III. Der unterlassene Vorsatz des Bauens.

[202] 1. Mongolische Sage.


Im Winter, wenn die Nacht herannaht und es zu frieren beginnt, denkt der Sperling (bol'džucha): »Morgen will ich bestimmt anfangen ein Nest zu bauen.[202] Es ist schon gar zu kalt!« Morgen aber geht die Sonne auf, und der Sperling vergißt, was gestern gewesen.


  • Literatur: Potanin, Okraina 2, 349, Nr. 12.

2. Russische Sage.


Das Birkhuhn nimmt sich allnächtlich im Winter vor, sich ein Haus zu bauen. Wenns aber dunkelt, so vergräbt es sich im Schnee und sagt: »Ach nein, erst morgen! Da werd ich unbedingt anfangen, das Haus zu bauen«. Aber am Morgen, wenn es warm ist, denkt es nicht mehr daran.


  • Literatur: Etnogr. Sbornik 6, (Abt. 1) S. 123.

3. Estnische Sage.


Im kalten Winter kroch der Hund zu den Menschen in die Stube, aber er mußte hinausgehen, das Haus zu bewachen. In der strengen Kälte draußen dachte der Hund: Wenn es Sommer wird, baue ich mir selbst ein Haus! Als der Sommer kam, wußte der Hund nicht, wo er sich vor Hitze lassen sollte; mit lechzender Zunge lief er herum und legte sich in den Schatten. »Nein«, sagte er, »bei dieser Hitze ist es rein unmöglich, sich ein Heim zu bauen; wenn es Winter wird, will ich's tun!« Als der Winter kam, schob er's wieder auf, und so kam es, daß der Hund sich bis heute noch kein Haus gebaut hat und im Winter Kälte, im Sommer Hitze leiden muß.


  • Literatur: Aus d. hdschr. Nachlaß von J. Hurt.

4. Aus Livland (Lettische Sage).


Als Gott das erste Hundepaar geschaffen hatte, Hündin und Hund, da krochen beide zur heißen Zeit in den Hanf, um Schatten zu suchen. Der Hund wälzte sich lange im Hanf, zuletzt sagte er: »Hier gibt es Balken wie Schilf. Wollen wir uns selbst ein Haus bauen!« – »I dummes Zeug, wie wir bis heute ohne eigenes Haus ausgekommen sind, so werden wir es auch künftig.«

Deshalb haben bis zum heutigen Tag die Hunde keine eigenen Häuser, sondern leben bei den Menschen.


  • Literatur: Lerchis-Puschkaitis 5, 32.

5. Aus Deutschland (Gegend von Paderborn).


In einem kalten Winter sagte der Fuchs zu einem Freunde: wenn es mal wieder so käme, so wollte er sich doch wohl ein Haus bauen. Im nächsten Jahre fiel wieder viel Schnee, und als nun der Freund fragte, wie es mit dem Hausbau stände, da warf sich der Schalk auf den Rücken in den Schnee, hielt die Viere hoch und rief: »Der Stapel steht ja schon!«


  • Literatur: Ztschr. d.V.f. rhein. u. westf. Volksk. 6, 25.

Nahe verwandt ist folgende mongolische Erklärung, warum der Iltis so oft seinen Aufenthalt wechselt.


Der Iltis macht sich im Winter viele Höhlen. Er fängt mit einer an; wühlt und wühlt – »welch ein stinkender Ort!« sagt er, läßt die Arbeit sein und beginnt an einem anderen Platz von neuem. Der Gestank aber ist sein eigener.


  • Literatur: Potanin, Okraina 2, 348, Nr. 9. Vgl. u.S. 233: Die Sagen vom Geruch der Tiere.
Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 202-203.
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