner ist sehr im Irrtum, wenn er glaubt, daß sie sich von ihm langweilen lasse, weil er ihr gestern einen Blumenstrauß zugeworfen.

Überdies habe ich genug davon, erklärte sie. Ich werde[61] nicht empfangen. Sage, daß du mich heute nicht mehr zu Hause erwartest.

Madame werden sich das überlegen und Herrn Steiner empfangen, erwiderte Zoé, ohne sich zu rühren, mit ernster Miene. Sie schien wütend darüber, daß ihre Herrin wieder im Begriffe stand, eine Dummheit zu begehen.

Dann erwähnte sie den Walachen, dem wohl auch schon die Zeit zu lang werden müsse. Nana geriet in Zorn und wurde noch hartnäckiger. Sie wolle niemanden empfangen. Wer habe ihr diesen lästigen Menschen auf den Hals gejagt?

Wirf das ganze Pack hinaus, rief sie. Ich will mit Madame Maloir eine Partie Bezigue spielen, das ist mir lieber.

Sie wurde durch die Klingel unterbrochen.

Das schlug dem Faß den Boden aus. Wieder einer, der sie langweilen wollte! Sie verbot Zoé, zu öffnen. Doch die Kammerfrau hörte nicht darauf, sondern ging hinaus und öffnete. Als sie zurückkam, übergab sie ihrer Herrin mit würdevoller Miene zwei Visitenkarten und berichtete:

Ich sagte diesen Herren, daß Madame empfangen, die Herren sind im Salon.

Nana war wütend aufgesprungen; die beiden Namen, die sie auf den Karten las, Marquis Chouard und Graf Muffat de Beuville, besänftigten sie. Sie schwieg einen Augenblick. Dann fragte sie:

Wer sind diese Leute, kennst du sie?

Ich kenne den Alten, erwiderte die Kammerfrau, indem sie in geheimnisvoller Weise den Mund spitzte.

Als ihre Herrin fortfuhr, sie mit den Blicken zu fragen, fügte sie einfach hinzu:

Ich habe ihn irgendwo gesehen.

Dieses Wort war für Nana entscheidend. Sie verließ mit Bedauern die Küche, dieses trauliche Plätzchen, wo man bei[62] dem Dufte des auf dem Herde brodelnden Kaffees sich so wohl befand und so gemütlich plaudern konnte. Sie ließ in der Küche Madame Mailor zurück, die jetzt Karten legte. Sie hatte ihren Hut noch immer nicht abgelegt; aber um bequemer zu sein, hatte sie die Bänder gelöst und auf ihre Schultern zurückgeworfen.

Nana befand sich im Toilettezimmer und schlüpfte dort mit Hilfe Zoés in einen Frisiermantel. Für den Verdruß, den man ihr verursachte, rächte sie sich durch derbe Flüche gegen die Männer.

Diese Roheiten brachten die Kammerfrau zur Verzweiflung. Madame will die Manieren ihrer Herkunft nicht ablegen. Sie ging so weit, ihre Herrin zu bitten, daß sie sich mäßigen möge.

Ah, was! entgegnete Nana schroff. Die Männer sind Schweine und lieben diese Manieren.

Dann nahm sie ihre Prinzessinhaltung an, wie sie es nannte. Sie wollte sich in den Salon begeben, aber Zoé hielt sie zurück und geleitete die Herren in das Toilettezimmer. Das war besser.

Meine Herren, sagte Nana mit studierter Höflichkeit, ich bedauere, daß ich Sie warten lassen mußte.

Die beiden Herren grüßten und nahmen Platz. Ein Vorhang von gesticktem Tüll hielt den Raum im Halbdunkel. Es war dies das vornehmste Zimmer in der ganzen Wohnung, mit einem hellen Stoff überzogen, eingerichtet mit einem Toilettetisch aus Marmor, einem großen Spiegel, einem Liegestuhl und Sesseln von blauem Samt. Auf dem Toilettetisch standen die vielen Sträuße von Rosen, Veilchen, Hyazinthen und verbreiteten einen durchdringenden, starken Duft, während aus den Fläschchen ein scharfer Patschuliduft ausströmte.

Nana raffte ihren schlecht befestigten Frisiermantel zusammen[63] und tat, als sei sie bei der Toilette überrascht worden.

Madame, sagte ernsten Tones der Graf Muffat, entschuldigen Sie unsere Zudringlichkeit ... Wir kommen mit einer Bitte ... Dieser Herr und ich, wir sind Mitglieder des Armenamtes von diesem Bezirk.

Der Marquis Chouard beeilte sich galant hinzuzufügen:

Als wir hörten, daß eine große Künstlerin in diesem Hause wohne, faßten wir den Entschluß, ihr unsere Armen besonders ans Herz zu legen. Das Talent geht immer mit der Mildtätigkeit.

Nana spielte die Bescheidene. Sie erwiderte diese Höflichkeit mit graziösem Kopfnicken und machte im stillen ihre Betrachtungen. Der Alte muß den anderen hergeführt haben ... Er hat gar zu spitzbübische Augen. Aber auch dem anderen ist nicht zu trauen; er hätte doch allein kommen können ... Sie werden sich wohl erst da getroffen haben.

Gewiß, meine Herren, Sie haben recht daran getan, bei mir vorzusprechen, sagte sie voll Herzlichkeit.

Die Klingel ertönte. Sie schreckte zusammen ... Wieder einer ... Und diese Zoé wird nicht müde zu öffnen.

Sie fuhr fort:

Man ist sehr glücklich, wenn man geben kann.

Sie war im Grunde geschmeichelt.

Ach, Madame, sagte der Marquis, wenn Sie wüßten, welches Elend ... Unser Bezirk, der noch zu den reichsten gehört, zählt mehr als dreitausend Arme. Sie können sich die Not nicht vorstellen. Hungernde Kinder, kranke Weiber, aller Hilfe entblößt, sterbend vor Kälte ...

Ach, die armen Leute! rief Nana gerührt aus.

Ihr Mitleid war so groß, daß Tränen in ihre schönen Augen traten. In einer ungezwungenen Bewegung hatte sie[64] sich vorgeneigt, wobei der Frisiermantel sich öffnete und ihren Hals sehen ließ, während ihre ausgestreckten Knie unter dem feinen Stoffe die Rundung ihrer Schenkel abzeichneten. Auf den fahlen Wangen des Marquis erschien ein blutroter Fleck. Der Graf Muffat, der eben im Begriffe war, das Wort zu ergreifen, senkte die Blicke zu Boden.

Es war sehr heiß in dem Zimmer; eine dumpfe Treibhausschwüle herrschte darin; der Duft der welkenden Rosen und des Patschuli vermischte sich.

Bei solchen Gelegenheiten möchte man sehr reich sein, fügte Nana hinzu. Schließlich tut jeder, soviel er kann. Wenn ich übrigens gewußt hätte, meine Herren ...

In ihrer tiefen Rührung war sie im Begriffe, eine Dummheit zu reden. Sie ließ den Satz unvollendet. Jetzt war sie in Verlegenheit, weil sie sich nicht erinnerte, wohin sie ihre fünfzig Franken getan, als sie ihr Kleid ablegte. Endlich fiel ihr ein, daß das Geld in einer Ecke des Toilettetisches unter einem umgestürzten Pomadetiegel liegen müsse. Als sie sich erhob, um das Geld zu holen, wurde stürmisch geläutet. Wieder einer! Das nimmt kein Ende! ... Der Graf und der Marquis hatten sich ebenfalls erhoben; letzterer spitzte die Ohren nach der Tür; ohne Zweifel war ihm diese Art zu läuten bekannt. Muffat blickte ihn an, dann wandten beide die Augen weg. Sie waren in Verlegenheit und nahmen eine kühle Haltung an, der eine mit seiner gedrungenen, kräftigen Gestalt und dem starken Haarwuchs, der andere seine mageren Schultern aufrichtend, auf die seine dünnen weißen Haare herabfielen.

Meiner Treu, ich werde Ihnen eine Last aufbürden, meine Herren, sagte Nana lachend, indem sie mit den zehn großen Geldstücken zurückkehrte.

Das ist für die Armen, fügte sie hinzu.

Dabei erschien das feine Grübchen im Kinn. Sie hatte[65] das Aussehen eines lieblichen Naturkindes, wie sie dastand, die Rolle Münzen auf der flachen Hand haltend und sie den beiden Herren anbietend, als ob sie sagen wolle: »Nun, wer mag sie?« Der Graf war flinker und nahm die fünfzig Franken; ein Geldstück war in Nanas Hand zurückgeblieben, er mußte, um es zu nehmen, die Haut des Mädchens berühren, eine warme, geschmeidige Haut, bei deren Berührung er zusammenfuhr. Sie war heiter und lachte noch immer.

Da haben Sie, meine Herren, wiederholte sie; ein andermal will ich mehr geben.

Sie hatten nunmehr keinen Vorwand, länger zu bleiben. Sie grüßten und wandten sich der Türe zu. In dem Augenblicke, als sie gehen wollten, ertönte wieder die Klingel. Der Marquis konnte ein flüchtiges Lächeln nicht unterdrücken, während der Graf noch ernster wurde. Nana hielt sie einen Augenblick zurück, damit Zoé Zeit gewinne, den neuen Ankömmling unterzubringen. Sie liebte es nicht, daß die Leute bei ihr einander begegneten. Ein Stein fiel ihr vom Herzen, als sie sah, daß der Salon leer war. Zoé scheint also die Besucher in die Schränke gesteckt zu haben.

Auf Wiedersehen, meine Herren! sagte sie, auf der Schwelle stehen bleibend.

Sie bezauberte beide mit ihrem Lachen und ihrem Blick. Graf Muffat verneigte sich. Trotz seiner weltmännischen Manieren war er verwirrt, er schnappte nach Luft und nahm einen sonderbaren Rausch mit aus diesem Zimmer, Blumenduft und Frauenduft, der ihn fast erdrückte. Hinter ihm ging der Marquis Chouard. Als dieser sicher war, von dem andern nicht gesehen zu werden, wagte er es, Nana mit den Augen zuzuwinken; sein Gesicht war entstellt, die Zunge hing ihm fast zum Munde heraus.

Als Nana in das Zimmer zurückkehrte, wo Zoé sie mit[66] Briefen und Visitenkarten erwartete, rief sie mit lautem Gelächter aus:

Diese zwei Bettler haben meine fünfzig Franken mitgenommen!

Sie war nicht mehr zornig; sie fand es vielmehr sehr drollig, daß die Herren ihr Geld davongetragen hatten. Immerhin war es eine Schweinerei, denn sie stand jetzt ohne Sou da. Die Briefe und Visitenkarten versetzten sie wieder in üble Laune. Die Briefe gingen noch an. Sie kamen von Herren, die sie gestern im Theater bewunderten und ihr jetzt Liebeserklärungen machten. Was die Besucher betrifft, wird sie sie fortschicken.

Zoé hatte überall einen hingesteckt, sie machte die Bemerkung, daß die Wohnung sehr bequem eingerichtet sei, weil jedes Zimmer einen eigenen Eingang habe. Bei Madame Blanche war es anders; dort mußte man durch den Salon gehen. Madame Blanche hatte deshalb auch große Verdrießlichkeiten.

Du wirst alle diese Leute wieder fortschicken, sagte Nana, mit dem Zigeuner fang an.

Den habe ich schon längst expediert, sagte Zoé lachend. Er wollte Madame nur mitteilen, daß er heute abend nicht kommen könne.

Das war eine gute Botschaft; Nana schlug freudig in die Hände. Also frei! Sie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als ob sie von einer schweren Sorge erlöst worden sei. Ihr erster Gedanke gehörte Daguenet. Sie hatte dem Armen geschrieben, daß er bis Donnerstag warten müsse. Rasch! Madame Maloir muß einen anderen Brief schreiben. Allein Zoé sagte, Madame Maloir sei ihrer Gewohnheit gemäß durchgegangen, ohne daß es jemand gemerkt habe.

Nana dachte einen Augenblick daran, jemanden zu Daguenet zu schicken, aber sie zögerte ... Sie fühlte sich im[67] Grunde recht müde. Eine ganze Nacht schlafen; wie gut wäre das! ... Der Gedanke entzückte sie. Einmal dürfe sie sich das wohl gönnen.

Ich werde nach dem Theater zu Bett gehen, sagte sie zu Zoé, im Vorgefühle dieses Vergnügens schwelgend, du wirst mich vor morgen mittag nicht wecken.

Dann fügte sie mit lauter Stimme hinzu:

Vorwärts, jetzt wirf mir die ganze Bande auf die Straße hinaus!

Zoé rührte sich nicht. Sie erlaubte sich zwar nicht, ihrer Gebieterin Ratschläge zu erteilen, aber sie wollte ihr doch mit ihrer Erfahrung zu Hilfe kommen, wenn sie sehe, daß Madame sich von ihrem Eigensinn fortreißen lasse.

Herrn Steiner auch? fragte sie kurz.

Gewiß, sagte Nana; den zu allererst.

Die Zofe wartete noch eine Weile, um ihrer Herrin Bedenkzeit zu lassen. Sollte denn Madame nicht stolz darauf sein, ihrer Rivalin Rosa Mignon einen so reichen, in allen Theatern so bekannten Herrn wegzufischen?

Eile dich, meine Liebe, sagte Nana, die vollkommen begriff, was sie tat, und sage ihm, daß er mir langweilig ist ...

Plötzlich wurde sie nachdenklich. Wie, wenn sie am folgenden Tage ihn haben wollte? ... Dann aber rief sie mit der Gebärde eines Straßenjungen, lachend und mit den Augen zwinkernd:

Ach was, wenn ich haben will, daß er sicher wiederkommt, muß ich ihn erst recht hinauswerfen!

Zoé war verblüfft. Sie betrachtete ihre Herrin voll Bewunderung und entfernte sich, um Steiner den Laufpaß zu geben.

Nana wartete einige Minuten, damit Zoé Zeit gewinne »auszukehren«, wie sie es nannte. Die Sache ging übrigens rasch vonstatten. Nana steckte den Kopf in den Salon und[68] fand diesen leer; dann blickte sie in das Speisezimmer, auch hier war niemand. Als sie, beruhigt und sicher, niemanden mehr zu finden, ihren Rundgang fortsetzte, stieß sie in einem Kabinett plötzlich auf einen ganz jungen Menschen. Er saß still und artig auf einem hohen Koffer, einen riesigen Strauß auf den Knien haltend.

Ach, mein Gott, rief sie, da ist ja noch einer!

Der junge Mann war, als er ihrer ansichtig wurde, rot wie eine Klatschrose aufgesprungen. Er war so erregt, daß er mit seinem Strauß nichts anzufangen wußte, er nahm ihn von einer Hand in die andere. Seine Jugend, seine Verlegenheit, sein drolliges Gehaben mit den Blumen stimmten Nana günstig; sie brach in ein Gelächter aus.

Also auch die Kinder ... Da kommen ja die Männer scharenweise ans Gängelband ...

Sie überließ sich ihrer guten Laune, nahm einen vertraulichen, mütterlichen Ton an, klopfte sich auf die Schenkel und fragte:

Du willst dir also die Nase putzen lassen, Kleiner?

Ja, sagte der junge Mensch in leisem, flehendem Tone.

Diese Antwort stimmte sie noch heiterer.

Er sei siebzehn Jahre alt, erzählte er, und heiße Georges Hugon. Gestern sei er im Theater gewesen, und nun sei er gekommen, sie zu sehen.

Und diese Blumen sind für mich?

Ja!

So gib sie her, Närrchen!

Als sie ihm den Strauß abnahm, stürzte er sich auf ihre Hände mit dem Ungestüm seines jugendlichen Alters. Sie gab ihm einen leichten Schlag, damit er ihre Hände wieder losließ. Während sie ihn schalt, kehrte ihre gute Laune wieder; ihre Wangen röteten sich, sie lächelte. Dann schickte sie ihn fort, indem sie ihm gestattete, wiederzukommen.[69] Er war trunken vom Glück und fand kaum die Türe.

Nana kehrte in ihr Zimmer zurück, wo Francis bald darauf eintraf, um sie für den Abend zu frisieren. Sie saß still und träumerisch vor dem Spiegel, ihren Kopf den geschickten Händen des Friseurs überlassend, als Zoé eintrat und meldete:

Madame, einer ist da, der nicht gehen will.

So laß ihn hier, sagte sie ruhig.

Ja, so werden wir das Haus nie leer bekommen.

Laß die Leute nur warten; wenn sie hungrig sind, werden sie fortgehen.

Ihre Gedanken hatten eine andere Richtung genommen. Sie war entzückt davon, die Männer Maulaffen feilhalten zu lassen. Um ihre Freude voll zu machen, entschlüpfte sie den Händen des Friseurs und lief selbst zu den Türen, um die Riegel vorzuschieben. Nun mögen sie sich versammeln, durch die Mauer werden sie doch nicht rennen. Zoé kann ja durch die kleine Tür eintreten, die nach der Küche führt. Inzwischen läutete die elektrische Klingel. Alle fünf Minuten ertönte ihr heller, zitternder Klang mit der Regelmäßigkeit einer Maschine. Nana zählte die Ankömmlinge, um sich zu zerstreuen. Plötzlich fiel ihr etwas ein.

Meine Krachmandeln, sagte sie.

Francis hatte vergessen, ihr die Krachmandeln zu übergeben. Er zog aus der Tasche seines Überrockes einen Papiersack mit der Miene eines Weltmannes, der seiner Freundin ein Geschenk überbringt. Das hinderte ihn aber nicht, die Krachmandeln auf die Rechnung zu stellen. Nana nahm den Papiersack zwischen die Knie und begann zu essen.

Alle Wetter, brummte sie nach einer Weile, ist das eine Bande![70]

Die Klingel war dreimal hintereinander in Bewegung gesetzt worden. So ging es fort. An der Art zu läuten konnte man schon merken, ob ein Neuling oder ein Erfahrener kam. Ein wahres Sturmläuten, wie Zoé sagte, um ein ganzes Stadtviertel in Aufruhr zu versetzen; eine Armee von Männern auf den Beinen, einer nach dem andern kam, um auf den Elfenbeinknopf der Klingel zu drücken. Bordenave scheint aller Welt ihre Adresse gegeben zu haben. Das ganze Theaterpublikum von gestern drohte zu kommen.

Beiläufig, Francis, sagte Nana plötzlich, haben Sie fünf Louisdor?

Francis trat einige Schritte zurück, betrachtete die Frisur und sagte ruhig:

Fünf Louisdor? Je nachdem ...

Ach, wenn Sie Sicherstellung brauchen ... erwiderte sie.

Ohne den Satz zu vollenden, wies sie mit einer Handbewegung auf die Einrichtung ihres Zimmers.

Francis lieh ihr die fünf Louisdor. Zoé kam in den Zwischenpausen, die das häufige Öffnen der Türe ihr ließ, um Madames Toilette vorzubereiten. Sie mußte ihre Herrin bald ankleiden, während der Friseur wartete, um noch die letzte Hand an die Frisur zu legen. Die Klingel störte die Kammerfrau, so daß sie ihre Herrin halb geschnürt oder mit einem Schuh warten lassen mußte. Zoé hatte trotz ihrer Erfahrung völlig den Kopf verloren. Nachdem sie die Männer schon in alle erdenklichen Winkel gesteckt hatte, mußte sie jetzt schon drei bis vier in einen Raum zusammenstecken, was gegen ihre Grundsätze war.

Nana machte sich hinter ihren Riegeln über die Besucher lustig und sagte, daß sie sie schnaufen höre. Sie müßten drollige Gesichter machen da draußen, die Zunge hängen lassen wie Hündchen, die auf ihrem Hintern im[71] Kreise dasitzen. Ihr Erfolg von gestern abend dauerte fort. Die Männermeute war ihr auf der Spur.

Daß sie mir nur nichts zerbrechen, murmelte sie.

Die Lage wurde langsam unbehaglich, sie spürte den heißen Atem durch die Ritzen hereindringen. Sie stieß einen Ruf der freudigen Überraschung aus, als Zoé Labordette hereinführte. Der junge Mann wollte ihr von einer Rechnung erzählen, die er für sie bei dem Friedensrichter beglichen hatte; allein sie hörte ihn nicht an, sondern rief:

Ich entführe Sie; wir essen miteinander zu Mittag. Dann begleiten Sie mich ins Theater. Ich trete erst um halb zehn Uhr auf.

Der gute Labordette war zur rechten Zeit gekommen. Er verlangte nie etwas. Er war einfach der Freund der Frauen, der ihre kleinen Angelegenheiten in Ordnung brachte. So hatte er auch im Vorbeigehen die Gläubiger im Vorzimmer verabschiedet.

Die braven Leute verlangten übrigens gar nicht ihr Geld; im Gegenteil, sie waren gekommen, um Nana zu ihrem Erfolge zu gratulieren und ihr weiteren Kredit anzubieten.

Fliehen wir, sagte Nana, als sie angekleidet war.

Zoé trat ein und sagte:

Madame, ich wage es nicht zu öffnen, auf der Treppe steht eine Reihe von Menschen.

Eine Reihe von Menschen?

Selbst Francis, der seine Kämme ordnete, mußte lachen trotz der englischen Ruhe, die er zur Schau trug. Nana nahm den Arm Labordettes und schob ihn in die Küche. Dann flüchtete sie mit ihm über die Hintertreppe, glücklich, den Männern entronnen zu sein, weil sie wußte, daß man mit ihm allein sein konnte, ohne Dummheiten befürchten zu müssen.[72]

Sie werden mich bis zu meiner Türe zurückbegleiten, sagte sie. So werde ich geborgen sein ... Denken Sie sich, ich will einmal eine ganze Nacht schlafen ... Das ist so eine Laune von mir.

Quelle:
Zola, Emile: Nana. Berlin, Wien 1923, S. 43-73.
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