Hundertzehnte Geschichte

[103] geschah an einem Zaddik (Frommen), der heißt Philimann, der pflegt alle Tag zu sagen: »Ein Pfeil in des Satan seine Augen«, un flucht den Satan alle Tag. Einmal auf einen Eref Jomkikur (Vorabend des Versöhnungstages), da macht sich der Satan zu einem Armen un kam vor dem Philimann seine Tür un bat ihn um ein Stück Brot un sagt: »Lieber, gib mir ein Stück Brot um Gottes willen«, un sagt, »an einem so heiligen Tag, daß ein jeglicher[103] an seinem Tisch in seinem Haus sitzt, un ich muß auswendig auf der Gassen essen.« Da bracht der Philimann ihn in sein Haus un gab ihm ein Stück Brot. Da sagt der Satan wieder: »An so einem heiligen Tag, gleich wie heut is, so sitzt jedermann an dem Tisch, un ich soll vornen ohne Tisch sitzen un muß alleint essen.« Da setzt ihn Philimann auch an den Tisch. Wie nun der Satan an dem Tisch sitzt, da macht sich der Satan gar grindig un niwsig (häßlich) un voller Eiter, un der Geifer läuft ihm aus seinem Maul heraus. Da sprach Philimann: »Sitz recht, wie machst du dich so miuss (häßlich)?« Da sprach der Satan, der sich als ein Armer verstellt hat: »Gib mir auch zu trinken.« Da gab ihm Philimann einen Becher mit Wein. Da er nun sollt trinken, da speiet er in den Becher, da der Wein drin war. Das tät er als lehachis (zum Trotz) um den Philimann zu kränken, derweil er ihm alle Tag flucht, wie ihr wol hören werdet. Da nun Philimann das sah, daß er so in den Becher hinein geifert un ließ ihn dernach fallen, da schrie ihn Philimann an un sagt zu ihm: »Ei, trink recht, oder geh heraus.« Da macht sich der Satan hinter sich fallen un macht sich gleich als wenn er tot wär. Da kam ein Kol (Stimme) auf der Gaß: »Philimann hat einen in seinem Haus getötet.« Da macht der Philiman Pleite (lief davon) un verbargt sich in dem Bethhaknesses (Bethaus). Un wie nun der Satan das sah, daß sich der Philimann so sehr mezaar war (sehr kränkte), da macht sich der Satan wieder auf un sagt gegen Philimann: »Ich bin der Satan, un ich hab mich zu einem Armen gemacht un hab dich kränken wollen, derweil du mich alle Tag fluchst. Derhalben fluch mich nit mehr.« Da sagt Philimann: »Wie soll ich denn sagen, du Satan, du Jezerhore (böser Trieb)?« Da sagt der Satan: »Bitt' den Heiligen, gelobt sei er, daß er den Jezerhore (bösen Trieb) von dir ab soll tun, un daß er dich nit soll machen straucheln, daß du Aweres (Sünden) tust, gleich wie König David, er ruhe in Frieden, auch den Heiligen, gelobt sei er, gebeten hat.«

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 103-104.
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