CVI.

[220] [Rand: Alaim.] Ishak von Moßul, der berühmte Tonkünstler und vertraute Gesellschafter des Chalifen Mamun, gieng eines Abends durch eines der engen Gäßchen von Bagdad. Er stieß mit dem Kopfe gegen etwas, das zwar wich, gleich aber wieder auf seine Stelle zurückkam, und ihn ein andermal vor den Kopf stieß. Er tappte im Finstern, um zu sehen, was es wäre, und fand, es sey ein Korb, der an einem vom zweyten Stockwerk des Hauses herabgelassenen Stricke frey in den Lüften hieng. Ohne viel zu überlegen, setzte er sich in den Korb, der auf der Stelle in die Höhe gezogen ward. Oben empfiengen denselben vier Sklavinnen, die den Gast herausnahmen, und in einen herrlich erleuchteten Saal führten.

Bald hierauf rauschte ein Vorhang auf, und eine Schaar von Mädchen trat aus dem innern Gemache in den Saal; die einen mit großen silbernen Leuchtern,[220] die andern mit musikalischen Instrumenten in der Hand. Die Frau vom Hause, die eben so leicht durch die Schönheit, als durch die Pracht, mit der sie ihre Mädchen überstrahlte, kenntlich war, setzte sich nieder, und fragte den Tonkünstler, wie er seinen Weg hieher gefunden, und wer er sey. Ishak gestand die Wahrheit über die sonderbare Art seiner Hieherkunft, verschwieg aber seinen wahren Namen, und sagte, er sey ein Leinweber seines Handwerkes. Sey willkommen, sprach sie, wenn du einige Anekdoten oder Lieder weißt, um zum Vergnügen unserer Gesellschaft das Deinige beyzutragen. Das ist die ganze Forderung, die wir an dich stellen. Ishak improvisirte sogleich einige Verse, welche die Frau vom Hause überzeugten, daß er ihrer Gesellschaft nicht unwürdig sey. Man schwätzte, fabelte, improvisirte, und sang die ganze Nacht hindurch. Endlich ließ sich die Dame eine Laute bringen, auf der sie erst vorspielte, und dann eine der berühmtesten Arien Ishak's von Moßul, die sie selbst sang, begleitete. – Kennst du dieses Lied, fragte sie? – Nicht im geringsten, antwortete er. – Nun die Worte sind von dem und dem, und die Musik von Ishak. Ich zweifle nicht, erwiederte der Gast, daß Ishak dieses Lied deinen schönen Augen zu Ehren in Musik gesetzt hat. – Ey warum nicht gar! – Ich würde mich allzuglücklich schätzen, wenn ich diese Worte nur einmal aus seinem eigenen Munde singen hören könnte. Die[221] Nacht verfloß unter solchen Gesprächen und Gesängen. Gegen Morgen trat eine alte Frau herein, und entließ die Gesellschaft mit den Worten: Genug für heute; legt Euch schlafen, meine Kinder! Ishak stand auf, und empfahl sich. Eine Sklavin leuchtete ihm vor, und führte ihn die Stiege hinab ans Thor, wo er hinaus, und nach Hause gieng. Den Tag brachte er, wie gewöhnlich, am Hofe des Chalifen zu; sobald es aber Abend ward, stahl er sich weg, um sein gestriges Abentheuer zu verfolgen.

Er fand auf derselben Stelle den Korb, und ward darin wie gestern, in einem Nu aufgezogen. Die Nacht ward zugebracht wie die vorhergehende, mit Gesprächen und Gesängen. Ishak, der bey sich bedachte, daß er früher oder später die Sache dem Chalifen entdecken müsse, bat sich von der Dame die Erlaubniß aus, den nächsten Abend einen seiner Vettern mitführen zu dürfen, der viel besser sänge und improvisirte als er selbst. Ich habe nichts dawider, sprach sie, bring' ihn morgen mit.

Ishak, als er nach Hause kam, fand Leute des Chalifen, welche Befehl hatten, ihn auf der Stelle nach Hofe zu führen. Der Chalife fuhr ihn sehr zornig an: Lüderlicher Gassenstreicher! wie ich sehe, ziehst du deine nächtlichen Orgien meiner Gesellschaft vor; wo bist du gestern und vorgestern Abends gewesen? ich will die reine Wahrheit wissen, oder ich werde mich ernstlich zürnen. Ishak erzählte, was ihm begegnet,[222] und wie er des Chalifen nicht vergessen. Dieser war sehr damit zufrieden, daß Ishak auch für ihn auf den folgenden Abend einen Korb bestellt habe. Er erwartete mit Ungeduld den Untergang der Sonne.

Sie giengen Beyde an denselben Ort, und fanden zwey Körbe an Stricken aufgehängt. Die Unterhaltung war lebhafter und glänzender als je. Mamun galt für einen Kaufmann und Vetter des Leinwebers. Nachdem er einige Gläser getrunken, überließ er sich der Freude, vergaß aber dabey seiner Rolle, und rief seinen Vetter beym Namen Ishak. – Dieser antwortete sogleich: Zu Befehl, Fürst der Rechtgläubigen! – Sobald die Dame diese Worte gehört, zog sie sich zurück, und die alte Frau erschien an ihrer Stelle. Der Chalife fragte, wem das Haus gehöre, und wer die Dame sey? Es war Fräulein Juran, Hassans Tochter; die alte Frau war ihre Mutter. Giebst du sie mir zur Ehe? fragte der Chalife; ich gebe ihr dreyßig tausend Dirhem Morgengabe. Die Ehe ward vollzogen, und der Chalife befahl seinem Vertrauten Ishak von Mosul, hierüber das strengste Geheimniß zu bewahren. Auch bewahrte es Ishak bis nach dem Tode des Chalifen, wo er die Geschichte mehr als einmal erzählte, und immer damit beschloß, daß er nie drey vergnügtere Nächte zugebracht habe, als diese drey, in Gesellschaft der geistreichen und schönen Juran.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 220-223.
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