Zweihundertsechste Geschichte

[242] geschah an einem Rabbi, der hat geheißen Rabbi Mojsche Maimoni, der war gar ein gewaltiger Herr in der Thauroh, wie man noch wol sieht in den Seforim (Büchern) die er gemacht hat, die man heißt den Maimon un sonst noch andere Seforim, die er auch gemacht hat. Auch war er ein gewaltiger Raufe (Arzt). Da macht er auf ein neues ein Sefer (Buch), da konnt niemand in derselbigen Zeiten viel drinnen verstehen vor großer Schwierigkeit. Un er saß in Spanien un er hat sonst viel andere Rabbonim bei sich sitzen, die ihm nit halt waren. Un hielten ihn für einen Min, das is teutsch ein Ungläubiger, kein Jud un kein Goj (Christ): der selbert bescheidet die Thauroh nach seinem Deoh (Sinn), der heißt ein Min, un nit wie es unsere Chachomim (Weisen) gemeint haben. Da schrieben die andern Rabbonim aus Spanien nach Deutschland hinaus, wie der Rabbi Mojsche Maimoni war wert, daß man ihn sollt in Cherem (Bann) tun, denn er war ein solcher Mann, der nit recht glaubt an den Heiligen, gelobt sei er. Wie nun die teutschen Rabbonim den Brief bekommen haben aus Spanien gingen sie zueinander un sagten, es steht[242] nit zu glauben auf einen solchen Mann, daß er ein solcher Mann sollt sein. Wie wol daß uns die Rabbonim aus Spanien solches zuschreiben. Denn er is all sein Tag ein frommer Jud gewesen. Da waren die teutschen Rabbonim miteinander zufrieden, sie wollten einen teutschen Juden hinein schicken nach Spanien zu ihm. Un derselbige Jud sollt sehen sein Sefer un seinen Handel, den er drinnen treibt. Vielleicht wird man derkennen derdurch was er für ein Mann is un auf den Schauresch (Wurzel, Grund) können kommen. Un sie gingen zu einem, der hieß Rabbi Meier un sagten wider ihn die Handlung ganz un gar, wie es mit dem Rabbi Mojsche Maimon war. Un weisen ihm auch den Brief, den die Rabbonim aus Spanien geschrieben haben. Derhalben bitten wir dich, du wollest zu ihm hinein ziehn, denn du kannst bald an ihm derkennen ob er also einer is oder nit. Denn der Rabbi Meier, der war auch ein gewaltiger Herr in der Thauroh. Un er war ein halber Nowi (Prophet). Nun sie redeten viel mit dem Rabbi Meier. Also macht sich Rabbi Meier auf den Weg nach Spanien. Un nahm eine Massorah (Anleitung zum Lesen der Thora) mit sich. Un da er nun auf einer halben Meile wegs noch von der Stadt war, wo der Rabbi Mojsche Maimon wohnt, da kam er an einen Brunnen. Da setzt sich Rabbi Meier mit seiner Massorah un Essen un Trinken bei diesem kühlen Brunnen. Un wie sie nun gessen un getrunken haben, da gingen sie wieder fort. Aber Rabbi Meier vergißt ein Sefer bei dem Brunnen, da er unterwegen daraus gelernt hat. Also kamen sie in die Stadt. Da nun Rabbi Meier in der Stadt war, da frägt er nach Rabbi Mojsche seinem Haus. Da haben ihn die Leute zurecht gewiesen. Also klopft er an die Tür. Da sah der Meschores (Diener) zum Fenster heraus, un sagt zu Rabbi Meier: »Man läßt jetzunder niemand herein, denn der Herr ißt. Darum kann nun keiner zu ihm kommen. Darum müßt ihr warten, bis dernach.« Da sagt Rabbi Meier wider den Meschores: »Ich weiß wol, daß dein Herr jetzunder ißt. Denn zum Wahrzeichen ißt er zu Mittag Eier.« Da das der Meschores hört, da ging er zu seinem Herrn un sagt: »Da war einer vor der Tür un hat geklopft. Also hab ich ihm gesagt, mein Herr ißt. Also hat er mir geantwortet, er weiß das wol, zum Wahrzeichen ißt er Eier.« Da sagt Rabbi Mojsche wider seinen Meschores: »Geh du hin un sag ihm, er hat die Wahrheit gesagt. Zum Wahrzeichen hat er sein Sefer bei dem Brunnen vergessen.« Da gedacht Rabbi Meier an sein Sefer un sucht bei sich un gefand es aber nit. Dernach dermahnt er sich daran, daß er das Sefer bei dem Brunnen gebraucht hat. Un er gedacht Rabbi Meier, ich seh wol, der kann mehr als ich. Also ging Rabbi Meier mit seinem Meschores geschwind wieder zu dem Brunnen. Da fand er sein Sefer in einer Grube liegen, wo er gelernt hat. Also nahm er sein Sefer un ging wieder in die Stadt.[243] Da kam er wieder vor die Tür von Rabbi Mojsche Maimon un klopft wieder an, denn es war schier Abend. Also ward er stracks eingelassen. Un es war schier Zeit, daß man essen sollt. Da kam der Meschores un bracht ein Essen auf den Tisch, das sah gleich, als wenn es Hände wären von einem Menschen. Da wollt Rabbi Meier nix davon essen, denn er sagt er wär nit wol, un möcht heut nix essen. Da sprach Rabbi Mojsche: »Vielleicht trinkt er gern.« Un ruft den andern Knecht un sprach wider ihn: »Peter, geh hin, un zapf mir aus dem dasigen Faß, das du vor hast geholt, einen Krug mit Wein.« Da gedacht sich Rabbi Meier, soll mir nun Peter den Wein bringen? Der is ein Kutäer un macht mir den Wein neßach (untrinkbar). Wie nun der Peter den Wein bracht, da sagt Rabbi Mojsche wider Rabbi Meier, er sollt den trinken derweil er doch nix essen mag. Da sprach der Rabbi Meier wieder: »Ich mag auch nix trinken.« Denn er wär nit lustig, denn er wär gar müd, er hätt sich übergangen, er wollt lieber schlufen gehn. Da sprach Rabbi Mojsche wider den dritten Meschores (Diener): »Steh morgen früh auf un schlag jenen Ochsen, daß wir morgen können frisches Fleisch haben für den guten Gast, derweil er ja nit recht auf is.« Wie Rabbi Meier das alles gehört hat, da gedacht er sich, das is für gewiß alles wahr, was die Rabbonim in Spanien auf den Rabbi Mojsche getrieben haben, denn seine Minhogim (Gebräuche) sind alle nit gut, die er an sich hat, denn solche Stücke tät er gar viel. Wie nun Rabbi Mojsche den andern Morgen wieder aufstund, da nahm ihn Rabbi Mojsche in ein besonderes Cheder (Zimmer) un sagt zu ihm: »Mein lieber Rabbi Meier, ich weiß wol warum du bist zu mir kommen aus Aschkenes (Deutschland) un weiß auch wol wer dich geschickt hat zu mir. Un ich weiß auch wessen man mich beschuldigt. Aber ich will dir sagen, man soll keinen beschuldigen auf eine Sache, es sei denn, daß man es gewiß weiß, daß es wahr is. Ich weiß wol warum du nix hast wollen essen mit mir oder trinken. Du hast nit wollen essen derweil das Essen hat ausgesehen gleich wie die Hand von einem Menschen. Das will ich dir sagen, es is ein Kraut gewesen, das sieht aus wie die Hand von einem Menschen. Un weist ihm dasselbige Kraut. Denn der Rabbi Mojsche Maimon war ein gewaltiger Raufe (Arzt), daß er hat wol gewußt, welches Kraut gesund is um es zu essen. Un daß du keinen Wein hast wollen trinken, das will ich dir auch sagen. Derweil ich meinem Meschores hab Peter gerufen, hast du gemeint er wär ein Goj (Christ) un wird dir den Wein neßach machen. Nein, er heißt mit seinem rechten Namen Peter un is ein frommer Jud, wie man einen finden mag. Un er heißt nach einem köstlichen Talmidchochom (Schriftgelehrten). Un er weist ihm in der Gemore, daß einer hat geheißen Rabbi Peter. Zum dritten, daß du von dem frischen Fleisch hast auch nit wollen essen derweil[244] ich ihm hab geheißen schlagen un nit schächten. Das will ich dir auch sagen. Der Ochs is ein Ungeborenes gewesen, das is, wenn eine Kuh trägt un man schächtet sie, un man kann das Kalb nach dem Schächten lebendig aus der Mutter Leib bringen, so braucht man keine Schechite (Schlachten) für dasselbige Kalb un braucht auch keine Broche (Segensspruch) darüber zu machen. Denn es is koscher mit der Mutter Broche.« Un sagt ihm weiter viel Neues. Un klagt ihm, wie seine Chawerim (Gesellen) ihm so gar feind wären, un stunden ihm nach, un sie verstunden sein Sefer nit, das er gemacht hat. Un der Rabbi Mojsche lernt dem Rabbi Meier dasselbige Sefer, das man heißt den Maimoni. Da stehen viel neue Sachen drin, wie man alle Tag wol sehen kann in seinem Sefer, was er für ein Mann is gewesen. Denn es steht vornen in seiner Hakdome (Vorrede) von Mojsche an bis Rabbi Mojsche Maimoni is kein solcher Mojsche aufgestanden. Wie nun der Rabbi Meier solches von dem Rabbi Mojsche hört, da bittet er ihn um Mechile (Verzeihung). So verzeiht ihm der Rabbi Mojsche alles un Rabbi Meier zug wieder heraus un macht, daß man ihn für einen köstlichen Mann hielt. Wie auch geschah. Un seine Chawerim (Gesellen) waren alle an ihrem Leib geschlagen, die ihn so beschuldigt hatten. Wie man geschrieben findet: einer der einem eppes beschuldigt, un er hat es nit geatn, der wird geschlagen an seinem Leib. Wie da auch geschah. Derhalben soll man niemanden verdächtigen, da wird er in Frieden leben.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 242-245.
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