Dreizehntes Capitel.
Von einer unlautern Liebe.

[19] Es gab einen Kaiser, der eine schöne Frau hatte, welche er gar sehr liebte. Diese empfing aber im ersten Jahre ihrer Ehe und gebar einen Sohn, welchen sie als Mutter gar sehr liebte und sogar jede Nacht in einem Bette mit ihm schlief. Als er aber drei Jahre alt war, da starb der König und über den Tod desselben erhob sich ein großes Wehklagen. Auch die Königin beweinte seinen Tod viele Tage; als sie ihn aber dem Grabe übergeben hatte, da lebte sie in einem gewissen Schlosse und hatte ihren Sohn bei sich. Sie liebte aber den Knaben so, daß sie seine Gegenwart nicht entbehren konnte und beide schliefen beständig beisammen, bis der Knabe das achtzehnte Jahr überschritten hatte. Und als der Böse eine so große Liebe zwischen einer Mutter und ihrem Sohne sah, da reizte er sie zu einer Gottlosigkeit, sodaß der Sohn seine Mutter erkannte. Die Königin aber empfing alsbald, aber als sie schwanger war, da verließ ihr Sohn das Reich aus Betrübniß und begab sich in ferne Welttheile. Indessen gebar die Mutter, als ihre Stunde gekommen war, einen sehr schönen Knaben: allein kaum sah sie ihn geboren, als sie ihn auch ermordete, – indem sie ihm die Kehle abschnitt. Es fiel aber Blut aus der Kehle des Kleinen auf die linke Hand der Königin und es wurden vier runde Kreise von dieser Gestalt: 0 0 0 0. Die Königin konnte aber durch keine Kunst diese Kreise von ihrer Hand wegbringen und darum scheute sie sich so, daß sie beständig einen Handschuh trug, damit diese Kreise nicht zu sehen wären. Nun war diese Königin gar sehr[20] der heiligen Jungfrau ergeben, schämte sich aber so sehr, daß sie von ihrem eigenen Sohne ein Kind bekommen und dasselbe getödtet hatte, daß sie deshalb durchaus nicht beichten wollte und beichtet allezeit nur funfzehn ihrer übrigen Sünden. Nun vertheilte aber diese Königin aus Liebe zur Heiligen Maria reichliches Almosen und wurde von Allen geliebt und war bei Allen angenehm. Nun begab es sich aber in einer Nacht, daß ihr Beichtvater vor seinem Bette auf den Knieen lag und sein Ave Maria hersagte. Da erschien ihm die heilige Jungfrau und sprach: ich bin die Jungfrau Maria und habe Dir etwas Geheimes zu verkündigen. Darüber freuete sich der Beichtiger sehr und sprach: O theuerste Herrin, sage Deinem Knechte, was Dir gefällig ist. Sie aber sprach: die Königin dieses Reichs ist Dein Beichtkind, und doch hat sie eine Sünde begangen, welche sie Dir aus allzugroßer Scheu nicht zu entdecken wagt. Am morgenden Tage wird sie zu Dir zur Beichte kommen, sage ihr von mir, daß ihre Almosen und Gebete vor das Angesicht meines Sohne gekommen und von ihm angenommen worden sind. Ich befehle ihr aber, daß sie Dir von jener Sünde beichte, welche sie heimlich in ihrer Kammer begangen hat, da sie ihren einzigen Sohn tödtete. Ich habe für sie gebeten und ihre Sünde ist ihr verziehen, wenn sie beichten will. Wenn sie sich aber bei Deinen Worten nicht beruhigen will, so bitte sie, daß sie den Handschuh von ihrer Linken ablege und Du wirst auf ihrer Hand die begangene und nicht gebeichtete Sünde sehen, und wenn sie auch das nicht will, so ziehe ihr den Handschuh mit Gewalt ab. Bei diesen Worten verschwand die Jungfrau Maria. Am Morgen aber beichtete die Königin demüthig alle Sünden mit Ausnahme dieser einzigen. Als sie ihm aber Alles, was ihr gefiel,[21] gesagt hatte, da sprach ihr Beichtiger: Herrin und geliebteste Tochter, die Leute sprechen vielerlei, warum Du an Deiner linken Hand einen Handschuh trügest: zeige mir kühnlich Deine Hand, damit ich sehen kann, ob etwas an ihr verborgen ist, was Gott nicht gefällt. Jene aber sprach: Herr, meine Hand ist nicht gesund, und darum will ich sie Euch nicht zeigen. Als er jedoch das hörte, da nahm er sie beim Arme, zog trotzdem daß sie nicht wollte, ihr den Handschuh ab und sagte: Herrin, fürchte Dich nicht, die heilige Jungfrau Maria, welche Dich zärtlich liebt, hat mir befohlen, also zu thun. Als er aber die geöffnete Hand sah, er blickte er vier blutrothe und runde Kreise: im ersten Kreise stand viermal c c c c, im zweiten viermal d d d d, im dritten viermal in m m m m und im vierten viermal r r r r. Um die Kreise herum stand wie auf einem Petschaft eine rothe Umschrift, die folgende Worte enthielt: und zwar zuerst um die vier c: »Casu Cecidisti Carne Caecata (durch Zufall bist Du gefallen, von fleischlicher Lust verblendet)«, bei den d: »Daemoni Dedisti Dona Donata (Du hast Dich dem Bösen als Geschenk gegeben)«, bei den m: »Monstrat Manifeste Manus Maculata (dieß zeigt offenbar Deine Hand mit den Flecken)« und bei den r: »Recedit Rubigo Regina Rogata (die rothen Flecken gehen weg, wenn die Königin befragt worden ist).« Als das die Königin gesehn hatte, fiel sie ihrem Beichtiger zu Füßen und beichtete demüthig mit Thränen ihre begangene Sünde. Als sie nun Vergebung ihrer Sünden erhalten und Buße gethan hatte, da entschlief sie nach wenig Tagen in dem Herrn und über ihren Tod erhob sich ein großes Wehlklagen im Lande.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 19-22.
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