Hundertsiebenundzwanzigste Geschichte

[118] geschah, da Rebbe sterben sollt. Da ruft er seine Kinder zu sich un sagt zu ihnen: »Meine lieben Kinder, ich lieg da un werd sterben, un werd euch meine Zewoe (letzten Willen lassen): Seid gewarnt an euere Mutter. Un laßt ein Licht brennen bei meinem Tisch. Un mein Tisch soll allzeit angebreitet (gedeckt) sein. Un mein Bett soll hübsch weiß überzogen sein, denn ich will alle Freitag zunacht wieder in mein Haus kommen un will Kiddusch (Sabbatsegen) machen.« Gleich er auch wieder kam. An einem Freitag zunacht, da saß Rebbe in seiner Stuben. Da kam die Nachbarin un klopft an dem Haus an un wollt ungefähr hinein gehn. Da sprach die Maid: »Man läßt nun niemand herein, denn Rebbe sitzt hinnen.« Da Rebbe das hört, da verschwindet er, un kam nimmer zum Schabbes wieder. Denselbigen Tag, da Rebbe sterben sollt, da kam ein[118] Stimm vom Himmel un sagt, welcher bei dem Rebbe seinem Tod sein wird, derselbige wird in das Gan Eden (Paradies) kommen. So war da ein Wäscher, der um Lohn wäscht, der kam alle Tag bei Rebbe derweil er krank lag, un sah was Rebbe tät. Un den Tag da Rebbe starbt, da war der Wäscher nit bei Rebbe gewesen, denn er hat das Stimm auch gehört reden: »Welcher bei Rebbe seinem Tod is, der kommt in das Gan Eden.« Un er war eben denselbigen Tag nit bei ihm gewesen. Da war sich der Wäscher sehr mezaar (kränkte sich sehr) un ging die Stieg hinauf un fiel die Stieg herab, daß er tot war. Da kam ein Stimm vom Himmel un sagt: »Der Wäscher kommt auch in das Gan Eden bei Rebbe, wiewol daß er nit is bei dem guten Rebbe seinem Tod gewesen.« Un wie Rebbe noch krank war, da ging Rabbi Chije auch zu ihm un wollt ihm mewaker Chaule sein (den Kranken besuchen). Da sah er wie Rebbe sehr weint. Da sprach Rabbi Chije wider: »Rebbe, warum weinst du? Wir haben doch gelernt, wenn einer sterbt in Freuden, so is das doch ein großes Zeichen für ihn. Aber wenn einer traurig sterbt un weint, das is kein gutes Zeichen.« Da sagt Rebbe wider: »Ich wein darum, daß ich kein Thauroh mehr lernen kann, un daß ich kein Mizwe (Gebot) mehr halten kann.« Un an demselbigen Tag, da Rebbe starb, da haben die Rabbonim gauser Tanis (Fasttag) eingesetzt, un täten Tefille (beteten) für ihn, un machten ein Cherem (Strafbann) un sagten: »Wer da sagt, daß Rebbe gestorben is, der soll derstochen werden mit einem Schwert.« Da ging die Maid von Rebbe auf den Boden, un sagt: »Die Rabbonim, die unten sind, die wollen gern Rebbe bei sich haben un die Malochim (Engel) im Himmel, die wollten Rebbe auch gern bei sich haben.« Un sagt daß Gott geb, daß die Untersten möchten die Obersten überwinden, un daß Rebbe möcht leben bleiben. Un da die Rabbonim sahen, daß Rebbe so oft zu Stuhl muß gehn un mußten ihm die Tefillin (Gebetriemen) so oft aus un antun, denn er hat die Krankheit in seinem Bauch, un der Stuhlgang war ihm gar schmerzhaft, da sagten sie wieder: »Wollte Gott, daß die Obersten die Untersten überwinden.« Aber gleichwol täten die Rabbonim als Tefille (beten) für Rebbe, daß er nit sterben sollt. Da ließ die Maid ungefähr einen Krug die Stieg herunter fallen. Da derschreckten die Rabbonim von dem Gepolter. Da hörten sie auf zu lernen. Da sturb Rebbe. Da sagten die Rabbonim wider Bar Kapore: »Sieh was Rebbe tut.« Da ging Bar Kapora, un wollt sehen was Rebbe tät. Da sah er wie Rebbe tot war. Da macht er Krije (ein Riß in sein Kleid zum Zeichen der Trauer) hinter sich, hinter der Tür, denn er durft es nit sagen vor den Rabbonim. Un er sagt: »Die Öbersten un die Untersten haben miteinander gezankt, un die Obersten haben gewonnen.« Da sagten die Rabbonim: »Is denn Rebbe gestorben?« Denn sie verstunden es an seinen Reden. Da sagt Bar Kapore: »Ich sag es doch nit«, denn er fercht[119] sich für sein Leben. Un da Rebbe wollt sterben, da hebt er seine zehn Finger gen den Himmel auf un sprach: »Herr all der Welt, es is zu wissen vor dir, daß ich mich mit den zehn Fingern sehr in deiner Thauroh hab gemüht, un hab all meine Tag keine Hanoe (Freude, Vorteil) von der Welt gehabt, afilu (sogar) was ich gewonnen hab, mit dem kleinsten Finger, da hab ich auch kein Vorteil dervon gehabt.« Es soll sein dein Willen, daß ich soll Menuche (Ruhe) haben im Kewer (Grab). Da kam ein Basskol (eine Stimme von oben) un sagt: »Rebbe hat Menuche im Kewer, un is bereit für das andere Leben.«

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 118-120.
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