32. Goldener.

[166] Ein armer, armer Knabe ging einmal durch den grünen Wald. Er war sehr traurig und in den Augen stunden ihm Tränen. Wie er so hinwanderte und es ihm ums Herz recht schwer war, stund plötzlich ein uraltes Weibchen vor ihm. Ihre Haare waren grau wie der Baumbart und in ihrem Munde wackelte kein Zahn mehr.

»Warum bist du so traurig, mein Kind?« fragte im traulichen Tone das Mütterchen und blickte den Knaben mitleidig an.

Der Junge faßte sich nun ein Herz und erwiderte: »Ja, das ist leicht zu erraten. Mein Vater ist tot und meine Mutter kann nicht so viel verdienen, um uns beiden den nötigen Unterhalt zu verschaffen. Deswegen muß ich betteln gehen und das tue ich so ungern, denn die Leute schauen mich dann oft wie einen Schelm an.«

Das alte Mütterchen schien noch mehr Mitleid mit dem armen Knaben zu fühlen und sprach: »Wenn nur das ist, so soll dir bald geholfen sein. Komm nur mit mir.«

Und sie nahm den Knaben mit sich und führte ihn waldein. Sie mochten miteinander eine halbe Stunde gegangen sein, als sie zu einem großen, schönen Hause kamen, das ganz aus Marmelsteinen gebaut und so weiß wie Schnee war. Das Mütterchen ging voraus hinein und der Knabe folgte. Er hatte die größte Freude, denn ein[167] so schönes Haus hatte er noch nie gesehen. Sie kamen in einen großen Saal und da sprach das Mütterchen zum neugierigen Knaben, der Augen machte, als ob er aus dem Himmel gefallen wäre: »Wenn du willst, kannst du hier bleiben. Du hast sonst nichts zu tun, als das Feuer unterm Kessel in der Küche nachzuschüren. Zwei Dinge mußt du mir aber hoch und teuer versprechen. Du darfst nie in den Kessel hineinsehen und auch nie das Kästchen öffnen, das neben dem Herde an der Mauer sich befindet. Befolgst du alles getreulich, so wirst du am Ende des Jahres einen großen Lohn bekommen, denn nach einem Jahre wirst du mich wieder sehen.«

Der Knabe war mit dem Antrage ganz zufrieden und versprach, alles fleißig zu befolgen. Das Mütterchen führte ihn nun in die Küche, zeigte ihm den Kessel und das Kästchen und ging dann fort.

Der Knabe war nun allein im Schlosse und lebte wie ein Graf. Er hatte Speise und Trank im Überflusse und in der Nacht ein weiches Bettlein. Er kam aber auch getreulich seinem Dienste nach und schürte, daß es eine Lust war. Das Feuer brannte und prasselte immer munter fort und im Kessel sott und brodelte es wie an einem Kirchtage.

So verging ein Tag nach dem andern und ehe es der Knabe dachte, war ein Jahr vorübergegangen und das alte Mütterchen stand vor ihm.

»Du hast brav gedient,« sprach sie und gab dem Knaben hundertundfünfzig Goldgulden. »Wenn du so fortfährst und fleißig bist, werde ich dir, wenn ich wieder komme, noch so viel geben.« Kaum hatte sie dieses gesagt, so war sie wieder fort und der Knabe wußte nicht, wohin sie gegangen. Er war über seinen Lohn hoch erfreut und kochte fleißiger als im ersten Jahre. Er schürte und schürte und lebte sonst froh und glücklich. So verging ein Tag nach dem andern[168] und ehe er's meinte, war ein Jahr vorüber und das Mütterchen stund vor ihm. Sie schien eine große Freude zu haben und sprach: »Du hast dich brav gehalten, mein Kind! Wenn du so fortfährst und so fleißig bist, werde ich dir in Zukunft das Doppelte geben.« Sie gab ihm dann die dreihundert Goldgulden und verschwand wieder.

Der Knabe diente wieder im Schlosse fort und schürte, daß das Feuer lustig aufloderte und an ein Auslöschen gar nicht zu denken war. So verging wieder ein Jahr und am letzten Tage desselben kam das Mütterchen, sah alles wohlbestellt und sprach Beifall lächelnd: »Du bist ein braver Junge. Nimm hier die sechshundert Goldgulden und wenn du noch ein Jahr mir so treulich und redlich dienst, werde ich dir noch zweimal soviel Geld geben.«

Das Mütterchen hatte es gesagt und verschwand. Der Knabe war über die sechshundert Goldstücke hoch erfreut und nahm sich vor recht fleißig zu sein. Allein so sehr er sich auch befliß, recht folgsam und treu zu sein, so kam ihm doch immer der Gedanke, was etwa im Kessel und im Kästchen sein möchte. »Was würde auch dahinter sein, wenn ich hineingucken täte,« dachte er sich oft, tat es aber dennoch nicht.

Einmal aber kam ihm der Gedanke immer von neuem und er sah endlich in den Kessel hinein. Allein er konnte nichts sehen. Da langte er den Finger hinein und sah, als er ihn herausgezogen hatte, daß dieser ganz golden war. Was war nun zu tun? Er wusch ihn ab, schabte ihn ab – allein alles war umsonst. Da wußte er kein anderes Mittel und verband mit einem kleinen Stückchen Leinwand den goldenen Finger, damit ihn die Alte nicht sehen sollte.

Dann öffnete er das Kästchen, das neben dem Herde an der Mauer war, und da fand er ein Buch, in dem geschrieben war: »Wer das Buch hat, kann verlangen, was er mag und will.« Er[169] nahm nun das Zauberbuch heraus und steckte es in den Hosensack, denn er dachte: »Das kann ich gewiß auch brauchen.« Kaum hatte er aber das Buch zu sich gesteckt, da stund das alte Mütterchen vor ihm und war gar zornig. Ihre Augen waren vor Zorn ganz feuerrot. Sie jagte ihn aus der Küche und warf ihm den Kessel nach, gerade auf den Kopf. Davon wurden seine Haare so schön gelb, daß man meinte, sie seien eitel Gold. Der Knabe ging nun durch den Wald und wollte sich anderswo ein Unterkommen suchen. Damit aber[170] sein Haar nicht beschmutzt werde, bedeckte er sein Haupt mit einer Baumrinde, die er nie mehr abnahm.

Er war schon lange gegangen und der Abend dunkelte schon ins Tal herein, als er endlich ins Freie kam. Da sah er nun die schönsten Gärten und in der Mitte stand ein stolzes Schloß. Das Schloß gehörte dem Könige und dieser wohnte darin mit seiner Tochter und vielen, vielen Dienern und Dienerinnen. Der Knabe ging auf das Schloß zu und fragte sich dort um einen Dienst an. Er gefiel dem Schaffner und wurde anfangs zum Schafehüten angestellt. Er war zufrieden und hütete am Hügel draußen die Schafe und Lämmlein. Und sieh, die Tiere wurden immer schöner und nie ging eines davon verloren. Als der Schaffner dieses sah, lobte er den Goldener und machte ihn zum Gärtner.

Goldener arbeitete nun im Garten und pflegte die Pflanzen und Blumen und hatte seine Freude daran. Die schöne Königstochter kam oft in den Garten herunter und freute sich, wenn alles so sauber und reinlich und die Blumen so gut gepflegt waren. Sie war dem Gärtner von Tag zu Tag mehr geneigt, weil er so fleißig auf den Garten schaute. Als eines Tages sie wieder im Garten war, sah sie sein schönes goldenes Haar und seitdem gefiel ihr der Gärtner noch besser und sie konnte ihn nicht genug ansehen.

Um dieselbe Zeit wollte der König sich einen Nachfolger und der Tochter einen Gemahl suchen, denn er war schon alt und des Herrschens satt geworden. Er dachte nun hin und her und konnte keinen finden, der ihm und seiner Tochter recht gewesen wäre. Besonders wollte der schönen Prinzeß keiner gefallen, denn sie dachte immer an den goldlockigen Gärtner. Da war endlich der alte König des Wählens überdrüssig und sprach: »Wenn dir von den Vorgeschlagenen keiner gefällt, so nenne du mir einen, den du gerne haben möchtest.«[171]

Die Königstochter besann sich nicht lange und nannte den Gärtner mit den goldenen Haaren.

Da wurde der König so böse und zornig, daß er die Tochter von sich jagte und sie nicht mehr als sein eigen Kind anerkannte. Er wollte sie aus dem Schlosse jagen. Allein sie bat und flehte so lange, bis sie im Schlosse noch bleiben durfte. Dafür mußte sie aber wie eine Magd in der Küche bleiben und die schwersten Dienste tun. Der König alterte nun zusehends, denn der Gram zehrte an seinem Herzen.

Nicht lange Zeit darauf brach ein Krieg aus und der König mußte sich rüsten. Bald hatte er ein großes Heer beisammen und er musterte es vor dem Schlosse. Wie Goldener die Helme und Panzer so funkeln und die Fahnen im Winde flattern sah, kam ihm die Lust an, auch mitzuziehen. Er ging nun zum Könige und bat um die Erlaubnis auch ausziehen zu dürfen. Der König war recht böse, als er den Gärtner sah, gewährte ihm aber doch die Bitte. »Ich werde für dich schon ein Kräutlein finden,« dachte er sich und gab dem Goldener ein Pferd, das nur drei Füße hatte, und ein Schwert, das um und um vom Roste zerfressen war. Die Krieger lachten ihn aus, aber Goldener machte ein ernstes Gesicht, als ob alles so sein müßte.

Das Heer zog nun fort, der König ritt an der Spitze desselben, Goldener hinkte am Ende desselben auf seiner dreibeinigen Gurre nach. So ging es eine Zeitlang fort, bis der Weg durch eine sumpfige Gegend führte. Da ritt das Heer weiter; das dreifüßige Pferd des Goldener blieb aber im Moore stecken und konnte unmöglich vorwärts kommen. Das Heer war noch nicht weit entfernt, da rückte der feindliche König heran und es kam zur entscheidenden Schlacht. Wie Goldener das sah und den Lärm hörte, dachte er an sein Buch und wünschte sich ein schnelles, starkes Pferd, ein schönes, scharf geschliffenes[172] Schwert und ein purpurrotes, mit Silber durchwirktes Gewand. Er hatte kaum den Wunsch getan, so saß er auf einem mutigen Rosse, hatte ein herrliches, scharfes Schwert in der Hand und hatte ein so prächtiges Purpurkleid an, daß man sich nichts Schöneres denken[173] kann. Nun gab er dem Rosse die Sporen und im Nu trug es ihn hinein in die Schlacht und die goldenen Locken flogen hoch auf. So schnell wie der Blitz sprengte er nun bald dahin, bald dorthin und überall verbreitete er Blut und Wunden. Es stund nicht lange an und die Feinde stürzten sich heulend in die Flucht und der glänzendste Sieg war errungen. – Der König wußte nicht, ob er wache oder träume, ob der unbekannte Retter ein Mensch oder ein Engel sei. Wie er so nachsann, ritt Goldener an ihm vorüber und weil er auf des Königs Wort nicht anhielt, schleuderte dieser ihm das Schwert nach, um ihn zu kennzeichnen. Die Waffe verwundete den Reiter an der Ferse, die Klinge sprang und ihre Spitze blieb im Fuße des Goldener stecken. Goldener kümmerte sich aber nicht darum und sprengte von dannen zu seinem dreifüßigen Gaule. Dort zog er sein Kleid aus, setzte sich auf das alte Roß – und Schwert, Purpurmantel und das schöne Pferd waren verschwunden. Wie er vor der Schlacht dasaß, saß Goldener wieder da und Heer und König ritten an ihm vorüber und verlachten ihn. Als alle vorüber waren, wollte er auch nach Hause kommen und ritt weiter und kam endlich zwei Tage nach der Ankunft des Königs im Schlosse an. Die Wunde hatte sich aber um vieles verschlimmert und der Gärtner bat um einen Arzt. Als der König dieses hörte, mußte er hell auflachen. Es kam ihm so wunderlich vor, daß der Gärtner, der nur ferne dem Kampfe zusah; verwundet sein sollte. Er konnte es kaum glauben und stieg aus Neugierde, der Sache auf den Grund zu kommen, in die Stube des Gärtners hinab. – Was machte aber der König für Augen, als er die Wunde sah und die Spitze des Schwertes, auf dem sein königlicher Name geschrieben stand, aus der Wunde gezogen wurde!

Der König fragte den Verwundeten nun aus, ob er auch im Kampfe gewesen wäre, und der Gärtner erzählte ihm nun alles haarklein.[174] Da küßte der alte König den Kranken, ließ seine Tochter holen und hatte sie noch lieber als je. Goldener wurde aber gepflegt, als ob er der Sohn des Königs wäre. Und als die Wunde geheilt war, wurde Hochzeit gehalten und der König hatte am Paare die größte Freude. So lebten alle drei viele Jahre glücklich beisammen. Als der alte König gestorben, wurde Goldener König und war so mächtig, weise und fromm, wie weder vor noch nach ihm einer zu sein das Glück hatte.


(Bozen.)

Quelle:
Zingerle, Ignaz Vinc. und Josef: Kinder- und Hausmärchen aus Tirol. Innsbruck: Schwick, 1911, S. 166-175.
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