Achte Erzählung.
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Vom Kaiser Octavianus.

[142] Einst herrschte der gewaltige Octavianus zu Rom, der hatte sein Weib um dreierlei Sachen Willen, die sie an sich hatte, lieb. Zum ersten, weil sie ihm getreu war, zum andern, weil sie schön war, und zum dritten, weil sie beständig und gehorsam war. Nun geschah es in einer Nacht, als sie zu Bette lag, daß er gedachte nach dem heiligen Grabe zu ziehen, und des Morgens früh rief er die Kaiserin und seinen Bruder vor sich und sprach: Frau, ich habe mir vorgenommen eine kleine Zeit von hinnen zu ziehen: nun traue ich Dir so wohl, daß ich Dir Alles, was ich habe, befehle, und will Dir dazu keinen Obmann setzen, als meinen Bruder, der soll thun nach Deinem Gebot Alles, was Du nicht selbst magst, und er soll Dir gehorsam und unterthänig seyn. Und er schickte sich nachher in der Kürze darzu an, und zog mit einem schönen Gefolge seine Straße, und seine Frau hielt das Reich indessen alle Zeit gar ordentlich zusammen. Nun ward des Kaisers Bruder aber von der Liebe zu dieser Frau so sehr gefangen, daß er sich versah, es müsse sein Tod wer den, so er nicht an ihr seine Lust büßen[142] könnte. Nun kam es eines Tages, daß er die Frau allein fand, so daß Niemand bei ihr war: da hub er an und sagte ihr sein Leiden. Und da nun die Frau seine ungetreue Bitte vernahm, da ward sie davon erzürnet und sprach, wie er so ungetreu und falsch sey, daß er seinem Bruder die Treue brechen wolle, der ihm doch so wohl getrauet, und an sie ein solches Begehren gerichtet habe, das an ihm nicht ungerochen bleiben könne. Wie er das hörte, da schied er traurig und niedergeschlagen von ihr, ließ jedoch nicht von ihr ab, und wie er doch seinem Wunsche eine Statt bereit machte, so kam er wieder zu ihr und sagte ihr, was Leidens er habe. Und da nun die Frau fand, daß er von seiner Thorheit nicht lassen wolle, da legte sie ihn gefangen und behielt ihn da bis an des Kaisers Ankunft. Und da er nun vernahm, daß der Kaiser sein Bruder kommen solle, da gedachte er bei sich selbst: so mich mein Bruder hier gefangen findet und meine Schuld an seiner Frau erfährt, so bin ich ein Kind des Todes. Und er überzeugte sich davon und sandte nach der Frau, daß sie zu ihm käme, er habe ein klein wenig mit ihr zu reden. Das gewährte ihm die Frau und kam, und da er sie sah, da sprach er: O Frau, um Gott bitte ich Euch, mir Erbarmen widerfahren zu lassen, laßt mich aus dieser Noth, denn wenn mich mein Herr findet und meine Schuld an Euch erfährt, so bin ich ein Kind des Todes. Da die Frau nun sein heißes Flehen erhört hatte, so befahl sie, man solle ihn loslassen, schickte ihn in's Bad und sandte ihm darnach sogar neue Kleider zu. Hierauf sprach sie zu ihm: wohlan, der Kaiser ist in der Nähe, wir wollen ihm entgegenreiten. Da machte er sich auf, und als sie so miteinander ritten, da kam ihnen ein Hirsch zu Gesichte und lief an ihnen vorüber, und sobald sie ihn erblickt hatten,[143] eilte ihm das ganze Gefolge nach, so daß bei der Dame Niemand zurückblieb, als des Kaisers Bruder. Wie der aber sah, daß er nun allein bei seiner Schwägerin sey, da erwachte seine alte Bosheit in ihm und er sprach also zu der Frau: Frau, Du siehst wohl, daß jetzund Niemand bei uns ist, darum bitte ich Dich, daß Du mir meine Bitte jetzt noch gewähren mögest. Als das die Frau hörte, da überkam sie gar großer Zorn und sie sprach: ich hoffe zu Gott, daß mein Leib keinem andern Manne zu Diensten sey, denn meinem Herrn allein. Kaum hatte aber des Kaisers Bruder dieses vernommen, so ward er sehr erzürnt, zog ihr alle Kleider bis auf das Hemde vom Leibe und hing sie bei den Haaren an einem Baume auf, worauf er das Pferd, welches die Frau geritten hatte, laufen ließ und seinem Bruder entgegen ritt. Nun fügte es sich, daß am selbigen Tage ein Herzog in der heißen Mittagszeit durch denselben Wald ritt und seine Hunde, wie sie die Frau erblickten, vor ihr standen und sie anbellten, bis der Herzog dazu kam. Und da er die Frau also hängen sah, da fragt er sie, wer sie wäre und wie sie in diese Lage gekommen sey. Da antwortete die Frau: wer ich bin und wie ich hierherkam, das weiß Gott wohl, aber Eins bitte ich Dich, daß Du mich von diesem Baume losmachen mögest. Darauf sprach der Herzog: das will ich gern thun, und befahl, daß man die Frau löse, und als sie los gemacht worden war, schickte er sie heim in sein Haus und empfahl ihr seine Tochter, daß sie diese unterrichten und erziehen solle. Nun hatte der Herzog an seinem Hofe einen Ritter, der war sein Hofmeister und diente der Frau Tag und Nacht in der Absicht, daß sie ihm zu Willen seyn sollte. Und da er solches nun einstmal von ihr begehrt hatte, versagte sie es ihm zorniglich mit[144] folgenden Worten, wie sie es Gott zugeschworen habe, keinen Mann zu erkennen, als den sie mit Recht erkannt hätte, und er möge sie also solcher Bitten überheben. Wie das der Hofmeister hörte, schämte er sich, daß sie es ihm so trocken abgeschlagen hatte, und er dachte nun Tag und Nacht darüber nach, wie er sie einmal in Schaden bringen könnte. Nun schlief die Frau des Nachts bei des Herzogs Tochter in derselben Kammer, worin der Herzog bei seiner Frau lag. Nun kam der Ritter einmal des Nachts in die Kammer geschlichen und sah, daß sie alle schliefen, da nahm er ein scharfes Messer und schnitt dem Kinde die Kehle ab, und gab das blutige Messer der Frau in die Hand, damit man davon abnehmen könnte, daß sie dieses Kind getödtet hätte, und ging damit seine Straße. Nun brannte aber eine Ampel alle Nächte in der Kammer, und da die Herzogin erwachte, sah sie das blutige Messer in der Hand der Frau, die neben dem Kinde lag, da sie den Arm auf die Decke gelegt hatte, und wie das die Herzogin sah, erschrack sie sehr und weckte ihren Herrn. Der sprang schnell auf und schaute nach seiner Tochter und sah, daß sie todt und ihre Kehle abgeschnitten war und das ganze Bett voller Blut. Da schrieen Vater und Mutter sehr, und da die Frau von dem Geschrei erwachte, da sprach der Herzog zu ihr: o Du gottloses Weib, was für einen Lohn läßt Du mich für meine Treue genießen, daß ich Dich von dem Tode gerettet habe. Wozu hast Du mein armes Kind aufgezogen, daß Du dasselbe also unschuldig getödtet hast? Darüber entsetzte sich die Frau sehr und sprach: mir ist die ganze Sache durchaus unbekannt, und ich bin mir nichts bewußt. Auch ist das Messer, so lange ich lebe, nie mein gewesen, welches ich in meiner Hand gefunden habe, und[145] ich weiß auch nicht, wie es dahin gekommen ist; darum möget Ihr mit mir thun, wie Ihr wollt. Die Herzogin bat nun ihren Herrn recht sehr, er möge sie tödten lassen, der aber sprach: ich will mich an ihr nicht schuldig machen, und hieß sie schnell von dannen gehen, auf daß sie aus seinen Augen käme. Das that nun auch die Frau mit großen Wehklagen, setzte sich auf ein Pferd und kam vor eine Stadt. Da führte man ihr einen Mann entgegen, der war ein Straßenräuber gewesen, den schleppte man nach dem Galgen, auf daß man ihn henken sollte. Da das die Frau ersah, so eilte sie hin zu ihm und fragte den Richter, ob er den Gefangenen um Geld losgeben wolle, der aber sprach, ja er sey bereit dazu. Darauf machte ihn die Frau mit Geld, was sie in Bereitschaft hatte, los, nahm ihn mit sich hinweg und sprach: Du weißt wohl, daß ich Dich vom Tode erlöset habe, darum sey mir nunmehr getreu, und das verhieß er ihr. Und da sie nun wiederum in die Nähe einer Stadt kamen, da sandte ihn die Frau voraus, daß er ihr eine Herberge bestellte, und das that der Knecht. Und als sie nun dahin kamen, da blieb sie da und hieß ihm, daß er ihr Schiffer kommen ließe, da sie über das Meer fahren wolle. Da kam nun einer, der dieselbe Straße fahren wollte, wohin sie mußte, und da sie das vernahm, da ging sie zu ihm in das Schiff und wollte mit ihm dingen. Und da der Mann ihre Schönheit sah, da bestach er den Knecht heimlich mit Geld, daß er aus dem Schiffe ging, und da das geschehen war, da stieß er vom Lande und fuhr auf die weite See. Wie das die Frau ersah, da kam große Bestürzung über sie, und sie fragte ihn, was er im Sinne habe, der aber sprach zu ihr: entweder ich schlafe bei Dir, oder ich werfe Dich in's Meer, wo Du eines bittern Todes sterben mußt. Darüber erschrak die Frau gar sehr, und[146] fiel an ihrem Bett auf ihre Knie und bat Gott, daß er sie behüte vor diesem sündlichen Falle. Und alsbald kam ein starker Regenschauer und ein großes Ungewitter, und riß das Schiff auseinander, doch wollte Gott Keins verderben, so daß ein Jedes auf einem Theile des Schiffes entkam, aber Eins wußte von dem Andern nichts. Da kam nun die Frau zu einer Abtei, in welcher Klosterfrauen waren, und bat daselbst um Herberge, und die Frauen nahmen sie auf und freueten sich über sie. Da blieb denn die Frau eine Zeit lang allein und studierte alle Zeit in einem Buche, das von den Kräften der Kräuter handelte, und ward darin so klug, daß ihre Kunst durch alle Länder erscholl, also daß alle Sieche nach ihr fragten, und wessen sie sich annahm, der war genesen. Nun wollte aber Gott dem Leiden, das sie lange gehabt hatte, ein Ziel setzen und sie wiederum zu Freuden bringen. Darum focht des Kaisers Bruder ein großes Gebreste an, und da das der Kaiser vernahm, da machte er sich samt seinem Hofe auf und ritt zu dem Kloster, darin er die Frau wußte. Nun begab es sich auch, daß der Ritter, der des Herzogs Kind getödtet hatte, gichtbrüchig ward an Händen und Füßen und auch zu dem Kloster kam. Dahin kam auch der Meerfahrer, der war wassersüchtig worden, und der Knecht, den sie mit ihrem Geld vom Tode erlöst hatte, der war blind und hörte nicht mehr und kam auch in das Kloster. Und da sie nun alle dort zusammen kamen und die Hilfe der Frau begehrten, da kam die Frau, und es erkannte sie Keiner, und sie sprach, nur sobald Jeder von ihnen vor allem Volke alle seine Missethat beichte, anders könne sie keinen gesund machen. Da das der Kaiser hörte, da sprach er: damit soll mein Bruder anheben, und befahl ihm solches. Der aber sprach: wenn dem so ist, daß ich anders nicht gesund werden mag, es sey[147] denn daß ich alle meine Sünden verrathen habe, so versehe ich mich langer Krankheit, denn wenn ich meines Bruders Sicherheit verrathen habe, wollte ich lieber dieses Gebrestes wirkliche Leiden ertragen. Da das der Kaiser hörte, ward er sehr zornig und sprach: o Du Bösewicht, was hast Du gethan, daß Du Dich so sehr fürchtest, daß Du lieber dieses Gebrestes Leiden ertragen wolltest? Der sprach aber: nur in dem Falle, daß Ihr mich sicher stellet, anders sage ich nichts. Da sprach der Kaiser: wohl, ich verspreche Dir Sicherheit für Alles, was Du wider mich und die Meinen gethan hast. Da das der Bruder hörte, da sagte er, wie er der Ehre der Frau des Kaisers nachgestellt habe und wie sie ihn, da er das lange Zeit von ihr begehrt, gefangen gehalten hätte, und er sagte alles, wie oben geschrieben steht, und wie er sie zuletzt aufgehangen habe, wo sie aber darnach hingekommen sey, das wisse er nicht. Wie das der Kaiser hörte, da gerieth er gar sehr in Zorn und es gereuete ihn, daß er ihm Sicherheit gewährt hatte. Und wie der Ritter, der des Herzogs Hofmeister gewesen war, das hörte, was des Kaisers Bruder gesagt hatte, da sprach er: wie ich von diesem gehört habe, daß er Euere Frau in dem Forste aufgehangen hat, gerade so hat mein Herr, der Herzog, Euere Frau gefunden und sie seiner Tochter zur Erzieherin gesetzt, und da sie mir nicht gewähren wollte, was ich von ihr begehrte, da schnitt ich meines Herrn Tochter die Kehle ab, daß es so heraus kam, als ob sie es gethan hätte, und brachte es also dahin, daß sie vom Hofe getrieben wurde. Und da solches der Räuber vernahm, da sagte er, wie ihm eine schöne Frau begegnet sey, da man ihn zu dem Galgen führte, und die habe ihn für ihr eignes Geld ausgelöset, und sagte auch, wie er ihr seine Treue gebrochen hätte. Wie das Alles der Meerfahrer[148] hörte, da sagte er auch, wie er an der Frau auf dem Schiffe gehandelt hätte, und wie solches die Frau gehört hatte, sprach sie: sie haben Alle recht gebeichtet, und legte ihnen Arzneimittel auf, und sie wurden zur Stelle gesund. Und als solches geschehen war, da sprach sie zum Kaiser: Herr, was meinst Du, ob Du nicht wieder froh werden würdest, so Du die Frau sähest, die so viel um ihrer Keuschheit Willen erlitten hat? Der aber sprach: Ja, sicher, über alle Freuden der Welt hinaus würde ich mich freuen! Da nahm sie sogleich das Tüchlein ab, mit welchem sie das Haupt umbunden hatte, und da erkannte er sie und umhalste sie mit großer Freude und führte sie darnach mit sich heim, und verbrachten sie von nun an ihre Tage seliglich mit einander.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 142-149.
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