Fünfundsiebzigste Geschichte

[68] geschah: Rabbi Chananie ben Chachinoi, der ging auf die Breiluft (Hochzeit) von Rabbi Schimen ben Jochai. Wie nun die Breiluft bald aus war, da sprach Rabbi Schimen wider Rabbi Chananie: »Lieber, bleib du hie, un wart bis mein Breiluft ganz aus is, dann will ich mit dir lernen ziehen.« Un Rabbi Chananie, der wollt nit warten. Un zug vor sich lernen un blieb zwölf Jahr aus auf der Jeschiwe (Lehrhaus). Da er nun wieder heim zug un in seine Stadt kam, da waren die Gassen anders gebaut, daß er nit wußt wie er heim soll gehn in sein Haus. Un er war gar verirrt. Da ging er un setzt sich nieder an Borten vom Bach, da jedermann pflegt Wasser zu holen. Da hört er, daß eine Pilzel (Mädchen) die andere Pilzel ruft: »Tochter Chananie's.« Da gedacht sich der Rabbi Chananie: »Das is gewiß meine Tochter. Der will ich nachgehn.« Da ging er nach. Wie er in sein Haus ging, da stund sein Weib un beutelt Mehl. Da hub sie ihr Augen auf, da sah sie, daß er ihr Mann war. Da freut sie sich gar sehr, daß ihr die Neschome (Seele) vor Simche (Freude) ausging. Da hebt Rabbi Chananie an: »Herr all der Welt, is das der armen Frau ihr Lohn, daß sie so lang hat auf mich gewartet, un sich derweil allein gelitten.« Un er hebt an un tut Tefille (Gebet) zu Gott auf sein Weib, daß sie wieder lebendig war. Derhalben soll keiner urblitzlung in sein Haus gehn, soll sich vor lassen ansagen derheim.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 68.
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