[131] In allen Gassen

Der Einzug des jungen Ehepaars in die Residenz war ungemein prachtvoll; Triumphbogen an Triumphbogen verfinsterten beinahe alle Straßen. Nicht nur waren in jedem Bogen sehr geschmackvolle Gemälde von Katzen zur Augenweide der Fürstin angebracht, sondern einige der Triumphpforten bestanden aus einer sinnreichen Verkettung allerliebster kleiner ausgestopfter Katzen, die einander zu jagen schienen. Aus allen Fenstern ließ man Katzen sehen, die sich jedoch meistens übel gebärdeten und schrien, ohne Zweifel aus unnötiger Furcht, herabzufallen. Dies allgemeine Miauen der Katzen ward für diese Tierart gewissermaßen ansteckend und so stark, daß die kleinen Kinder davor heftig erschraken und ihr Geschrei in die herrschende Tonart mischten. Die fürstlichen Jagd-, Wind- und Hofhunde, welche vor dem Wagen herliefen, wie auch alle übrigen bürgerlichen[131] Hunde, die sich aus Neugier wie andere Zuschauer von ungefähr auf den Straßen befanden, sahen und hörten mit gerechtem Erstaunen an allen Fenstern die zahllose Menge ihrer natürlichen Erbfeindinnen und gerieten in große Bewegung. Einige sprangen bellend rechts und links, andere vor Wut heulend gegen die Mauern der Häuser auf, andere kläfften aus Nachahmung oder Sympathie den übrigen nach.

Man hatte bei dieser vorlauten Konversation der Hunde und Katzen die größte Mühe, sein eigenes, menschliches Wort zu verstehen. Einige Zuschauer, um die ehrfurchtsvolle Stille wiederherzustellen, riefen: »Hunde weg!« Andere schrien dagegen: »Katzen weg!« Und im Eifer aller erhob sich ein Gebrüll von Tönen der verschiedensten Art, daß beinahe die Rosse scheu wurden. Man mußte sie wirklich halten, besonders da unter dem Hauptehrenbogen in der Mitte der Stadt der Magistrat, wie man zu sagen pflegt, en corps oder leiblicherweise erschien, und der Amtsbürgermeister das Entzücken des Landes in einer vortrefflichen, von ihm selbst verfaßten Rede auszusprechen hatte. Auch stellte er sich dem fürstlichen Paare, das im Prunkwagen beisammensaß, gegenüber und hob die Rede an. Allein des Geschreies, Bellens, Miauens, Rufens war um ihn her so viel, daß er wohl merkte, ohne höchste Anstrengung seiner Sprachwerkzeuge wäre es hier um die Pracht seiner Rede, um die überraschendsten Gegensätze, Blumen und Vergleichungen getan. Zum Glück war er ein baumstarker Herr, dem es nicht an Stimme abging, da er im Rate seit zwanzig Jahren gestimmt hatte. Er überschrie auch wirklich das ungeheure Getöse sehr glücklich und ward dabei kirschbraun im Gesicht. Die nervenschwache Fürstin im Wagen hielt sich aber in wahrhafter Seelenangst beide Hände vor die Ohren, und Nikodemus donnerte und wetterte rechts und links aus dem Kutschenschlage. Inzwischen glaubte das Volk, weil man bei dem allgemeinen Toben kein einziges Wort verstand, der Fürst bezeuge nur die Empfindungen seines Dankes gegen die Liebe der treuen Untertanen,[132] und jauchzte nun desto ärger ein feierliches Vivat und Lebehoch dazwischen. Auch las man in allen Zeitungen und Journalen jener Tage gedruckt, wie groß der Jubel des Volks, wie herzlich die Erkenntlichkeit des Landesvaters und wie innig die tiefe Rührung der Fürstin gewesen sei, denn in der Tat fing sie, da sie keine Hilfe finden konnte, vor Zorn an zu weinen. Der redende oder vielmehr schreiende Amtsbürgermeister nahm den größeren Teil dieser köstlichen Tränen auf Rechnung seiner wirklich erschütternden Rede, wandte sich nun vorzugsweise gegen die Fürstin, welche er noch einschaltungsweise mit allen Göttinnen des hohen Olympos verglich, und endete nicht, bis er die letzte Phrase glücklich angebracht hatte.

Darauf jagte der fürstliche Wagen in vollem Galopp zum Schlosse. Allen sausten die Ohren noch zwei Stunden nachher davon, am meisten der nervenschwachen Fürstin. So ohrenkrank war sie, daß kein Mensch sie mehr laut anreden, sondern nur leise flüstern durfte, und sie keinen größeren Kummer hatte, als daß sie am Abend noch einem Konzert der fürstlichen Hofkapelle beiwohnen sollte. Zwar hatte aus zärtlicher Rücksicht für die junge Gemahlin Nikodemus dem Kapellmeister selbst verboten, Blasinstrumente, selbst Flöten nicht anzuwenden. Dennoch beruhigte sie das nicht, und sie äußerte sich gegen den Ordenskanzler im Vertrauen, daß, da nun einmal das Konzert sein müsse, sie ihm die größte Verbindlichkeit haben würde, wenn er die Kapelle bewegen könnte, so leise zu spielen, daß man es kaum höre.

Hans Dampf war dazu bereit, aber fand bei der Kapelle über das beständige Pianissimo heftigen Widerspruch. Man weiß, Künstler haben ihren Eigensinn. Der Kapellmeister verhieß zwar, die Instrumente vor Erscheinung des fürstlichen Paars stimmen zu lassen, um Hochdero Ohren mit den unleidlichen und unvermeidlichen Dissonanzen zu verschonen, versprach auch, eine andere Auswahl der Tonstücke zu treffen, wobei es leise genug hergehen könne; aber eine etwas geräuschvolle, brillante[133] Ouvertüre wollte er sich schlechterdings nicht nehmen lassen, weil er sie selbst gesetzt und schon daraus Trompeten, Pauken, Fagotts, Klarinetten und andere Blasinstrumente weggestrichen hatte.

Natürlich setzten diese Äußerungen des unerbittlichen Kapellmeisters den dienstbeflissenen Ordenskanzler in große Verlegenheit; doch hoffte er noch einen Mittelweg ausfindig zu machen. Und er fand ihn wirklich. Um den scharfen, nervenerschütternden Strich der Geigen einigermaßen zu mildern, schlich er sich vor Ankunft des Hofes ins Orchester und seifte in großer Geschwindigkeit alle Violinenbogen ein. Der Hof kam. Die Künstler der Kapelle traten aus dem Nebenzimmer ins Orchester. Jeder nahm seinen gebührenden Stand ein, der Kapellmeister voran. Dieser hob den papiernen Kommandostab, und auf seinen ersten Wink sollten sich die Harmonien der brillanten Ouvertüre rauschend ergießen. Diesmal aber behielt Hans Dampf recht.

Zwar fuhren unter dem ersten Wink des Kapellmeisters alle Fiedelbogen mutig auf den Geigen ab und auf; aber es ward kein Ton laut, und eine furchtbare Todesstille herrschte. Der Kapellmeister warf einen grimmigen Blick auf seine Kunstgenossen, hob den Arm noch einmal und winkte mit einem starken Druck des Leibes von neuem. Alle Violinen setzten sich von neuem in Bewegung, doch blieb das zweite Manöver so fruchtlos wie das erste. Das fürstliche Auditorium fürchtete, mit Taubheit geschlagen zu sein. Der Argwohn des Kapellmeisters, daß man aus Neid ungehorsam sei, ward verzeihlich. Er rief voll unterdrückten Grimmes mit gedämpfter Stimme durch das Orchester: »Nun, wird's endlich einmal?« Dabei drehte er sich um, die Geigenkünstler zu beobachten, hob den Arm, winkte zum drittenmal, und die Künstler, voller Erstaunen und wahrhafter Todesangst, arbeiteten zum drittenmal umsonst. Jetzt erkannte der Kapellmeister mit Erblassen die Ohnmacht aller Violinen. Der ganze Hof erhob ein Gelächter. Aber der Fürst,[134] welcher sich auf seine Kapelle viel zugut tat und damit bei seiner Gemahlin Ehre einlegen wollte, nahm die große Verstummung übel auf, hieß die Kapelle zur Hölle gehen und verließ mit der Fürstin und dem ganzen Hof den Saal.

Es konnte unmöglich lange ein Geheimnis bleiben, warum die brillante Ouvertüre dreimal blind abgefeuert worden sei. Hans Dampf hatte selber die Ursache ausgeplaudert. Vielleicht wäre die zartnervige Fürstin seine dankbare Fürsprecherin geworden; allein sie vernahm ebensoschnell, daß Hans Dampf durch seinen Einfluß der wirkliche Urheber nicht nur der bekatzten Ehren- und Triumphpforten, sondern auch überhaupt des erschrecklichen Katzenlärmens gewesen sei, dessen sie, wie sie versicherte, zeitlebens eingedenk sein würde. Dadurch mußte der Sturz des Ordenskanzlers unvermeidlich werden. Die Fürstin bei ungnädiger Laune befahl ihm, den Hof zu meiden; der Fürst, um sich und seiner Gemahlin Genugtuung zu verschaffen, wies ihn sogar aus dem Lande.

Hans Dampf, bei dem sich die Hiobsbotschaften durchkreuzten, kratzte sich hinter den Ohren und seufzte: »Undank ist der Welt Lohn!«, packte ein, hüllte sich in seine Tugend und reiste nach Lalenburg ab.

Quelle:
Heinrich Zschokke: Hans Dampf in allen Gassen. Frankfurt a.M. 11980, S. 131-135.
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