Der Advokat

[98] Vor alter Zeit lebte ein Advokat, der das Recht verkehrte, wann und wie es ihm taugte, und sich weder um Hölle noch um Himmel kümmerte. Einmal mußte er wieder vor Gericht erscheinen und eine Aussage eidlich bekräftigen. Er legte seinen Eid ab, schwor aber falsch. Da erschien der Teufel in leibhaftiger Gestalt, wollte den Rechtsanwalt beim Kragen nehmen und in die Hölle tragen. Man holte, als man dies sah, einen frommen, alten Priester, und dieser betete so lange, bis der Teufel sich in eine Katze verwandelte und die Gerichtsstube verließ. Sie ging in die Wohnung des Advokaten und legte sich dort auf die Stiege, wo sie bis zum Tod des Advokaten trotz aller Segnungen und Beschwörungen blieb. Dem Advokaten konnte sie aber kein Leid mehr antun, weil er sich von dem Meineid an gebessert hatte und rechtliche Wege wandelte.


(mündlich bei Meran)

Quelle:
Zingerle, Ignaz und Joseph: Kinder- und Hausmärchen aus Süddeutschland. (Regensburg 1854) Nachdruck München: Borowsky, 1980, S. 98-99.
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