Hundertsiebzehnte Geschichte

[109] geschah den Leuten von Sodom, die hatten einen solchen Seder (Sitte) unter sich gemacht, wenn einer seines Gesellen Weib schlagt, daß ihr ein Kind abging, un jener wollt sein Kind wieder bezahlt haben, da sprach jener, der es getan hat: »Gib mir dein Weib, ich will dir ein[109] anderes machen.« Un jener gab ihm sein Weib, bis er hat ein ander Kind gemacht. Un dernach hatten sie ein ander Seder unter ihnen. Wenn sie einen schlagten, daß Blut von ihm kam, da wollten sie noch Geld von ihm haben, weil er ihm hat Blut geschlagen, denn das Blut war gesund von ihm. Un dernach hatten sie ein Seder, welcher über die Brück ging, der mußt vier Gulden geben, un welcher über das Wasser fahrt, der mußt acht Gulden geben. Einmal kam ein Wäscher, der ging über die Brück, un fährt auch über das Wasser. Da kamen die Leut von Sodom un sprachen: »Gib uns her vier Gulden derweil als du bist über unser Brück gegangen.« Da sprach er: »Ich bin doch über das Wasser gefahren.« So sprachen sie: »So gib uns acht Gulden her.« Da wollt er's nit geben. So gingen sie hin un fielen über ihn un schlugen ihm eine tiefe Wund. Da kamen sie vor den Dajin (Judenrichter). Da sagt der Dajin: »Gib ihnen ihren Lohn, daß sie dir haben eine Wund geschlagen. Un gib ihnen auch acht Gulden, daß du bist über das Wasser gefahren.« Einmal begab es sich, daß zu ihnen kam Elieser Ewed Awrohom (Knecht Abrahams). Da fielen sie über ihn un schlugen ihm eine Wunde. Da kamen sie mit ihm vor den Dajin. Da sprach der Dajin: »Gib ihnen ihren Lohn, daß sie dich haben bluten gemacht.« Da ging der Elieser hin, un fiel über den Dajin un schlug ihn auch wol ab un macht ihn bluten. Da sagten sie: »Was soll das sein?« Da sagt der Elieser: »Der Lohn, den mir der Dajin muß geben, daß ich ihn hab bluten geschlagen, denselbigen Lohn nehmt ihr ein, daß ihr mich habt bluten gemacht. So behalt ich mein Geld, daß ich euch nix brauch zu geben.« Dernach hätten sie ein Seder unter ihnen, wer einen fremden Mann zu einer Sude (Mahlzeit) breiet (einladet), dem nahmen sie alle seine Kleider vom Leib. Einmal war ein Breiluft (Hochzeit) in der Stadt. Da kam Elieser Ewed Awrohom auch derzu, un setzt sich auch an den Tisch. Da fragten ihn die Leut wer ihn gebreiet hätt. Da deutet der Elieser auf einen un sagt: »Der hat mich gebreiet.« Da lauft derselbige flugs hinaus, denn er fercht sich, man wird ihm seine Kleider ausziehn. Un dernach fragten sie ihn wieder, wer ihn gebreiet hat. So deutet er wieder auf einen andern. Da lauft derselbige auch heraus, denn er fercht sich auch, man wird ihm seine Kleider ausziehn. Un dernach fragten sie ihn wieder. So weist er wieder auf einen andern. Damit sind sie alle herausgelaufen, denn sie forchten sich, man wird ihnen ihre Kleider wegnehmen. Da bleibt Elieser alleinig da un er eßt die Sude (Mahlzeit) alleinig auf. Dernach war ein Bett in Sodom, wenn ein Gast kam, da legten sie ihn hinein. Wenn er zu lang in dem Bett war, so schnitten sie ihm die Füß ab, bis er gerecht war in das Bett. Wenn er aber kürzer war als das Bett, so ziehten sie ihm so seine Glieder so lang, bis er gerecht war in das Bett. Da kam auch einmal Elieser Ewed Abrohom zu ihnen. So sprachen[110] sie zu ihm: »Komm, leg dich in das Bett schlufen.« Da sprach er wider: »Ich hab ein Neder (Schwur) getan, sinten mein werter Fürst gestorben is, so bin ich auf kein Bett gelegen.« Denn er fercht sich auch vor ihnen, sie werden ihm die Füß abschneiden, oder sie werden ihn länger machen. Dernach hatten sie auch ein Seder, wenn ein Armer kam zu ihnen, so gab ihm ein jeglicher eine Münze un schreibt seinen Namen darauf, wer sie ihm gegeben hat, aber keiner darf ihm ein Stück Brot geben; derwartend, daß er sollt Hunger sterben. Un wenn er nun gestorben war, da kam ein jeglicher wieder un nahm sein Münz wieder, da sein Name drauf gestanden war. Einmal da gab eine junge Frau einem Armen ein Stück Brot, daß er das Leben sollt behalten. Da waren sie es gewahr. Da nahmen sie die junge Frau un schmierten sie mit Honig ein, zugen sie nacked aus un legten sie auf das Dach. Da kamen die Bienen, un eßten den Honig ab, un zustachen sie, die gute junge Frau, zu tot. Drauf sprecht der Posuk: Gott, der Herr, spricht: Ich hab gehört das Geschrei von Sodom un Emauroh, das is raba – groß, das meint das Wort Raba heißt auch Ribah, junge Frau.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 109-111.
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