G. Die Katze hat ein Vorrecht vor dem Hunde.

[128] 1. Aus Polen.


Als Gott den Hund und die Katze erschuf, sollte die Katze das Recht der Älteren haben und bekam dies verbrieft. Als sie das Recht erhielt, versteckte sie es auf dem Boden. Nach einiger Zeit schaut sie nach der Stelle, wohin sie es gelegt hat und findet nur noch zerbissene Reste, denn die Mäuse haben es ganz zerfressen. Seitdem fingen die Katzen an, die Mäuse zu vertilgen, und vertilgen sie aus Rache noch bis heute.


  • Literatur: Zbiór wiadomości do antropologii krajowej XI, Abt. II, 37.

2. Aus Rumänien.


Man erzählt sich, vor langer Zeit, als Gott noch auf die Erde herabkam – die bösen Taten der Menschen hatten ihn damals noch nicht geärgert, daß er, wie jetzt, sie nicht ansehen will – soll er bei einem Rumänen eingekehrt sein, der wie jeder Mensch in seinem Hause eine Katze, einen Hund und Mäuse hatte. Zu jener Zeit reckte und streckte sich die Katze nicht in der Wärme auf dem Herde, wie heutzutage, sondern hielt sich draußen auf, ganz wie der Hund. Als nun Gott kam, was dachte die listige Katze? »Will mal versuchen, vielleicht kann ich den Herrgott veranlassen, daß er auch mir einen Platz im Hause anweist, damit ich nicht draußen bleiben muß, denn es kommt mitunter ein verdammter Winter, daß man vor Kälte und Frost davonlaufen möchte.« Und die Katze schrieb eine Beschwerde und übergab sie Gott, als sie ihn einmal allein antraf, und Gott, so gut wie er schon ist, als er sah, was die Katze verlangte, erbarmte sich ihrer und erfüllte ihr den Wunsch und befahl, daß die Katze fortab nicht draußen, sondern im Hause wohne. Der arme Hund wußte nichts davon, er bemerkte bloß, daß er die Katze den ganzen Tag nicht gesehen hatte. »Was ist geschehen,« dachte er, »ob sie wohl irgendwo krank daliegt? oder am Ende gestorben?« Er konnte sie gar nicht finden. Gegen Abend ist auf einmal die Katze neben ihm. »Ah, wo hast du heute gesteckt, Katze, daß ich dich garnicht gesehen habe? Bist du krank gewesen?« fragte der Hund. »Oh nein, Gott sei Dank, über meine Gesundheit kann ich nicht klagen,« erwiderte die Katze, »aber ich bin im Hause gewesen.« »Wie, was – im Hause?« fragte der Hund, »wie denn?« »So! Ich habe Gott gebeten und er hat angeordnet, daß ich im Hause wohne, damit ich draußen nicht (vor Kälte) zittere, wie eine Rute.« »Hast du aber Glück,« sagte verwundert der Hund, »mir wird so was nicht zuteil.« Nach einigem Nachdenken fragte er die Katze:[128] »Geht es denn nicht, daß du auch für mich dasselbe erwirkst?« »Weiß ich?« erwiderte die Katze, »ich will's mal versuchen.« »Versuch es doch, Kätzchen, wirklich, denn auch ich habe dir manchmal Gutes getan ... Wie oft ich bloß dir das Fell mit den Zähnen vom Ungeziefer gereinigt habe, wenn wir im Sommer nebeneinander lagen!« – Die Katze entschloß sich, eine Beschwerde zu schreiben und sie Gott im Namen des Hundes zu überreichen, denn dieser verstand nicht zu schreiben. Nachdem sie geschrieben hatte, legte sie die Beschwerde auf ein Gestell, bis sie sie Gott übergeben könne, denn der war in die Dörfer gegangen, der Menschen Kummer ein wenig zu lindern. Da es an jenem Tage warm war, ging die Katze hinaus. Ehe sie ins Haus zurückkam, ehe Gott kam, ehe dies und ehe das – witterte eine verdammte hungrige Maus das Papier, kroch irgendwie auf das Gestell und begann das Papier zu benagen. Als Gott nach Hause kam, ging die Katze hinein, die Beschwerde des Hundes zu nehmen und Gott zu übergeben, aber die war von den Zähnen der Maus so sehr zerbissen, daß man sie Gott nicht überreichen durfte. So im Handumdrehen konnte die Katze eine neue Beschwerde nicht schreiben, und so war für den Hund nichts erreicht. Als die Katze hinausging, dem Hunde zu erzählen, was sich ereignet hatte, da wurde dieser böse, weil er glaubte, sie hätte das mit Absicht getan und wolle ihm nichts Gutes erweisen; und er packte sie und schüttelte sie eine kurze Weile, aber fest. Die Katze wieder, geärgert darüber, daß sie der Maus wegen um die Freundschaft des Hundes gekommen war, nahm sich vor, wenn sie die Maus finge, sie zu fressen. Und seither, sagt man, ist der Hund böse auf die Katze und die Katze auf die Maus.


  • Literatur: Adolf Flachs, Rumänische Schnurren, Vossische Zeitung, 17. Juni 1902.
Quelle:
Dähnhardt-Natursagen-4, S. 128-129.
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