Kanalgase

[330] Kanalgase, die in den Abzugskanälen befindliche Luft.

Dieselbe ist in gutgebauten, gutgelüfteten und -gespülten Straßenkanälen, abgesehen von gewöhnlich etwas größerem Kohlensäuregehalt (nach Büsing [s. Literatur] 2,2–5,0 l im Kubikmeter Kanalluft), in chemischer und bakteriologischer Hinsicht nicht schlechter als die Oberflächenluft. Dagegen besitzt sie, wie dies in der Natur der Dinge liegt, einen mehr oder minder auffälligen kellerluftartigen, modrigen, zeitweise auch fauligen Geruch; letzteren namentlich nächst den Mündungen von Hausentwässerungskanälen, welche stark fäkalienhaltige Flüssigkeiten, z.B. den Inhalt von Trogklosetts, den Straßenkanälen zuführen.

In den Hauskanälen selbst können auch bei der besten Anlage durch die an den Innenwänden der Röhren haftende Schmutzhaut, welche nicht wie bei den Straßenkanälen durch einen besonderen Reinigungsbetrieb regelmäßig entfernt wird, faulige und ekelhafte Gerüche entstehen. – Die Kanalgase sind unter allen Umständen durch gute Wasserverschlüsse und Lüftungseinrichtungen von unsern Hausräumen fern zu halten, mögen sie nun, wie dies teilweise in England noch angenommen wird, imstande sein, unmittelbar Infektionskrankheiten hervorzurufen (Kanalgastheorie), oder aber seien sie durch Verschlechterung der Atmungsluft nur mittelbar im stande, die menschliche Gesundheit zu schädigen. Die letzte Ansicht wird hauptsächlich von deutschen Hygienikern und Aerzten vertreten und ist die vorherrschende geworden.

Den Kanalbetriebsarbeitern sind die Kanalgase der Straßenkanäle bei geordnetem Betriebe erfahrungsgemäß nicht schädlich. Jedoch ist in schlechtgebauten und schlechtgereinigten Kanälen sowie in solchen, die noch mit Abortgruben in unmittelbarer Verbindung stehen, die Anwesenheit von Schwefelwasserstoffgas und somit hierdurch die Möglichkeit von Unglücksfällen nicht ausgeschlossen. Auch kann, wie schon öfters geschehen, der Fall eintreten, daß aus undicht gewordenen Gasröhren Leuchtgas in die Kanäle eindringt und durch Vergiftung oder durch Explosionen Schädigungen und Unglücksfälle bewirkt. Ebenso sind durch unerlaubtes Einleiten von leicht entzündlichen und dabei stark verdunstenden Flüssigkeiten, wie Benzin, schon Explosionen in den Kanälen entstanden (Frankfurt a.M. und Charlottenburg). – Durch gute Lüftung der Kanäle (s. Kanalisation) werden die besprochenen Beimengungen[330] der Kanalluft infolge des hierdurch bewirkten starken Luftwechsels in der Regel rasch unschädlich gemacht. Alte Kanäle, tot endigende, geschlossene Kanalstrecken und Schächte sind stets mit Vorsicht und nur mit Sicherheitslampe versehen zu betreten.


Literatur: Soyka, J., Kritik der gegen die Schwemmkanalisation erhobenen Einwände, München 1880, S. 3 ff.; Naegeli, v., Die niederen Pilze in ihren Beziehungen zu den Infektionskrankheiten, München 1878; Ders., Uebergang von Spaltpilzen in die Luft, Zentralblatt s.d. medizin. Wissenschaften 1882; Renk, Die Kanalgase, München 1882; Soyka, Untersuchungen zur Kanalisation, München 1885; Miquel, Septième mémoire sur les organismes microscopiques de l'air et de l'eau, Annales de Montsouris, Paris 1885; Deutsche Vierteljahrsschr. für öffentliche Gesundheitspflege 1896, Bd. 28, Heft 1, Die Schädlichkeit der Kanalgase und Sicherung unsrer Wohnräume gegen dieselbe, S. 152 ff.; Röchling, Technische Einrichtung für Wasserversorgung und Kanalisation in Wohnhäusern, Braunschweig 1895; Deutsche Vierteljahrsschr. für öffentliche Gesundheitspflege, Bd. 27 u. 28, 1895 96; Büsing, Die Kanalisation, Handbuch für Hygiene von Weyl, S. 229 ff., Jena 1894; Behring, Die Bekämpfung der Infektionskrankheiten, Leipzig 1894, S. 309 ff.; Hygienische Rundschau 1896, 6. Jahrg. Sehr Ausführliches geben: Büsing, F.W., Die Städtereinigung, Stuttgart 1897, 1. Heft, S. 112–146; Frühling, A., Die Entwässerung der Städte, Handbuch der Ingenieurwiffenf.ch., Leipzig 1903, 3. Teil, Bd. 4, S. 209–228. Wegen Benzinexplosionen s. Zeitschr. Gesundheit, Leipzig 1906, Nr. 23, S. 734.

J. Brix.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 5 Stuttgart, Leipzig 1907., S. 330-331.
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