CXXXI.

[262] [Rand: Dschami. 906.] Ein Fürst aus Balch reiste nach Bagdad, und von dort wallfahrtete er nach Mekka. Der Wind hob den Schleyer einer Frauensänfte aus der Karawane auf, und der Anblick des entschleyerten Engelgesichts raubte dem Fürsten Besinnung und Ruhe. Ohne weiter etwas von ihrem Namen und Stande entdecken zu können, reiste er nach Bagdad, wo er sich bey einem Spezereyhändler einmiethete, in der Hoffnung, seiner schönen Unbekannten auf die Spur zu kommen.

Sein Wirth fragte ihn um die Ursache seiner Anwesenheit in Bagdad und seiner tiefen Schwermuth. Er hatte dessen kein Hehl, und machte eine so umständliche Beschreibung der Sänfte und des schönen Weibes, daß der Spezereykrämer darin sein eigenes erkannte. Wiewohl er dasselbe innigst liebte, so beschloß er doch, der Gastfreundschaft ein Opfer zu bringen, eines der größten und seltensten, deren die Großmuth fähig ist. Er schied sich von seiner geliebten Gemahlin, und, ohne daß sie oder der Fürst die Wahrheit vermutheten, überließ er sie dem Freunde. Durch einen Zufall ward der Grund der Scheidung entdeckt, und der Fürst, nicht weniger großmüthig als leidenschaftlich[262] verliebt, stellte seinem Wirthe seine Gemahlin mit reichlichen Geschenken wieder zurück.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 262-263.
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