V.

[6] [Rand: Alaim.] Omar Al-Chatab, der Chalife, ersuchte eines Tages den Tapfersten seiner Tapferen, Amru, den Sohn Modikorbs, des Zobeiditen, ihm zu erzählen von der größten Feigheit und von der größten Tapferkeit, die ihm in seinem Leben vorgekommen.

Ich war eines Tages, erzählte Amru, auf die Jagd ausgegangen. Da fand ich auf der Haide ein Pferd an einen Pfahl gebunden, eine Lanze senkrecht in die Erde gesteckt, und einen Menschen darneben ins Gras gelagert. Er spielte mit seinem Degengehenke. Habe Acht, rief ich ihm zu, du bist ein Kind des Todes. – Und wer bist du? fragte er mit halb erstickter Stimme. – Ich bin Amru, der Sohn Modikorbs, des Zobeiditen, der Held, weitberühmt unter den arabischen Stämmen. Kaum hatte ich diese Worte vollendet, als der Mann einen Schrey und seine Seele von sich gab. Und dies ist das Beyspiel der größten Feigheit, die mir je vorgekommen.

Ein andermal tummelte ich mein Pferd auf der[6] Haide, bald rechts, bald links, ohne bestimmten Zweck. Ich begegnete einem blühenden Jüngling, der von Jemama herkam. Er grüßte mich, ich ihn, und fragte dann um seinen Namen. Ich bin, sprach er, Hareß, Saad's Sohn. Habe Acht, rief ich ihm zu, du bist ein Kind des Todes. – Und wer bist du. Elender, der du so zu prahlen wagest? – Ich bin Amru, der Sohn Modikorbs, berühmt unter den Arabern. – Dein Stammbaum soll dich nicht retten, rief er, und wir rannten mit vorgehaltenen Lanzen gegen einander. Ich stieß ihn grade auf die Brust, aber der Stoß prallte ab, und ich empfieng einen mächtigen Schlag auf das Haupt. Laß ab, rief er, Amru, nimm dies als Lehrgeld, ich will mich nicht mit deinem Blute beflecken. Ich war gedemüthiget, und hätte den Tod tausendmal der Schande vorgezogen. Dreymal brachen wir unsere Lanzen, dreymal ward ich auf dieselbe Weise gedemüthiget. Endlich bat ich ihn mein Freund zu seyn. Ich brauche deine Freundschaft nicht, erwiederte er, und dieses Wort demüthigte mich mehr als Alles vorhergehende. Doch ließ ich nicht ab von zudringlicher Vorstellung. – Unglück über dich! sprach er, du weißt nicht, daß mein Weg gerade führt zum blutigen Tod. – Es sey, entgegnete ich, ich will ihn wandeln mit dir Hand in Hand. – Wir ritten einen ganzen Tag lang miteinander, des Abends kamen wir zu einem Zelte. – Siehst du, sprach er, Amru, dort ist das Zelt des[7] blutigen Todes. Nun steige ab, und halte mir mein Pferd, daß ich mich bereiten möge, oder willst du lieber, so halte ich deines.

Ich ließ mir's gefallen, den Stallknecht zu machen, und hielt sein Pferd. Er gieng gegen das Zelt und rief ein Mädchen heraus, das schönste, das ich jemals gesehen habe. Er setzte es auf ein Kameel, und indem er mir den Zügel in die Hand gab, sprach er: führe sie, ich werde sie geleiten, oder wenn du lieber willst, so geleite sie, und ich werde sie führen. Ich nahm geduldig den Zügel des Kameeles und führte es. So zogen wir die ganze Nacht. Gegen Tagesanbruch fragte mich der Jüngling: Amru, siehst du Etwas? – Ich sehe Reiter von weitem in grauender Dämmerung. – Sind es deren viele, fuhr er fort, so hat es nichts zu sagen, sind deren aber wenige, so ist der blutige Tod unter ihnen. – Nun sehe ich deutlicher, es sind deren nur vier. – Wohlan, halte die Rechte des Wegs, ich halte die Linke. Die vier Reiter kamen je näher und näher. Es war der Vater des Mädchens und ihre drey Brüder. Sie grüßten uns, wir sie. – Thu' auf meine Tochter Verzicht, rief der Greis den Jüngling an. Wenn ich sie lassen wollte, erwiederte dieser, so hätte ich sie nicht entführet. Der erste der Brüder des Mädchens rannte auf ihren Entführer los, und blieb todt auf den ersten Lanzenstoß. Dasselbe Loos hatten die beiden andern Brüder. Der Vater beweinte den Tod[8] seiner drey Söhne, und bat noch einmal inständig den Jüngling, von seiner Tochter abzulassen. Wenn ich von ihr ablassen wollte, hätte ich sie nicht mitgenommen, war seine Antwort. Nun stürzten sie beide auf einander los. Der Greis riß mit seiner Lanze den Busen des Jünglings auf, dieser spaltete den Kopf des Greises. Sie fielen zu gleicher Zeit. Der Kampf hatte mir vier Lanzen und vier Pferde verschafft. – Das Mädchen, sey es, daß sie mehr den Tod ihres Vaters und ihrer Brüder, als den ihres Geliebten rächen zu müssen glaubte, sey es, weil sie lebenssatt war, stürzte wüthend auf mich. Ich mußte mich wider meinen Willen vertheidigen wider ihre Stöße. Sie fiel unter den meinigen. Das war die Scene des blutigen Todes, das Beyspiel der größten Tapferkeit, das mir auf meinen Zügen vorgekommen.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 6-9.
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