Der verlorene Esel

[112] Ein Caesariote, der sich bei einem Waffenbruder aufgehalten hatte, band seinen Esel an einer hohen Distelstaude an.

Diese Tölpel von Caesarioten machen stets solche Streiche!

Der Esel fraß natürlich die Distel auf, setzte sich dann in Trab, bis ein Jude auf ihn stieß und ihn anhielt, denn er dachte, daß Gott ihn ihm schicke. Stieg auf den Esel und verkaufte ihn zehn Meilen von dort.

Als der Caesariote seinem Freunde all seine Geschichten und die Anderer erzählt hatte, gedachte er seinen Weg nach Indge-Su fortzusetzen, um seine Mitbürger wiederzusehen, die »Eselsfärber,« wie man sie gemeiniglich in Kleinasien nennt.

Sein Esel war verschwunden. Er mußte verzaubert oder gestohlen worden sein. Das war die Ansicht des Caesarioten und seines Gastfreunds. Doch ein Vorübergehender, der auf ihr Jammern hin stehen geblieben war, hatte ihnen bald klar gemacht, daß nur ein Caesariote auf den albernen Gedanken kommen konnte, seinen Esel an eine Distelstaude zu binden.

»Der Esel hat die Disteln gefressen«, fügte er hinzu,[113] »und ist nun irgendwo im Felde dabei seine Mahlzeit fortzusetzen.«

»Der Mann ist ein großer Weiser,« sagten sich die Caesarioten.

Dankten ihm und versprachen für ihn zu beten; dann beratschlagten sie, was zu tun sei.

»Ich sehe hier nur drei Wege,« hub der Eselbesitzer an. »Lasse dein Weib auf den mittleren passen und das Grautier hindern, die Straße zurückzulaufen, die es gekommen ist. Ich will diesen Weg nehmen und du den anderen.«

»Gut ausgedacht, Gevatter! Gehen wir hinein um einen Reiseschluck zu nehmen, und machen wir uns dann auf den Trab.«

Der Caesariote, dem der Esel abhanden gekommen, ging auf die Suche. Fragte die Bauern:

»Habt ihr nicht einen Esel gesehen?« fragte er.

Doch an seinem Gewand erkannte man den Caesarioten, die Leute zuckten mit den Achseln.

»Mach dich fort, Eselsfärber,« schrie man. »Wie soll man eines Caesarioten Esel erkennen? Heute ist er schwarz, morgen wird er, wenn's beliebt, grau sein!«

Solche Erwägungen fruchteten ihm nicht viel. Matt vom Suchen gelangte er am Abend in einen Wald. Er kannte sich dort nicht aus und verirrte sich denn auch gleich. Was tun? Stieg auf einen hohen Baum am Rande eines Pfades und richtete sich auf einem Hauptzweige häuslich ein in der Absicht, hier die[114] Nacht zu verbringen und den Morgen des folgenden Tages abzuwarten.

Kaum war er auf diesem Beobachtungspunkt, als ein Priester und ein junges Mädchen anlangten. Die aber war nicht des Pfaffen Tochter!

»Hier ist ein reizender Ort,« so der geistliche Vater. »Niemand wird uns stören. Benutzen wir die Gelegenheit, es ist ja noch ziemlich hell. Hast mir versprochen, mir all deine Schönheiten zu zeigen; ich sterbe vor Lust, sie zu betrachten!«

Das Mädchen, welches nicht allzu zimperlich war, setzt sich mit dem Priester an den Fuß des Baumes und fangt an, sich so schön auszuziehen, daß sie bald war wie Adams Weib vor dem Sündenfalle. Der Priester ahmt sie nach und zeigt sich mutternackt wie ein kleiner Engel.

Und dann prüft der Pfaffe das schöne Kind.

»Ach, die beiden kleinen Füße!« sagt er.

Und küßt sie.

»Ach, die schönen Waden!«

Und umfangt sie.

»Ach, die kleinen Knie!«

Und drückt seine dicken Lippen darauf.

»Ach, die schönen frischen und rosigen Schenkel!«

Und er giert nach oben.

»Ach, jetzt sehe ich die Erde, sehe ich den Himmel, sehe ich das Paradies!«

In diesem Augenblick läßt sich die Stimme des Caesarioten von der Höhe des Baumes vernehmen:[115]

»He, Pope, wenn du die ganze Welt siehst, kannst du mir da nicht sagen, wo mein Esel ist?«

»Dein Esel?« schrie der verdutzte Priester.

»Nun ja, mein Esel; denn ich erblicke eben seinen Schweif zwischen deinen Beinen!« ...

Quelle:
[Hansmann, Paul] (Hg.): Schwänke vom Bosporus. Berlin: Hyperionverlag, [1918], S. 112-116.
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