Zehnte Geschichte

[8] geschah an einem Menschen, dem sturb sein Weib un ließ ihm ein jung säugendig Kind. Un derselbige Mann, der war so arm, daß er nit hat können eine Säugamme dingen, daß er das Kind hätt' können säugen. Da geschah ihm ein Neß (Wunder), daß der, dessen Name gepriesen sei, ließ ihm wachsen zwei Brüste, daß er sein Kind an ihm selbert könnt säugen wie ein Weibsbild. Un so säugt sein Kind an ihm. Darauf sagt Rabbi Jossef: »Sieh un komm her, wie ein köstlicher Mann muß das sein gewesen, dieweil der Heilige, gelobt sei er, ihm so ein großes Wunder getan hat.« So sagt Abaje wieder dagegen: »Wie gar arm muß der Mensch sein gewesen, dieweil es sich hat verändert über ihn das Schöpfungswerk.« Es hat gesagt Rabbi Jehude: »Komm, sieh, wie gar härtiglich geht es mit dem Menschen zu, bis daß der Heilige, gelobt sei er, ihm seine Speis beschafft. Denn der Heilige, gelobt sei er, war eher über ihn verändern das Schöpfungswerk un macht, daß der Mann das Kind selbert säugt, wiewohl Gott hätt' können sein Speis beschaffen, dennoch geschah ein[8] Neß, daß er das Kind selbert säugt. Auch finden wir, daß der Heilige, gelobt sei er, viel Wunder tut, daß er den Menschen beschirmt un er ihm sein Speis beschafft. Denn wir finden nit, daß der Heilige, gelobt sei er, den Zaddikim ihr Weiz un ihre Häuser beschafft.«

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 8-9.
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