Neunundsiebzigste Geschichte

[70] geschah: Rabbi Akiwe, der war gefangen worden unter die Umaus (fremde Völker), un Rabbi Jehauschue hagarsi der dient ihm. Un warum hieß er hagarsi? Ein Pschat (Erklärung) is: die Stadt, da er inwohnt, die hieß Garsi. Der andere Pschat is: er maht eitel Bohnen, garsi is teutsch Bohnen. Un alle Tag bracht er ihm Wasser mit der Maß zu trinken. Einmal, da kam der Schaumer (Wächter), der über die Tefise (Gefängnis) gesetzt war, un sah, daß ihm Rabbi Jehauschue hagarsi so viel Wasser bringt. So fragt der Schaumer ihn: »Warum bringst du ihm heut so viel Wasser? Ich halt du willst machen, daß er die Tefise einweichen soll mit dem Wasser.« Un der Schaumer nahm das Wasser un schüttet es halb aus, un gab ihm die andere Hälft von dem Wasser. Da nun Rabbi Jehauschue zu Rabbi Akiwe kam mit dem Wasser, da sprach Rabbi wider den Rabbue Jehauschue: »Weißt du nit, daß ich ein alter Mann bin, un mein Leben hängt nur an dir?« Er meint, ich hab ja niks mehr, neiert was du mir bringst. Un warum bist du so lang ausgeblieben? Da sagt Rabbi Jehauschue hagarsi wider ihn, wie es ihm gegangen wär, mit dem Wasser. Da sprach Rabbi Akiwe: »Gib mir Wasser, daß ich mich neiert mein Händ waschen kann.« Das prach Rabbi Jehauschue: »Was soll ich dir geben, daß du dein Händ wäschst? Du hast doch nit genug, daß du trinken kannst.« Da sprach Rabbi Akiwe wider: »Was soll ich aber derzu tan? Denn wenn einer mit ungewaschene Händ eßt, dann is er cheiew misso (todesschuldig). Denn is besser ich sterb so an Durst, als daß ich soll überfahren die Deoh (Einsicht) von meinen Gesellen un soll mit ungewaschene Hand essen.« Die Leut sagen, er hat keinen Bissen gegessen, bis man ihm erst Wasser hat gebracht,[70] um sein Händ zu waschen. Da es nun die Chachomim (Weisen) hörten, daß er so getan hat, daß er nit hat wollen essen, sonder Hand zu waschen, da sagten sie: »Das dasige tut er vielleicht weil er schon alt is, mikolscheken (um wie viel mehr) is er noch frummer gewesen in seine jungen Jahren. Un das hat er getan, da er gefangen is gewesen. Mikolscheken, was hat er in seinem Haus für Frummkeit getan. Un da er jung war, is er noch viel stärker mit Mizwes (Geboten) gewesen.« Derhalben soll man nit verschwächen an Händwaschen wie der Rabbi Akiwe, er ruhe in Frieden, auch getan hat.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 70-71.
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