XXXV.

[62] Beym Chalifen Harun Raschid ward einer der Abkömmlinge der Familie Ommia, der in Damaskus[62] lebte, angegeben, wegen der Menge seiner Reichthümer und der Herrlichkeit seiner Feste. Harun, der eine geheime Eifersucht nicht unterdrücken konnte, befahl Minara, einem seiner Vertrauten, sich nach Damaskus zu begeben, und ihm den Sohn Ommia's in Ketten zu bringen. Dies geschah im Jahre der Hedschira acht hundert und sechs, wo Harun gegen Kufa ausgezogen war. Er gab seinem Abgesandten nicht mehr Zeit, als sechs Tage zur Hinreise, sechs Tage zur Rückkehr, und einen zum Aufenthalte, so, daß er ihn am Abend des dreyzehnten Tages ganz gewiß zurückerwartete. Er befahl, den Gefangenen mit seinem ganzen Hause herbeyzuführen, auch sollte Minara auf jedes Wort, das auf dem Wege gesprochen würde, wohl acht haben.

Minara rannte mit unglaublicher Hast auf unterlegten Dromedaren, und kam am Abend des siebenten Tages vor den Thoren von Damaskus an. Da dieselben verschlössen waren, mußte er warten bis an den Morgen. Er begab sich in's bezeichnete Haus, das er voll fand von Pferden und Sklaven. Der Herr war im Bade.

Minara ließ sich als Abgesandter des Chalifen melden, mit dem Bedeuten, daß sein Auftrag schleunig ausgerichtet seyn müsse. Ungeachtet dessen währte es lange, bis der Hausherr erschien. Endlich kam er, von einer Schaar von Sklaven und Knaben umgeben. Er hieß Minara niedersitzen, und das Mittagsmahl[63] auftragen, das an Glanz und Verschwendung die Tafel des Chalifen übertraf.

Die große Schaar der Dienerschaft entfernte sich, und es blieb nur ein Dutzend Sklaven zurück. Minara fieng nun an, für seine eigne Sicherheit zu fürchten, und bedachte, was zu thun, während der Hausherr das Gebet verrichtete. Nach dem Gebete zog Minara den Befehl des Chalifen aus dem Busen. Der Hausherr las ihn, ohne im geringsten seine Fassung zu verlieren. Dann rief er seine Kinder, seine Verwandten, und sein ganzes Haus zusammen, und schwor bey der Kaaba, und bey allem was heilig, um ihnen die geringste Widersetzlichkeit wider des Chalifen Befehl zu untersagen. – Gieb mir die Ketten her, Minara, ich werde sie mir selbst anlegen, und brauche Niemanden dazu. Er bestieg den Dromedar, und behielt den ganzen Weg hindurch dieselbe unerschütterliche Gleichheit des Gemüthes, las den Koran, oder recitirte Sprüche der Weisheit.

Endlich langten sie am Abend des fünfzehnten Tages vor Kufa an. Sechs Paasangen weit hatte der Chalife besondere Posten ausgestellt, ihm die Ankunft Minara's zu melden. Er ward auf der Stelle vorgelassen, und mußte haarklein erzählen, was er in Damaskus und auf der Reise gesehen und gehöret hatte. Die Regungen der Eifersucht, des Mitleidens, der Bewunderung, verfolgten sich abwechselnd in der Seele des Chalifen. Er ließ den Abkömmling Ommia's[64] berufen, und fragte ihn, ob er nichts bedürfe. Dieser begehrte die Gnade, in den Schooß seiner Familie zurückzukehren. Harun gewährte ihm dieselbe, und Minara erhielt den Auftrag, ihn mit einem zahlreichen Gefolge und mit allen Ehren zurückzuführen. Auch überhäufte ihn Harun mit Geschenken, und dachte mit Recht, dies sey das edelste Benehmen gegen einen Abkömmling der Familie Ommia, welcher das Haus Abbas Rache und Untergang geschworen hatte.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 62-65.
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