Siebenundsechzigste Geschichte

[59] geschah: Rabbi Jauchenen, der war der allerschönste Mann, der in der ganzen Welt möcht zu finden sein. Einmal war dem Rabbi Jauchenen gar warm. Da ging er sich baden in Jordan. Da kam zu gehn ein Gasion (Räuber), der sah den Mann im Jordan baden. So war der Räuber sehr verwundert über seine Hübschkeit, die der Mann an ihm hat. Un er meint er war ein Weibsbild un sprang in das Wasser hinein. Un der Gaslon war gewesen Resch Lokisch. Da sprach Rabbi Jauchenen zu ihm: »Ei, wie ein große Kauach (Kraft) hast du zu der Thauroh zu lernen.« Da sprach der Gaslon wider: »Ei wie wärst du so schön zu einem Weibsbild.« Da sprach Rabbi Jauchenen zu ihm: »Willst du Thauroh lernen, so will ich dir mein Schwester zu einem Weib geben. Die is viel hübscher als ich bin.« Da sprach der Gaslon: »Ja, ich will Thauroh lernen, wenn du mir dein Schwester geben willst.« Da sprach Rabbi Jauchenen: »So spring denn wieder heraus auf das Land un hol mir meine Kleider, gleich wie du vor bist herein gesprungen.« Da konnt er nit halb so weit springen als er vor gesprungen hat. Da sah Rabbi Jauchenen, daß er mit ganzem Herzen gemeint hat, daß er will Thauroh lernen. Also war er ihn megajer (bekehrte er ihn) un lernt ihm Thauroh. Un gab ihm seine Schwester. Denn wenn einer das Joch von der Thauroh auf sich hat, so kann er nit halb so leichtfertig sein als zuvor. Also lernt der Resch Lokisch gar sehr, daß er ein großer Lamden (Gelehrter) war. Un war geheißen Rabbi Schimen ben Lokisch, der hat gemehrt viel Thauroh unter Jisroel. Es begab sich einmal auf ein[59] Zeit, daß ein Pilpul (Streit) im Bethhamidrasch (Lehrhaus) war zwischen Rabbi Jauchenen im Rabbi Schimen ben Lokisch. Das betrifft ein Schwert, ein Messer un ein Spieß un ein Sichel, wann sie mekabeltumoh (unbrauchbar) werden können. Da kriegt Rabbi Jauchenen den Rabbi Schimen ben Lokisch dran. Rabbi Jauchenen sagt: »Wenn es aus dem heißen Feuer kommt, so sind sie ganz ausgemacht.« Un Rabbi Schimen sagt, nein, wenn man es hat wieder aus dem Wasser getan. Da sprach Rabbi Jauchenen: »Ei du Gaslon, du weißt das wol. Denn es is von deinem Umnes (Handwerk), das die Räuber brauchen müssen.« Da sprach Rabbi Schimen ben Lokisch: »Was is mir nun beholfen all mein Thauroh lernen: jetzunder heißt man mich Rabbi, vor (vorher) hat man mich auch Rabbi geheißen, denn ich bin vor(her) der Oberste unter den Gaslonim gewesen.« Da sprach Rabbi Jauchenen wider ihm: »So viel helft es dich, daß du mit deiner Thauroh kannst Chelek leaulom habo (Anteil an dem Jenseits) haben.« Da war Rabbi Jauchenen sehr zornig un gab seine Augen auf ihn, daß Rabbi Schimen ben Lokisch gar krank war. Wie nun Rabbi Schimen sein Weib sah, daß ihr Mann sollt sterben, da ging sie zu ihrem Bruder Rabbi Jauchenen un bittet ihn, daß er ihren Mann sollt doch lassen leben, damit daß sie nit sollt eine Almone (Witwe) sein, un ihre Kinder arme Jessomim (Waisen) werden. Da sagt Rabbi Jauchenen zu ihr: »Du un deine Kinder bedürfen nit zu sorgen. Ich will euch wol dernähren, wenn dein Mann schon tot is.« Also starb der gute Resch Lokisch. Da war Rabbi Jauchenen sehr um ihn bekümmert. Da sagten die Rabbonim: »Wer will Rabbi Jauchenen menachem sein (trösten)? Wir wollen ihm Rabbi Elosor ben Pedoss schicken, der soll ihn sein Kasches metarez sein (Fragen erklären) von Rabbi Schimen ben Lokisch wegen.« Wie nun Rabbi Elosor bei ihm lernt un daß Rabbi Jauchenen die Haloche sagt, alles was Rabbi Jauchenen sagt, da sagt Rabbi Elosor: »Ich hab auch also gelernt, wie du es gelernt hast.« Da hebt Rabbi Jauchenen an: »Was sollst du sein? Wie Resch Lokisch gewesen is? Wenn ich die Haloche gesagt hab, so hat er mich vierundzwanzig Kasches (Fragen) gefrägt un hat mir wieder vierundzwanzig Teruzim (Erklärungen, Antworten) drauf gegeben un hat mich gar scharf gemacht in meinem Lernen. Un du sprichst, wenn ich eppes (etwas) sag, du hast es auch so gelernt. Weiß ich denn ob ich den Pschat (Sinn) recht sag?« Da ging Rabbi Jauchenen hin un zerreißt seine Kleider un weint. Un sprach: »Wo bist du ben Lokisch? Wo bist du ben Lokisch?« Also grämte er sich sehr um ihn, bis er meschugge (verrückt) war um Resch Lokisch. Wie das nun die Rabbonim sahen, daß Rabbi Jauchenen meschugge war geworden, so täten sie Tefille auf ihn (beteten), daß er auch sterbt un haben ihn dernach auch begraben.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 59-60.
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