2. Attila, Gottes Geisel.

[157] Ueber das Volk der Hunnen herrschte mächtig und gewaltig ein König, des Namens Attila, zu Deutsch Ezel, der seines Gleichen an Macht und Tyrannei weder vorher noch nachher hatte.

Einst weidete ein Hirt seine Heerde und sah, daß ein Vieh hinkte, weil es am Fuße wund war. Er folgte der blutigen Spur und fand ein Schwert, auf dessen Schärfe die grasende Kuh getreten. Der Hirt grub das Schwert vollends aus dem Boden und trug es zu Attila, dem König, der sich über die Gabe freute,[157] in der er und seine Priester das heilige Kriegsschwert der Scythen erkannten, und sah daraus, daß er zum Herrn der Welt bestimmt war. Einst traf er auch einen Einsiedler an, der hieß ihn Geisel Gottes; da nannte und schrieb er voll Uebermuth folgenden Titel auf eine goldne Tafel, und ließ diese vor seinem Gezelt gleich einem Panier erhöhen:

»Attila, Sohn des Bendcuci, Enkel des großen Nimrod, geboren zu Engaddi: Von Gottes Gnaden König der Hunnen, der Meder, Gothen, Dacier, der Schrecken der Welt und die Geisel Gottes.«

Eben so überschrieb der Hunnenkönig auch seine Briefe. In seinem Panier führte Attila einen gekrönten Adler, und das Volk der Ungarn behielt dieses Zeichen bis auf König Geysa. Gegen sein Volk zeigte sich Attila mild und gerecht, freigebig und weise, allen andern Völkern aber war er ein Schrecken und Abscheu, und es ging vor ihm und seinem Volke allüberall, wohin sie heerend zogen, ein Wehegeschrei her, daß alle Länder zitterten. Er verwüstete Deutschland, Gallien, Italien, äscherte zahllose Städte und Burgen ein und starb, nachdem er Menschenblut in Strömen vergossen, in seiner Hochzeitnacht mit Hildico, des Bactrianer-Königs Tochter, im eigenen Blute erstickend. In dieser Todesnacht der Gottes Geisel träumte dem frommen Kaiser Martian zu Constantinopel, er sähe Attila's Bogen zerbrechen.

Quelle:
Bechstein, Ludwig: Die Volkssagen, Mährchen und Legenden des Kaiserstaates Oesterreich. 1. Band, Leipzig: B. Polet, 1840, S. 157-158.
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