Vorwort

Das vorliegende Geschichtenbuch ist unter möglichster Angleichung an seine alte Form einem deutschen Leserkreis dargeboten.

In erquickender Unbefangenheit geben die Legenden und Erzählungen Einblick in das Leben der Juden zur Zeit des Mittelalters. Sie zeigen ihre äußere Not und Bedrückung, die Widerstände, die Abwehr, die sie gegen eine feindliche Umwelt suchten. In erhabener Größe ersteht aber auch die Kraft des Glaubens an gottgegebene Lehre, in winzigen Alltagserlebnissen bis zu höchstem Märtyrertum. Neben Dokumenten des Glaubens, des Wunderglaubens und des Aberglaubens, sind die Geschichten auch starke Beweise der Lebensbejahung der jüdischen Lehre: Genuß, Besitz, Fröhlichkeit und vor allem die große Reinheit und Keuschheit in der Auffassung jener Lebensäußerungen, die Basis und Bestand des Judentums bilden. Das Buch stellt nicht den geringsten Anspruch an Wissenschaftlichkeit.

So wie das Original für den einfachen Sinn und das Verständnis der damaligen jüdischen Frauen ausgewählt und in lieblicher Naivität niedergeschrieben ist, so anspruchslos möchte auch die Bearbeitung aufgenommen sein. Und doch kann das Maassebuch heute der Wissenschaft dienen: kulturgeschichtlich, folkloristisch, sprachwissenschaftlich[7] und nicht zuletzt soziologisch als Hinweis auf die wichtige, und doch so – bescheidene Stellung der Frau im Judentum.

In der Hand von Eltern, Erziehern und Lehrern können die »Allerlei Geschichten« eine Brücke zu dem erneuten Verständnis der Bedeutung überlieferten jüdischen Kultur- und Glaubensgutes werden.

Den Herren Prof. Dr. A. Freimann und Prof. Dr. I. Elbogen, sowie Fräulein Ida Posen, die mir bei der Herausgabe der vorliegenden Arbeit wertvolle Förderung und Hilfe geleistet haben, sei noch an dieser Stelle herzlichst gedankt.


Neu-Isenburg, im August 1929


Bertha Pappenheim[8]

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929.
Lizenz:
Kategorien: