Siebenter Auftritt.

[75] Abellino, als hochbetagter Greis, in der Tracht eines Nobili, nähert sich langsam Rosamunden. Im Hintergrunde zwischen Gebüschen wird von Zeit zu Zeit Matteo sichtbar.


ROSAMUNDE überrascht.

Ah! wer kömmt, mich jetzt zu stören?

ABELLINO.

Ein Paar altersblöde Augen,

Und der Krückstab, wahrlich, taugen

Schlecht zum Botendienst und Suchen.

ROSAMUNDE ihn mitleidig betrachtend.

Signor, und wen sucht Ihr Euch?

ABELLINO.

Eine Lilie ohne Stütze,

Die der erste Sturm zerknickt;

Eine unschuldsvolle Taube,

Ueber welcher in den Lüften

Schon der Falke gierig flattert;

Rosamunden, die erlauchte

Nichte unsers Herrn und Fürsten.

ROSAMUNDE.

Die Ihr sucht, ist leicht zu finden,

Weil sie selber vor Euch steht.

ABELLINO.

So betrog mich nicht die Ahnung!

So viel Mild und Majestät,

Einer Andern angehören?[76]

ROSAMUNDE.

Wahrlich, nie hätt' ich's erwartet,

Blumen noch für mich im Schnee

Eurer Winterzeit zu finden.

Doch, um Blumen mir zu senden,

Habt Ihr mein wohl nicht begehrt?

ABELLINO.

Nein, Signora, spottet nicht,

Wenn ein Greis in Eurer Nähe

Das verlorne Paradies

Seines Lebens wieder sieht! –

Würde doch der stille Zauber

Eurer Anmuth, Eurer Tugend,

Auch im kalten Marmorsteine

Flammen des Gefühls entzünden,

Und blutdürst'ge Tiger binden.

Aber dennoch ... glaubt's, Signora,

Glaubt, das größte Ungeheuer,

Welches die Natur gebar,

Folgt gehorsam dem Gebote

Seiner Mutter, der Natur;

Aber furchtbar ist der Mensch,

Welcher, die Natur verlachend,

Nicht der Welt mehr, nicht dem Himmel,

Nur sich selbst noch angehört;

Welcher einsam, wie ein Satan,

Losgesprochen von der Schöpfung,

Auf den Trümmern alles Schönen

Seiner Selbstsucht Thron erbaut.

ROSAMUNDE verlegen.

Ich versteh' Euch nicht ... mir graut ...[77]

ABELLINO leise.

Grau'nvoll, freilich! Menschen sind es,

Die Euch nach dem Leben trachten.

ROSAMUNDE lächelnd.

Mir? O scherzt nicht, würd'ger Alter!

Traun, Euch treibt ein Mißverständniß

In die finstre Sorg' um mich.

Ist vielleicht bei meinem Namen

Ein unfreundlich Wort erklungen?

Nun, Ihr wißt's, der Menschen Zungen

Sind oft schlimmer, als ihr Herz.

ABELLINO.

Engel sehen unterm Himmel

Ueberall nur ihres Gleichen;

Ja, auch in der Hölle selbst,

Weinend nur gefallne Engel.

O Signora ... hören müßt Ihr's ...

Glauben müßt Ihr's ... Euerm Leben

Wird von Mördern nachgestellt.

ROSAMUNDE bestürzt.

Herr, was wollet Ihr?

ABELLINO.

Euch warnen.

ROSAMUNDE.

Und wer seid Ihr?

ABELLINO.

Euer Schutzgeist.

ROSAMUNDE.

Ihr nicht ... Gott wird mich bewachen!

ABELLINO.

Er hat mich hieher gesandt.[78]

ROSAMUNDE ängstlicher.

Wer? – Ihr redet irre, Signor.

Laßt mich, daß ich mich entferne.

ABELLINO leise.

Bleibet! Fürchtet nichts. Vertraut mir.

Nur ein Schritt von dieser Stelle,

Und der Tod hat Euch erbeutet.

Redet leise! Zittert nicht!

Laßt, ich bitt', Euch nichts befremden,

Was in diesem Augenblicke

Gräßliches begegnen kann.

Dieses nur bekennt mir noch;

Dies nur bei dem ew'gen Rächer

Aller Schuld beschwör' ich Euch!

Sprecht: habt Ihr das stolze Herz

Irgend eines Mann's verhöhnt?

Irgendwo die düstern Gluten

Einer Eifersucht empört?

Sinnt umher! Nennt mir den Namen;

Denn Ihr nennt den Namen dessen,

Der dem Dolche Euch geweiht hat.

ROSAMUNDE mit Hoheit.

Was hab' ich mit Euch zu schaffen?

Hebet Euch von hinnen, Alter;

Ich befehle ...

ABELLINO.

Nimmermehr!

Höret mich! Fasset Zuversicht!

Unsichtbar in dieser Nähe

Schleicht der Tod schon, und der Mordstahl

Gegen Eure Brust gerichtet.[79]

ROSAMUNDE.

Flieht, wahnsinn'ger alter Mann.

Nur das Mitleid hindert mich,

Hilfe mir herbei zu rufen.

ABELLINO seiner Greisenrolle vergessend, in voller Kraft aufgerichtet.

Täuscht Euch nicht, erlauchtes Fräulein!

Euer Schutzgeist wird nicht weichen.

Fasset Muth, die Macht der Hölle

Soll kein Haar von Euerm Haupte

Krümmen dürfen, keins entweihn!

ROSAMUNDE mit Grausen.

Gott im Himmel, – Mensch, wer bist du?

ABELLINO.

Abellino ist mein Name.

Heilige, gedenket seiner,

Wenn Venedig ihn verdammt.

ROSAMUNDE.

Unmensch, möchtest du mich morden?

Hilfe!

ABELLINO drängt sie gewaltsam in die Laube.

Still, Unglückliche!


Er pfeift.


Quelle:
Heinrich Zschokke: Gesammelte Schriften. Band 15, Aarau 1865, S. 75-80.
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