Sechsundneunzigste Geschichte

[85] geschah: Einer hat geheißen Nochem isch gam su. Derselbige war blind an seinen Augen un seine zwei Arme waren ihm abgeschnitten un seine zwei Beine waren ihm lahm un sein Leib war ihm voll Grind un er lag in einem baufälligen Haus, das schier einfallen wollt. Un die Stollen von seinem Bett, die stunden etliche Stollen in einem Becken voll Wasser, derwartend, daß ihn die Ameisen nit könnten in sein Bett kommen, denn sie hätten ihn sonst gar hart gebissen, un er hätt sich nit können wehren vor ihnen. Einmal, da wollten ihn seine Talmidim (Schüler) heraus tragen mit seinem Bett. Un dernach wollten sie die Kelim (Geräte), die im Haus waren, auch heraus tragen, denn sie fürchten, das Haus wird einfallen. Da sprach der Nochem: »Liebe Kinder, räumt die Kelim vor(her) heraus un dernach tragt mich heraus, denn es is gewiß zu euch allderweil als ich hinnen bin, da fallt das Haus nit ein.« Da gingen sie hin un räumten die Kelim heraus. Un wie sie nun alle Dinge haußen hatten, so tragten sie ihn mit seinem Bett auch heraus. Sobald sie ihn mit seinem Bett hatten heraus getragen, so fiel das Haus ein. Da fragten ihn die Talmidim: »Lieber Rabbi, weil ihr ja so fromm seid, warum is euch denn so ein großes Leid geschehen, daß ihr so ein armer Mann seid geworden?« Da sprach Nochem wider: »Liebe Kinder, das hab ich mir so selbert tan wünschen. Un das will ich euch verzählen, wie es is zugegangen: Es war auf eine Zeit, daß ich wollt zu meinem Schwäher wandern un ich hat bei mir drei Esels wol geladen. Ein Esel war gar wol geladen mit guter Speis. Der andere Esel war auch wol geladen mit gutem Getränk. Der dritte Esel war auch wol geladen mit allerlei gutem süßem Obst. Da begegnet mir ein armer Mann auf demselbigen Weg un sprach wider mich: – Lieber Rabbi, speis mich. – Da sprach ich zu ihm: – Lieber Mann, wart nur eine kleine Weil bis ich[85] will abladen. – Da hebt ich an un wollt abladen, un eh ich hab getan gehabt da sterbt der arme Mann auf dem Weg. Da ging ich hin un fiel auf ihn un sprach: Die Augen, die sich nit haben über deine Augen derbarmt, die sollen blind werden. Un die Händ, die sich nit haben derbarmt über deine Händ, die sollen werden abgehackt. Un die Füß, die sich nit haben derbarmt über deine Füß, die sollen lahm werden. Da hab ich nit genug Bös gehabt. Da sagt ich, mein Leib soll voll Grind werden.« Da sprachen seine Talmidim: »Weh zu uns, lieber Rabbi, daß wir dich so sehn.« Da sprach er wider zu ihnen: »Weh zu mir, wenn ihr mich nit so solltet sehn. Denn damit verhoff ich, daß mir der Heilige, gelobt sei er, die Aweres (Sünden) wird mauchel sein (verzeihen), derweil ich so viel Jisurim (Schmerzen) leid auf der Welt.« Un darum heißt er Nochem isch gam su, denn alles, was ihm geschah, es war bös oder gut, da sprach er all Zeit gam su letauwo, das is teutsch, der Heilige, gelobt sei er, hat es zum Guten getan. Es war ein Mann auf eine Zeit, da wollten Jisroel dem Kaiser eine Matone (Geschenk) schenken. Da waren sie mit einander beraten, wen sie sollten zum Kaiser schicken, der es sollt zum besten können ausrichten. Da war beschlossen, daß man sollt Nochem isch gam su schicken mit der Matone, denn es pflegten ihm alle Zeit Nissim (Wunder) auf dem Weg zu geschehen. Da schickten sie mit ihm ein Kistchen voll mit Edelsteinen un Perlich (Perlen). Das soll er bringen, von allen Juden wegen dem Kaiser zu schenken. So zieht der Nochem isch gam su seiner Straß. Des nachts kam er in eine Herberg. Da waren viel Schalken drinnen gewesen. So stunden die Schalken bei Nacht auf un stehlten alles, was in dem Kistchen war, un füllten in dasselbige Kistchen voll mit Erd, daß er es nit sollt merken. Wie nun der Nochem zu morgens früh aufstand un wollt nach seinem Kistchen sehn, da sah er wie ihm die Edelsteine un die Perlich alle waren genommen. Da sprach er: »Gam su letauwo« (auch das is zum Guten), un ging so weiter fort un nahm sich nix an, un kam also vor den Kaiser, un gab ihm das Kistchen un sagt: Das haben dir die Jehudim geschenkt, das sollst du fürlieb annehmen, denn er müßt wol, daß sie arme Leut wären. Der Kaiser nahm das Kistchen, un tät es auf, un gedacht er wollt sehen wie sich die Jehudim gegen ihn hielten. Wie er nun das Kistchen aufgemacht hat, da sah er wie eitel Erd in dem Kistchen war. Da sprach der Kaiser: »Sieh, die Juden spassen meiner, sie schicken mir eitel Erd. Ich will sie alle lassen töten.« Da kam Elijohu hanowi (der Prophet Elia), un macht sich gleich als wenn er einer wär, von den Räten des Kaisers un sagt: »Herr Kaiser, nit vergieß unschuldig Blut. Vielleicht wird das von der Erden sein, die ihre Eltern gebracht haben, gleich wir gefinden bei Awrohom unserm Vater. Wenn derselbige die Erd bracht, un wo er sie hinwerft, da waren eitel Schwerter aus[86] der Erden, damit tät er sein Feind bezwingen. Un wenn er sie auf sein Feind warft, da waren eitel Pfeiler drauß, gleich als da geschrieben steht: – Er gibt sein Erd als Schwerter un als ein Stroh seinen Bogen –. Nun vielleicht is das auch von derselbigen Erd, daß einer sein Feind kann mit bezwingen.« Da das der Kaiser hört, da gedacht er, ich hab eine Medine (Provinz), die mir abgefallen is, un mit dem will ich es versuchen ob ich sie damit zwingen kann. So zieht er vor die selbige Stadt un warft von derselbigen Erd in eine Stadt hinein. Da war die Erd zu eitel Schwerter un er bezwingt dieselbige Stadt. Un er nahm die Erd, die noch übrig war, un legt sie in Auzor (Schatzkammer) hinein. Un er gebot man soll dem Nochem das Kistchen mit eitel Edelsteinen wieder füllen. Das geschah gleich. Also war er wieder heim geschickt mit Ehr un Würdigkeit. Da kam er wieder in die Herberg, da sie ihm sein Kistchen ausgeleert haben. Da sprachen dieselbigen Schalken wieder zu ihm: »Lieber, was hast du denn gebracht, daß man dich mit so einer großen Würdigkeit heim laßt ziehen?« Da sprach der Nochem: »Was ich von hinnen hab weggeführt, das hab ich dem Kaiser geschenkt. Un dafür hab ich so ein Kowaud (Ehre) eingenommen.« Da gingen dieselbigen Schalken hin un nahmen auch von derselbigen Erd un führten es zum Kaiser. Wie sie nun zum Kaiser kamen, da sagten sie: »Herr Kaiser, da bringen wir auch die Erd, die dir der Jud gebracht hat, denn er hat die Erd von uns genommen.« Da nahm der Kaiser die Erd un versucht sie. Da war sie Erd gleich wie andere Erd auch. Da ließ sie der Kaiser alle töten un den Juden ging es gar wol aus. Viel besser soll es uns gehn. Omen.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 85-87.
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