Hundertvierundfünfzigste Geschichte

[156] geschah: Es sagt, Rabb Jehauschue ben Chanine: »All mein Tag hat mich kein Mensch bezwungen, sonder eine Frau un ein Junge un ein Maidel.« Das erste mit der Frauen: »Einmal bin ich Gast gewesen bei einer Frauen. Da kocht sie mir Linsen. Ein Teil Leut sagen, es sind Bohnen gewesen. An dem ersten Tag da esset ich sie gar auf un ließ gar nix überbleiben. Den andern Tag eßt ich sie wieder gar auf. Den dritten Tag, da ging die Frau hin, un versalzt mir die Linsen. Un wie ich die Linsen versucht, da schmeckt ich es gleich un hört gleich auf zu essen.« Da sagt die Frau wider mich: »Warum hast du meine Linsen nit aufgegessen, un du hast gleich aufgehört zu essen?« Da sagt ich zu ihr: »Ich hab vor bei Tag gegessen.« Da sagt sie mir: »Warum hast du dich denn gewaschen un hast Broche (Segenspruch) gemacht, weil du ja nit hast wollen essen?« Dernach sprach sie zu mir: »Lieber Rabbi, warum hast du die zwei Tag nix übergelassen? Haben doch unsere Chachomim (Weisen) gesagt, man läßt wol nix über in dem Topf, aber man läßt wol über in der Schüssel. Un man gibt es dem Schames (Diener) oder der Maid.« Damit bezwung mich die Frau. Das is nun das erste. Das andere mit dem Maidel. Einmal ging ich in dem Weg un es war ein gebahnter Weg über das Feld. Un ich ging in dem Weg, der über das Feld ging. Da sagt das Maidel wider[156] mich: »Rabbi, is das denn ein gebahnter Weg über den Samen? Es steht doch, man soll über kein Samenfeld gehn.« Da sagt ich: »Liebe Tochter, es is doch ein gebahnter Weg.« Da sagt das Maidel zu mir: »Ja, solche Gaslonim (Räuber) wie ihr seid, un eueresgleichen, die haben ihn gebahnt.« Da hat das Maidel auch mauzeach gewesen (gesiegt), daß ich damit hab auch Unrecht getan. Das dritte mit dem Jungen. Einmal bin ich gewandert über Feld. Da sah ich einen Jungen auf dem Wegscheid. Un da der Junge saß, da gingen zwei Wege in die Stadt hinein. Da frägt ich den Jungen, welcher Weg is zum besten in die Stadt zu gehn. Da sagt der Jung: »Mein lieber Rabbi, der Weg is kurz un is lang, un der Weg is lang un is aber kurz.« Da ging ich den Weg, der da kurz un lang war. Un wie ich nun schier an die Stadt kam, da sah ich, wie die Stadt mit Weingärten umgeringelt waren, un ich konnt nit in die Stadt hinein kommen, un mußt wieder hinter mich gehn zu dem Jungen. Un ich sagt: »Mein lieber Sohn, du hast doch gesagt, der Weg sei kurz.« Da sagt der Jung wider mich: »Lieber Rabbi, ich hab doch euch gesagt, er is kurz un is aber lang. Da hab ich also gemeint, er is wol nahent zu der Stadt, aber man kann nit in die Stadt kommen, neiert zu dem Stadtwall, un man muß weit umgehn eh man zu der Stadt kann kommen, von wegen den Weingärten. Aber jener Weg is weit, aber man kann gleich in die Stadt kommen.« Da ich die Chochme (Klugheit) von dem Jungen hab gehört, da stund ich auf un kußt den Jungen auf seinen Kopf un sagt: »Wol euch Jisroel, daß ihr solche Chachomim seid.«

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 156-157.
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