Phasenregel, Gibbssche [2]

[597] Phasenregel, Gibbssche. – Bedeuten Ph die Anzahl Phasen (s.d.) eines Systemes und B die der unabhängigen Bestandteile (das sind die zum Aufbau des Systems unbedingt notwendigen Komponenten, z.B. vom System »H2O, H2, O2« nur H2 und O2, weil H2O aus diesen gebildet werden kann), ferner F die Zahl der Freiheitsgrade (s. Freiheitsgrade, S. 298), so gilt Tür den Gleichgewichtszustand

Ph + F = B + 2.

Da F nicht negativ sein kann (mindestens null!), so besagt die Gleichung: ein System von B unabhängigen Bestandteilen kann höchstens in B + 2, jedoch auch in weniger Phasen im Gleichgewichtszustande sein (Ph Phasenregel, Gibbssche [2] B + 2).

Man darf keinesfalls die Gleichung so auffassen, als ob B unabhängige Bestandteile überhaupt höchstens B + 2 Phasen besitzen können. So kennt man z.B. vom Schwefel (also B = 1) 4 Phasen, nämlich die rhombische, monokline, flüssige und gasförmige. Das nur besagt die Gibbssche Phasenregel, daß höchstens B + 2, also in diesem Fall 3 Phasen, miteinander im Gleichgewicht sein können, was in der Tat auch beim Schwefel zutrifft. Das Gleichgewicht heißt für den Fall

F = 0 nonvariant,

F = 1 vollständig,

F Phasenregel, Gibbssche [2] 2 unvollständig.

Beispiele. Nonvariantes Gleichgewicht: Nur in einem einzigen pt (Druck, Temperatur) Punkte herrscht Gleichgewicht.

B = 1: Eis-Wasser-Wasserdampf sind nur bei p = 4,58 mm Quecksilber und t = + 0,0075° C

im Gleichgewicht.

B = 2: Eis-Salz-gesättigte Lösung-Dampf.[597]

Vollständiges Gleichgewicht.

B = 1: Wasser-Wasserdampf (s. Freiheitsgrad).

B = 2: Salz-gesättigte Salzlösung-Dampf.

Der Dampfdruck und damit der Zustand des Systems ist abhängig von der Temperatur t, dasselbe gilt von der Dissoziationsspannung von Calciumkarbonat:


Phasenregel, Gibbssche [2]

Unvollständiges Gleichgewicht.

B = 2: ungesättigte Salzlösung-Dampf.

Der Dampfdruck und damit der Zustand des Systems ist abhängig von t und der Konzentration des Salzes in der Lösung. (Bekanntlich vermindert sich der Dampfdruck einer Salzlösung mit der Zunahme der Konzentration derselben.)


Literatur: [1] Nernst, Theoretische Chemie, 7. Aufl., Stuttgart 1913. – [2] Remsen-Seubert, Anorganische Chemie, 4. Aufl., Tübingen 1909. – [3] Chwolson, Lehrbuch der Physik, Bd. III, Braunschweig 1905. – [4] Planck, Thermodynamik, 3. Aufl., Leipzig 1911. – [5] Roozeboom, Heterogene Gleichgewichte vom Standpunkte der Phasenlehre, Braunschweig 1904.

Wietzel.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 9 Stuttgart, Leipzig 1914., S. 597-598.
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