Liebe bis zum Salz

[134] Junge Mädchen erzählten sich eines Tages allerlei und sprachen auch davon, wie sie ihre Väter lieb hätten. Die eine sprach: »Ich habe Tata sehr lieb.« Eine andere sprach: »Ich liebe Tata weit über alle Menschen.« Und eine andere, Katje Leiro mit Namen, sprach: »Und ich liebe Tata bis zum Salz.« Als ihr Vater diese Worte gehört hatte, wurde er sehr zornig. Er übergab seine Tochter zwei treuen Knechten mit allen ihren Kleidern, damit sie getötet würde. »Zum Zeichen, daß solches geschehen, schneidet ihr die Haare ab und übergebt sie mir,« sprach er. Da nahmen sie die Tochter mit deren Kleidern und gingen, um sie zu töten. Doch bekamen sie Erbarmen mit ihr und töteten sie nicht, wohl wissend, wie liebenswürdig die Tochter war. – Mit vieler Mühe glückte es ihnen, Stachelschweine zu finden. Eins davon tröstete sie, und mit dem Blute desselben bestrichen sie ihre Keulen. Zu Hause angelangt, gaben sie ihm (dem Vater) die Haare ab und erhielten dafür ein Geldgeschenk, weil er meinte, die Knechte hätten sie wirklich getötet.

Die Tochter kam inzwischen zu einem andern Gehöfte und hielt sich im Kral der Pferde auf, um abzuwarten, wie es ihr ferner ergehen würde. Sie war ja alles Schmuckes beraubt; ihre Kleider hatte man ihr ausgezogen, jegliche Zierrat an Augen, Mund, Ohren, Nase abgeschnitten. Als der Morgen gekommen war, ging sie und wartete, ob man ihr nicht etwas zu essen geben würde. Die Leute aber, die an ihr vorübergingen, sprachen: »Xā, Xā, Katje Leiro!« stießen sie mit Füßen und jagten[135] sie hinaus. Spät in der Nacht aber wusch sie sich und brachte ihre Haare in Ordnung. Sie zog ihre Kleider an, nahm ihre Mundharfe und spielte und beschäftigte sich lange Zeit damit. Da stellten die Leute sie zur Arbeit an. – Nun war daselbst ein junger Mensch, der sich allerlei mit den Pferden zu schaffen machte, denn eins derselben war sehr mühsam zu behandeln, weil es gerne biß. Der junge Mensch rief einen Knecht herbei, um solches ihm zu zeigen. Als dieser hinkam, sah er eine gekleidete Frau und war darüber sehr verwundert, ging und erzählte dem jungen Menschen, daß er eine Frauensperson gesehen habe, die angekleidet und sehr schön sei. Der junge Mensch wollte solches aber nicht glauben, bis er auch kam und sich davon überzeugte, als er das bissige Pferd besah. – Da gewann er sie sehr lieb und sagte zu ihr, sie möchte doch jetzt ihre alten Kleider nicht mehr anziehen. Sie erschien aber nochmals darin und wartete auf das Essen. Da stießen die Leute sie wieder mit dem Fuß und sagten: »Xā!« Da sprach der junge Mensch zu seiner Mutter: »Sie ist doch aber auch ein Mensch wie wir!« Worauf die Mutter antwortete: »Ja, du, eine so fragliche Person, Katje Leiro genannt, aber nicht ein Bruder!« Da zog sie am andern Tage ihre alten Kleider wieder an. Der junge Mensch wollte das aber durchaus nicht mehr dulden und ruhte nicht, bis man ihr ordentlich zu essen gab und aß selbst auch mit ihr. Da wurde sie ihm zur Frau gegeben, und er heiratete sie. Von jetzt ab begann sie erst recht zu arbeiten. Sie nahm alle weiblichen Geschäfte ihrer Schwiegermutter ab und arbeitete allein.[136]

Ganz unerwartet kam nun eines Tages ihr Vater zu Pferd auf das Gehöft geritten. Er wußte aber nicht, daß seine Tochter hier sei. Es wurde bestimmt, daß den zweien das Essen allein und besonders aufgetragen würde. Als sie nun beide am Tische saßen, nahm sie und bat: »Der Herr möge einmal prüfen.« Als er von der ungesalzenen Speise gegessen hatte, erklärte er sie für gut; darauf versuchte (schmeckte) er auch die andere mit Salz und diese schmeckte ihm sehr gut. Da sprach die Tochter: »So sehr habe ich Tata lieb gehabt!« – Da konnte der Mann vor Freude nicht mehr essen, wollte schnell wieder nach Hause reiten und freute sich unterwegs ungemein. Zu seinen Knechten zurückgekehrt, lobte er diese über die Maßen, beschenkte sie mit Geld, und ehrte und liebte sie sehr.

Erläuterung: Diese Begebenheit kann sich nur in der Kap-Kolonie ereignet haben zu einer Zeit, in welcher Kolonisten sich schon angesiedelt hatten und unter den Eingeborenen wohnten. Der Name der Tochter spricht dafür und entstammt dem Holländischen. Einen besonderen Pferdekraal (Stall) besitzen auch nur größere Kolonisten. Ehe Europäer das Kapland besiedelten, kannte man dort überhaupt keine Pferde. Wenn der Vater, als Eingeborner, im Besitze von Geld ist, so hat er es nur im Umgang mit den »Weißen« gewonnen. Freie Eingeborene in der Nähe derselben kannten es so gut wie die Haussklaven. – Der Ausdruck: »Liebe bis zum Salz« ist im[137] Munde der Nama zweideutig. Der Vater hat die Worte mißverstanden, übel ausgelegt, daher die harte Strafe. Sie ist aus keuschem Sinn entsprungen. Die abgenommenen Schmuckgegenstände besagen, daß die Tochter ein Kind der Farbigen ist. Die Knechte haben, wie es scheint, der zum Tode verurteilten Tochter die abgenommenen Kleider, alte wie neue (namasche wie europäische Stoffkleider), wieder zurückgegeben. Der Ausruf: »Xā!« ist so viel als: »Pfui!« Das Sitzen und Lauern der Armen während der Mahlzeit der Begüterten ist etwas Alltägliches. Zur Zeit der Sklaverei hatten die Hottentottenweiber die niedrigsten Arbeiten zu verrichten, während Malaien, Malabaren und Mozambiquer im Dienstrang höher gestellt waren. Wenn ein Kolonistensohn in eine aufgeputzte Eingeborne sich verliebte, so war das seiner Zeit durchaus nichts Außergewöhnliches. Das gemeinsame Essen des Freiers setzt stillschweigend eine Verlobung und Treue voraus. Die Matrone des Hauses setzt dem Brautpaare den größten Widerstand entgegen, giebt sich schließlich aber doch gefangen. Das verstoßene Mädchen wird die Repräsentantin einer treuen, fleißigen Schwiegertochter. Daß der Vater noch kommen muß, gehört wesentlich zur Darstellung des tragischen Geschickes. Über dem Genuß der ungesalzenen Speise, im Vergleich zu der mit Salz bereiteten, giebt die Tochter sich zu erkennen. Fürwahr, deren Liebe zum Vater ist erprobt und kräftiger, wie die der anderen Mädchen. Der Vater in seinem Glück, zollt den Knechten die höchste Anerkennung. Zuvor wurden sie belohnt für die vermeintlich treue Ausführung des Auftrags – jetzt noch weit mehr für die Unterlassung desselben. Einen[138] höheren Lenker der Geschicke in speziellen Fällen kennen die Heiden nicht; sie bleiben beim Menschen stehen.

Quelle:
Seidel, A. (Hg.): Geschichten und Lieder der Afrikaner. Berlin: Verein der Bücherfreunde, Schall & Grund, 1896, S. 134-139.
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