Hunderteinundachtzigste Geschichte

[196] geschah: Es war ein reicher Mann, der hat einen Sohn, den bracht er Rabbi Jehude Chossid um bei ihm zu lernen, Un der reiche Mann bittet den Chossid gar sehr, er sollt doch wol Achtung auf den Jungen haben. Da sprach der Chossid: »Geh, bringt mir den Jungen her, denn ich will ihn vorher sehn.« Da bracht der reiche Mann den Jungen zu dem Chossid. Un wie der Chossid den Jungen ausah, da sprach der Chossid zu dem reichen Mann: »Mein lieber Freund, ich will deinen Sohn nit haben, nit um wenig oder um viel. Neiert nimm deinen Jungen wieder mit dir heim un bring ihn nit wieder her ein ganzes Jahr. Aber wenn das Jahr wird aus sein, so bring ihn wieder zu mir. Alsdann will ich mit ihm Thauroh lernen, un will mein Bestes bei ihm tun.« Da sprach der reiche Mann: »Lieber Rabbi, warum wollt ihr meinen Sohn in diesem Jahr nit haben?« Das wollt ihm der Chossid nit sagen. Da bittet der reiche Mann den Chossid so lang, bis er sich überreden ließ, un nahm den reichen Mann in ein Cheder (Zimmer) un sagt zu ihm: »Ich will dir sagen, warum daß ich deinen Sohn nit haben will, um mit ihm zu lernen. Denn in diesem Jahr wird ein Tag kommen, daß über deinen Sohn wird eine böse Stunde kommen, un wird sich begehren zu schmadden (taufen). Un willst du deinen Sohn vor Schmad (Taufe) behüten, so bewahr deinen Sohn in deinem Haus ein ganzes Jahr bis derselbige Tag weg is. Un dernach bring ihn hier her. So weiß ich gewiß, daß ich einen großen Lerner will aus ihm machen, un wird ein frommer Jehudi werden.« Da sagt der reiche Mann: »Lieber Rabbi, könnt ihr mir nit eine Ezeh (Rat) geben, wie ich die Sache verwehren sollt?« Da sagt der Chossid: »Ich will dir eine Ezeh geben: Tu eines, un laß deinem Sohn ein eigenes Gewölbe machen, weit von deinem Haus un auch von der Straßen. Un laß es machen tief in die Erde, um daß er den Aulom (die Welt) nit viel hört un sieht. Un ding ihm einen Rabbi, der mit dem Jungen lernt. Un tu sie beide beieinander. Un schließ das Gewölbe wol zu, daß sie nit können heraus kommen. Un laß ihnen Essen un Trinken bringen un hab wol Achtung drauf, was ich dir sag, bis der böse Tag vorbei is. Alsdann magst du ihn wieder ledig gehn lassen wo er hin will.« Der reiche Mann ging von dem Chossid weg un war gar traurig, gleichwie man wol gedenken kann. Un ging mit seinem Sohn wieder heim. Un tät mit allen Dingen gleich wie ihm der Chossid geheißen hat. Un ließ ein Gewölbe machen, un dingt ihm einen Rabbi un tät sie alle beide in das Gewölb. Un ließ ihnen Essen un Trinken geben. Un dingt ihnen einen Knecht, der auf sie paßt. Un ließ ein starkes Schloß machen vor die Tür, daß der Sohn nit konnt herauskommen. So bleibt der Rabbi un der Jung beieinander bis der Tag kam, daß der Chossid gesagt hat. Un nun der Tag[197] kam, da wollt der Rabbi mit dem Jungen lernen, wie seine Gewohnheit war. Da sagt der Junge: »Ich will heute nit lernen, un ich hab große Charote (Reue) drauf, daß ich mich hab überreden lassen, daß ich bin in das Gewölb gegangen, un daß ich so lang gelernt hab.« Un treibt viel Aseskeit (Frechheit) un redet viel seltsame Rede, welches nit zu schreiben is. Da sagt der Rabbi zu ihm: »Mein lieber Sohn, wie kommt das, daß du heut mehr so tust als an einem andern Tag?« Da sagt der Junge mit einem großen Asesponim (frechem Gesicht), er wollt hingehn un wollt sich schmadden. Da nun der Rabbi solches von dem Jungen hört, da wollt er nit länger im Gewölbe bei ihm bleiben un macht daß er hinauskam von dem Jungen. Un beschließt das Gewölbe hart zu un legt ein Schloß dervor. Also hebt der Junge an zu weinen un wär gern aus dem Gewölbe gewesen auf der Gassen. Un hebt an zu schreien. Un sprach große Läster gegen den Heiligen, gelobt sei er, gelobt sei sein heiliger Name, zu aller Zeit. Un verleugnet den Heiligen, gelobt sei er, gar sehr. Un sprach anderes nix, als man sollt ihn heraus lassen, denn er wollt sich schmadden. Un der Rabbi un Vater un Mutter stunden als vor dem Gewölb un hörten das große Aseskeit von dem Jungen. Das gewährt einen ganzen Tag. Lesof (am Ende) ging Vater un Mutter un sein Rabbi in das Gewölb un fragten den Jungen warum er so tät. Un fragten ihn, was er für Mangel hätt. Un alles was sie mit dem Jungen redeten, das wollt dem Jungen nit eingehn, un schreiet in einem Stück man sollt ihm den Galach holen, er wollt sich schmadden un sprach: »Wär ich nument haußen, es sollt mich niemand derhalten können, ich wollt alles umbringen, wer mir nument begegnet, der mich begehrt auf zu halten von dem Schmad (der Taufe). Un tät als wie meschugge (irrsinnig). Un wie sein Vater un Mutter sehen, daß keine Besserung mit ihm sein wollt, un wollt mit Gewalt ausreißen, da warfen sie ihn nieder in dem Gewölb un banden ihn alle vier un ließen ihn da liegen den ganzen Tag un die ganze Nacht. Un gingen von ihm aus dem Gewölb un sperrten die Tür wol zu. Un den andern Morgen ging der Vater wieder in das Gewölb. Da lag er ganz still un bat den Vater, er sollt ihn aufbinden, sie dürften keine Sorge mehr haben für ihn, denn der böse Tag wäre hinweg. Un weint gar sehr, daß er solches getan hat. Un er wollt Tschuwe(Buße) tun un Gott bitten, daß er es ihm sollt verzeihen.« Un er sagt gegen seinen Vater: »Tut mich zu Rabbi Jehude Chossid führen.« Denn er wollt wieder lernen. Also brachten sie ihn wieder zu Rabbi Jehude Chossid, un tät große Buße wie einem frommen Jehude zu steht. Un er lernt Tag un Nacht. Un er war ein köstlicher Mann in der Thauroh. Un seine Freunde waren alle mit ihm derfreut. Gott, der Gelobte, soll uns auch mit derfreuen.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 196-198.
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