Neunundzwanzigste Geschichte

[25] geschah: Einmal hat ein König Jisroel mit Strafe bedroht, daß sie nit sollten die Thauroh lernen. Was tät Rabbi Akiwe? Er sammelt ein viel Volk von Jisroel un setzt sich nieder und darschent (lehrt). Da gefand ihn einer sitzen, der hieß Popes ben Jehude, da er lernt. Da sagt der Popes: »Mein lieber Rabbi ferchst du dich nit vor dem König, der verboten hat, man soll nicht lernen, un du setzt dich nieder vor jedermann[25] un lernst Thauroh?« Da sagt Rabbi Akiwe wider Popes: »Bist du der Popes, der ein großer Chochom (kluger Mann) soll sein, daß jedermann sagt von deiner Chochme (Klugheit)? Du bist wahrlich ein großer Narr. Das hör ich an deinen Reden, denn ich will dir ein Moschel (Gleichnis) sagen wie du mich gemahnst. Du tust alswie ein Fuchs, der ging einmal spazieren bei einem Wasser an dem Borten vom Jam (Meer) hin und her.« Da sach er die Fisch im Wasser hin un her laufen, denn man wollt sie auf dem Wasser fangen, daß sie sich im Wasser nit könnten behalten (verstecken). Da fragt der Fuchs die Fisch: »Warum lauft ihr so hin un her im Wasser?« Da sagten die Fische wider: »Es sein Fischer auf dem Wasser, die wollen uns fangen, derhalben laufen wir hin un her, denn wir wissen uns im Wasser nit zu halten.« Da sagt der Fuchs wider: »Folgt ihr mir un kommt heraus auf die Trockenis, so wollen wir beieinander wohnen, daß uns niemands niks kann tun.« Denn der Fuchs meint, er wollt die Fische so heraus schnellen. Darnach hätt er sie gegessen. Da sagten die Fisch wider den Fuchs: »Sollst du der klugste unter den Tieren sein? Du bist wahrlich ein großer Narr. Denn wenn wir im Wasser sind, so können wir uns nicht behalten (verstecken) vor den Leuten, um wie viel mehr wenn wir wären auf die Trockenis sein, da werden wir uns nicht können behalten vor den Leuten.« So sprach der Rabbi Akiwe wider dem Popes: »Du willst ein großer Chochom sein, un du bist ein großer Narr. Denn wenn ich schon Thauroh lern, da steht doch darbei geschrieben: ›Die Thauroh ist dein Leben, un derlänget deine Täg‹, noch dennoch fercht ich mich vor dem König, um wie viel mehr wenn ich nit sollt Thauroh lernen.« Nun, nit lang darnach war Rabbi Akiwe gefangen, un in einer kurzen Zeit dernach war Popes auch gefangen un war auch zu Rabbi Akiwe in sein Gefängnis hinein gefangen. Da sagt Popes: »Wol dir, Rabbi Akiwe, daß du bist gefangen worden von deinem Thaurohlernen halben, un weh dir, Popes, daß du bist gefangen worden, von wegen schlechte Sachen.« Da man nun Rabbi Akiwe auszog, daß man ihn sollte verbrennen, da war es eben Zeit, das Schma Gebet zu oren (beten); da strählt (kämmt) man Rabbi Akiwe mit einem eisernen Strähl (Kamm) über seine ganze Haut, un er ort (betet) gleichwol immer fort, derwartend, daß er wollt die Misso (Tod) auf sich empfangen von dem Heiligen, gelobt sei er, von wegen seiner großen Liebschaft halben. Da sagen seine Talmidim (Schüler): »Lieber Rabbi, ihr habt nun genug geort.« Da sagt Rabbi Akiwe: »Ich hab mich all mein Tag mezaar gewesen (bemüht) um den Posuk: (Vers) bechol lewowcho uwechol nafschecho. Das is teutsch auf den Satz: ›Du sollst Gott lieb haben mit deinem Herzen.‹ Das meint, wenn man schon dir dein Herz un deinen Leib will nehmen, so sollst du ihn doch lieb haben. Da hab ich nun gedacht, lieber[26] Gott, wann wird einmal die Zeit kommen, daß ich werd können dieses Wort wahr machen? Un jetzunder, da ich es wahr machen kann, wie soll ich denn aufhören zu oren, un sollt Schma nit ganz ausoren?« Da hat er so lang gedient über dem »Echod« (Einzig) bis ihm seine Neschome (Seele) ausging in Echod. Da kam ein Stimm vom Himmel un sagt: »Wol dir, Rabbi Akiwe, daß deine Neschome is ausgegangen mit Echod.« Da sagten die Engel vor dem Heiligen, gelobt sei er: »Herr all der Welt, is das die Thauroh un ihr Lohn, daß der Rabbi Akiwe so gar jämmerlich is umkommen? Es wär besser daß er von deiner Hand war gestorben, Herr all der Welt, er sollt von Alters wegen gestorben sein un nit von einem solchen schrecklichen Tod un in Händen der Gojim.« Da kam wieder ein Stimm vom Himmel un sagt: »Wol dir, Rabbi Akiwe, daß deine Neschome is in Echod ausgegangen, un du bist bereit zum Leben in Jener Welt, un du kommst in das Licht von Gan Eden (Paradies). Omen. Selon.«

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 25-27.
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