Hundertsechsundfünfzigste Geschichte

[158] geschah: Er sagt, Abaje: »Der Jezerhore (der böse Trieb) is mehr bei den Talmidim Chachomim (Schriftgelehrten) als bei andern Leuten, wie ich euch das schreiben will.« Abaje sagt: »Ich hab einmal gehört, wie ein Mann sagt zu einer Frau, wir wollen morgen früh über Feld miteinander gehn.« Da gedacht sich Abaje, ich will ihnen nachgehn, daß sie keine Awere (Sünde) miteinander (Gott behüte) tun. Un ging ihnen nach, dreimal bis an eine Wiese. Da scheiden sie sich miteinander. Die Frau ging nach Doram (Süden) un der Mann ging nach Zofaun (Norden). Da hört Abaje, daß der Mann sagt wider die Frau: »Wir sind lang miteinander, gegangen, es wär eine hübsche Chawruße (Gesellschaft), wenn wir sollten weiter miteinander gehn.« Un sie wußten aber nit, daß Abaje ihnen nach ging. Un hat keiner dem andern nix zugemutet um eine Awere (Sünde) zu tun. Da sagt Abaje: »Wenn ich, Gott bewahre, mit der Frau sollte allein gewesen sein, wie der dasige Mann, so hätt ich, Gott behüte, nit können[158] entrinnen von der Awere. Dernach ging er selbert hin un legt sich auf den Riegel von der Tür un lag also Machschowes (in Gedanken) un war sich sehr mezaar (kränkte sich sehr).« So kam ein alter Mann un lernt ihn so: »Welcher Mann köstlicher ist als sein Geselle, da is der Jezerhore auch größer bei ihm.« Rabbi Jizchok sagt, der Jezerhore von einem Menschen, der stärkt sich auf ihn alle Tag mehr. Der Posuk (die Schrift) sagt: »Der Jezerhore wird alle Tage böser, un er begehrt den Menschen zu töten.« Wie der Posuk sagt: Er lugt, der Jezerhore, der da is geheißen Rosche (Sünder) zum Zaddik, daß er ihn gern wollt um das Leben bringen. Un wenn der Heilige, gelobt sei er, nit dem Menschen hilft, da könnt kein Mensch vor dem Jezerhore bestehn, wie der Posuk spricht: »Der Heilige, gelobt sei er, läßt keinen in der Hand von dem Jezerhore.« Es hat gelernt Rabbi Jischmoel: »Wenn dich der Jezerhore will bezwingen, da geh in das Bethhamidrasch (Lehrhaus) lernen.« Un wenn er schon so hart is, wie ein Stein is, so muß er doch von ihm gehn. Denn der Jezerhore kann nit bleiben, wenn man lernt oder Mizwes (Guttaten) tut, es sei denn eine Frau, so soll sie sonst Mizwes tun, wenn sie nit lernen kann, also läßt der Jezerhore auch von ihr ab.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 158-159.
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