70. Von der Erschaffung des Mondes.

[102] Aus Steiermark.


Als Sankt Michael Adam und Eva aus dem Paradiese vertrieben hatte, kehrte er zurück in den Himmel. – ›Nun, hast du sie ausgejagt, diese Herrgottssakramenter?‹ fragt der Gottvater. – ›Hätt' der Herr auch einen andern schicken mögen!‹ brummt Sankt Michael in seinen Bart – nein, Bart wird er keinen gehabt haben. ›Ich hab' mir‹, sagt er, ›in dieser Höllenfinsternis da unten das Knie angestoßen, daß schon all des Teufels! Beim Tag geht's noch an, da schupfen die Engel den Sonnenball hin und wieder; aber in der Nacht ist das schon eine stockfinstere Welt übereinander! Kann's der Eva gar nicht für übel halten, wenn sie in der rabenschwarzen Nacht einen unrechten Apfel erwischt hat; wird schon noch öfters so was passieren. Die Leut' müssen einen Mond haben!‹ – ›Ja?‹ fragt der Gottvater, ›nu, so steh ein wenig beiseite, Sankt Michael, ich erschaff' jetzt den Mond!‹ – Richtig, hat's getan! ›Aber‹, sagt der Gottvater, ›auf daß die Leute wissen, daß es nur ein guter Wille ist von mir, und daß sie sich nicht eine Rechtssache daraus machen, so lasse ich den Mond im Monat allemal 14 Nächte scheinen, die übrigen 14 Nächte laß ich's finster sein.‹ Und deswegen haben wir den zunehmenden und den abnehmenden Mond.[102]

Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Naturgeschichtliche Märchen. 7. Aufl. Leipzig/Berlin: 1925, S. 102-103.
Lizenz:
Kategorien: