3. Die wilden Männer im Thale Gastein.

[110] Die Sage kündet, daß vor uralten Zeiten, bevor noch das heilkräftige Wildbad den Menschen bekannt war, im Thale zu Gastein wilde Männer gehaust haben. Sie besaßen eine riesenmäßige Stärke. Eine Pflugschaar über das ganze Thal zu werfen, war ihnen ein leichter Wurf. Als einst solch ein wilder Mann seinen Stock an das Reiterbauernhaus am Badberge lehnte, bebte das Haus in seinen Grundfesten. Diese Männer wohnten am linken Achenufer in einer unzugänglichen Bergeshöhle, am Eingang der Klamm. Vor der Höhle standen Apfelbäume, mit deren Früchten sie bisweilen die vorüberziehenden Wanderer neckend warfen. Noch sieht man in der Höhle und am Berge Ueberreste ihres steinernen Hausrathes. Diese Männer waren den Thalbewohnern mehr hold als feindlich gesinnt; sie stellten ihnen oft Butter und Milch in Menge vor die Hausthüren. Dabei waren sie uralt. Einer der wilden Männer hat erzählt, daß er den Stallesenwald am Stubner neun Male mair werden, das heißt aussterben und wieder aufgrünen gesehen habe, auch sey ihm noch wohl erinnerlich, daß der Bocksteinkogel im Kötschachthale wie ein Kranawetvogel, und das mächtige Scharreck wie ein Semmelwecken gewesen sey.

Quelle:
Bechstein, Ludwig: Die Volkssagen, Mährchen und Legenden des Kaiserstaates Oesterreich. 1. Band, Leipzig: B. Polet, 1840, S. 110-111.
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