Hundertzwölfte Geschichte

[105] geschah: Einer hat geheißen Hurdus (Herodes), der is ein König geworden. Un eh er is König geworden, da is er ein Knecht gewesen zu Chaschmonin (Hasmonäern). Un da war eine kleine junge Frau, die hat den Hurdus sehr lieb. Es war einmal auf einen Tag, da hört der Hurdus ein Basskol (eine Stimme), die sagt: »Welcher Knecht jetzundert wird seinem Herrn widerspenstigen, der wird beglückt.« Da ging der Hurdus hin un tötet all seine Herren bis auf die junge Frau, die er so gar lieb hat, die ließ er leben. Denn er meint, er wollt sie zu einem Weib nehmen. Was tät aber die junge Frau? Die sagt so: »Welcher wird kommen un wird sagen, er hat des Königs Tochter bekommen, der da die Chaschmonin hat derschlagen, bis auf mich, der soll mich auch nit haben.« Was tät die junge Frau? Sie ging auf das Dach un fiel gern herab, daß sie gleich den Hals abfiel. Da sagt der Hurdus: »Wer darschent (erklärt) mir den Posuk (Vers): Von zwischen deinen Brüdern sollst du einen König machen, aber aus einem Knecht nit.« Da erklärten ihm die Rabbonim den Posuk. Da ging Hurdus hin un tötet all die Rabbonim, sonder Jehude ben Bite, den wollt er nit töten, denn er wollte Ezes (Ratschläge) von ihm haben, welche er bedürfen sollt. Dernach ging Hurdus hin, un ließ den Jehude ben Bite seine Augen ausstechen. Eines Tages saß Hurdus bei dem Jehude ben Bite in einer Stuben. Aber der Jehude ben Bite der wußt nit, wer bei ihm saß. Da sagt der Hurdus: »Sieh, wie ein böser Knecht is der Hurdus, derweil er hat lassen all die Rabbonim töten lassen, un derzu all seine Herren.« Da sprach Rabbi Jehude wieder: »Was kann ich derzu tun?« Da sagt Hurdus: »Wir wollen ihm fluchen, denn er wollt hören, was er in seinem Sinn hätt.« Da sagt Bobe wider: »Der Posuk (die Schrift) sagt: ›Un in deinen Gedanken sollst du keinem fluchen, der ein König is.‹« Da sagt der Hurdus wider: »Is er doch kein König.« Da sagt Bobe: »Laß ihn nit besser sein wie ein Auscher (Fürst, Reicher), den darfst du auch nit fluchen, wie der Posuk sagt: ›Un in den Kammern deines Gelägers darfst du nit fluchen einem Auscher (Fürsten).‹« Da gab sich der Hudrus dem Bobe zu derkennen un sagt: »Ich bin Hudrus selbst. Hätt ich gewußt, daß ihr so frumm wärt gewesen, wollt ich euch nit getötet haben. Aber derweil ich es getan hab, fercht ich mich, daß mir der Heilige, gelobt sei er, nit verzeihen wird. Derhalben gib mir eine Ezeh (Rat) was ich tan soll, daß mir der Heilige, gelobt sei er, die Awere (Sünde) sollt verzeihen.« Da sprach Bobe: »Ich will dir sagen,[105] was du tun sollst, du hast das Licht von der Thauroh verlöscht. Geh hin un zünd das Licht von der Thauroh wieder an. Denn die Chachomim (Weisen) sind geheißen das Licht von der Thauroh, un du hast sie all getötet. Derhalben zünd das Licht wieder an. Das meint, geh hin, und bau das Bethhamikdosch (den Tempel) wie der Posuk (Schrift) sagt: Zu dem Bethhamikdosch leuchten alle Völker. Derhalben bau ein Bethhamikdosch.« Da folgt er ihm un baut wieder ein Bethhamikdosch wo wir wol in den vierundzwanzig Büchern gelernt haben.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 105-106.
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