LXIX.

[118] [Rand: Alaim.] Raschid, der Chalife, konnte eine ganze Nacht hindurch kein Auge zuthun. Er stand von seinem Bette auf, und gieng von einem Saale in den andern, ohne Ruhe zu finden. Des Morgens ließ er Asmai rufen. Sobald er herein gekommen war, bewillkommte ihn der Chalife freundlich, und sprach: Guten Tag, Asmai. Erzähle mir etwas, um nach[118] einer so langen, schlaflosen Nacht die Grillen zu vertreiben. Erzähle mir, ich bitte dich, das Schönste, was du je von Dichterinnen gehört hast. Asmai antwortete: mit Vergnügen und Bereitwilligkeit, gnädigster Herr! Viel habe ich in meinem Leben von Mädchenversen gehört; aber nur drey derselben, von drey Mädchen gesungen, haben mir vollkommen gefallen. Der Chalife sagte: erzähle mir die Geschichte, und Asmai begann:

Eines Tages in Bassora trieb mich die größte Hitze an, einen Kühlungsort zu suchen. Ich suchte lange rechts und links umher, bis ich zuletzt eine Halle fand, die mit Tapeten belegt war, und aus deren Ecke sich ein Sofa erhob. Die Fenster waren geöffnet, der Wind hauchte Moschusduft. Ich trat hinein, setzte mich auf's Sofa nieder, und ward in diesem Augenblicke durch eine Melodie aufmerksam gemacht. Eine Mädchenstimme sang:


Ich schlief: mein Lieber gieng vorbey am Bette.

O, daß ich diese Nacht gewachet hätte!


Eine zweyte Mädchenstimme sang:


Es nahte sich im Traum mein Lieber,

Ich sprach: sey mir gegrüßt, geh' nicht vorüber.


Eine dritte Mädchenstimme sang:


In jeder Nacht ist's mir gegönnt mit ihm zu kosen,

Mein Bette duftet mir dann süß wie Rosen.


Als diese Engelstimmen verhallet hatten, wollte ich mich entfernen. Siehe, da trat eine Sklavin herein und sprach: setze dich nieder. Sie gab mir ein[119] Blatt. Ich machte es auf, und fand die folgenden Zeilen in schön gerundeter Schrift:

O Scheich! der Himmel friste dein Leben! Drey Schwestern haben sich seit dem Morgen versammelt, und jede hundert Goldstücke niedergelegt, als Ehrenpreis des besten Verses, der gesungen werden würde. Wir überlassen dir den Ausspruch des Urtheils, wie es dir Recht dünkt. Heil dir!

Gieb mir Feder und Dinte, sprach ich zur Sklavin. Sie brachte mir ein silbernes Dintengefäß, Moschusdinte und goldene Federn, und ich schrieb die folgen den Verse nieder:


Vernehmet mich! ich thue kund,

Was ich vernahm aus einer Sklavin Mund.

Drey Mädchen wollten, wie die Rosen,

Mit Nachtigallen in die Wette kosen.

Schon sank die Nacht, sie waren noch allein,

Und wollten Horchern tief verborgen seyn.

Ich drang in das Geheimniß ihrer Herzen,

War Zeug' von ihrem Spiel, von ihren Scherzen.

Die Erste sang mit süßer Huld und Schaam,

Der Wohllaut lächelte, als er's vernahm:

Ich schlief: mein Lieber gieng vorbey am Bette.

O, daß ich diese Nacht gewachet hätte!

Und als des Liedes Laut gemach verklang,

Da seufzt' die Zweyte tief, begann, und sang:

Es nahte sich im Traume mir mein Lieber,

Ich sprach: sey mir gegrüßt, geh' nicht vorüber.

Mit jedem Anhauch des Gefühls vertraut,

Erhob die Jüngste dann den Silberlaut:

In jeder Nacht ist's mir gegönnt mit ihm zu kosen,

Mein Bette duftet mir dann süß wie Rosen.[120]

Im Meer der Nacht verrann des Liedes Lauf,

Sie legten mir die Pflicht zu richten auf.

Der Jüngsten wird von mir der Preis erkennet.

Weil Wahrheit in des Liedes Gluten brennet.


Ich gab das Blatt der Magd, die bald hierauf wiederkam, und setze dich, Asmai, sagte. Ich fragte sie, wer meinen Namen verrathen hätte. Sie antwortete: die Verse selbst. Hierauf öffnete sich die Thür. Die erste Sängerin trat heraus, und brachte mir eine Schüssel Zuckerbrod. Ich dankte ihr, stand auf, und wollte davon gehen; da rief mir die dritte Sängerin: Setze dich nieder, Asmai, und legte mir drey hundert Goldstücke, in einem roth gestickten Beutel auf den Teller. Dies ist, sprach sie, der Preis, den du mir zuerkannt hast, und ich gebe denselben dir, für die Verwaltung des Richteramtes.

Der Chalife, dem die ganze Geschichte ungemein gefallen hatte, fragte den Asmai: Warum hast du den Preis der Jüngsten zuerkannt, warum nicht der Aeltesten oder Mittleren. Asmai antwortete: Der Herr erhalte dich, Chalife! die Erste bleibt beym bloßen Wunsche stehn: O wenn, o daß! die Zweyte hält sich nur bey einem Traum, und nichts Wirklichem auf. Die Dritte hingegen sah ihren Geliebten wirklich am Bette, das ihr dann, wie von Rosen durchduftet, dünkte. Ich verstehe, ich verstehe, unterbrach ihn der Chalife, und hernach, Asmai? Hernach, gnädiger Herr, schob ich die drey hundert Goldstücke ein, ganz erstaunt, daß ich an einem Tage,[121] auf eine so sonderbare Art, einen so beträchtlichen Preis gewonnen hatte.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 118-122.
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