Die Reliquie des heiligen Cyriacus

[135] Der Kapitän eines Kauffahrtschiffes, welches für die Küstenfahrt im Inselmeer geheuert war, hatte ein hübsches Weibchen, dem ein Pfarrer den Hof machte. Seinem Berufe gemäß war der Mann mehr auf dem Wasser als zu Hause, so fand denn die Verlassene nicht all das Vergnügen in der Ehe, das ihre Mutter sie hatte erhoffen lassen.

Schließlich siegte der Pfarrherr ob der Schönen Bedenken und erlangte das nächtliche Zusammensein, welches er seit langem ersehnt hatte.

Ob der Taugenichts glücklich war, braucht nicht gesagt zu werden. Seine Geliebte aber, die seit mehr als einem Monat hatte fasten müssen, stürzte sich auf die Leckerbissen und nahm den Mund übervoll.

Sprach der Priester: »Wir wollen nun die sechste Messe singen, meine kleine Taube.«

»Und werden mit anderen Gottesdiensten fortfahren, mein kleiner, heißgeliebter Papa.«

Der Pfarrer griff abermals nach seinem Stabe, als man heftig gegen die Pforte schlagen hörte.

»Da ist mein Mann. Mag ihn der Teufel holen,« murmelt das Weib. »Konnte man ihn denn zu solcher Zeit zurückerwarten? Was tun?«[136]

Der Pfarrer bebte vor Furcht, denn der Kapitän war ein kräftiger Bursche, der nicht lange fackelte.

»Schnell, mein Vater, raffe deine Kleider zusammen und entwische über die Leiter!«

Draußen aber fluchte und wetterte der Kapitän.

»Wirst du bald aufmachen? Was geht in meinem Hause vor? Öffne, oder ich schlage die Pforte ein, du garstiges Weibstück du!«

Der Pfarrer war hinter dem Hause verschwunden und lief noch im Hemd nach seiner Wohnung.

Die Frau eilte fast mutternackt an die Vordertüre und machte sie auf.

»Ach, du bist's, mein Herzblatt. Wenn du wüßtest, welche Angst du mir eingejagt hast! Ich träumte gerade, du lägest an meiner Seite und bebautest meinen kleinen Ziergarten, als ich einen großen Lärm hörte. Wachte auf und vermeinte, daß Räuber unser Haus stürmten. Ich hatte mich ganz unter die Decken verkrochen. Dann kam ich wieder zu klarem Verstande. Ich horchte und erkannte deine Stimme. Schnell, Hühnchen, gib mir meines Traumes Fortsetzung. Zwei Monate ist's her, daß du nicht in deinen Weingarten gestiegen bist und seine Erde ist darum hübsch trocken.«

Der Kapitän war besänftigt. Während er sich auszog, ging forschend sein Blick im Hause umher, fand aber nichts Verdächtiges.

»Schnell, komme zu mir, mein Täuberich; komm, ich sterbe vor Erwartung.«[137]

Bald setzte der Gatte die vom Pfarrer so wohl begonnene Arbeit fort, die er vom fünften Male ab auf sich nahm und erst beim achten vollendete. Der Bursche konnte sich schmeicheln, die Wiese gut gewässert zu haben.

Morgens erhob sich das Weib und machte sich an die üblichen Haushaltsgeschäfte. Der aus mehr als einer Ursach ermüdete Kapitän blieb im Bette.

Plötzlich, als er sich nach der Wand zu drehte, fühlte er, daß ein Zeugbündel zwischen den Laken lag. Zog es hervor und fand, daß es eine Unterhose war, wie sie Priester zu tragen pflegen.

Zuerst wollte der Kapitän sein Weib töten, dann aber doch lieber den Pfaffen in die andere Welt schicken. Da er aber gleichen Tages fortsegeln sollte, um seine Kaufwaren nach Smyrna zu bringen, wollte er sich keine Ungelegenheiten schaffen und verschob die Bestrafung auf seine Rückkehr. Stand auf, frühstückte, umarmte sein Weib und reiste mit der berüchtigten Unterhose des geistlichen Vaters ab. Sobald das Schiff den Hafen hinter sich hatte, lief der Pfarrer zu seiner Geliebten, die ihn lachend empfing.

»Alles ist gut abgegangen,« sprach sie zu ihm. »Mein Mann hat den Ofen so heiß gefunden, daß er nicht verfehlte, sein Brot in ihm zu backen!«

»Lassen wir das. Hast du meine Unterhose nicht gefunden, die ich im Bette liegen gelassen?«

»Sicher ist sie noch dort. Wenn mein Mann sie gefunden[138] hätte, säßen wir schön in der Falle. Hitzköpfig, wie er nun mal ist, würde er uns umgebracht haben!«

Die Frau nimmt die Decken hoch, wühlt überall herum, keine Unterhose da.

»Wir sind verloren,« kreischen beide. »Der Kapitän hat die Hose an sich genommen und mitgeschleppt. Was soll aus uns werden nach seiner Rückkunft?« Beide Taugenichtse weinen heiße Tränen. Wie sich aus der üblen Lage ziehen?

Spricht endlich der Pope: »Mir kommt ein Gedanke. Zwei Hirne haben mehr Verstand als eins. Ich will den Fall dem Stadtpfarrer unterbreiten. S' ist ein heiliger alter Mann, dessen Erfahrung und Weisheit unseren Kopf vielleicht aus dieser verwünschten Schlinge befreit!«

Der Priester greift nach seinem Stabe, sucht seinen ehrwürdigen Amtsbruder auf und erzählt ihm sein Abenteuer.

Der Greis lacht wie verrückt.

»Da gibt's doch nichts zu lachen,« sagt der Verliebte. »Denket daran, daß es sich für die Frau und mich um Leben oder Tod handelt.«

»Na, dieses Mal werdet ihr noch nicht dran glauben müssen. Laß mich nur mich gehörig satt lachen, hernach will ich dir sagen, was zu tun ist.«

Und nach einigen Augenblicken:

»Nun, so sage mir, wie sieht die Unterhose aus?«[139]

»Ganz die gleiche wie die, welche ich jetzt trage, seht hier.«

»Gut, ich werde sie aus hunderten herauskennen. Jetzt handelt es sich um die heilige Reliquie des heiligen Cyriacus.«

»Die Reliquie ... Heiliger Cyriacus?«

»Ja, laß mich nur machen. Ziehe in Frieden hin. Werde dich von dem in Kenntnis setzen, was du zu tun hast, wenn der Augenblick gekommen ist.«

Der Galgenstrick kehrt ins Dorf zurück und sagt dem Weibe, daß sie sich beruhigen solle.

Acht Tage verstreichen, als der alte Pope vernimmt, daß des Kapitäns Schiff im Hafen anlegt. Schnell macht sich der Greis zu einer Begegnung mit dem Hahnrei auf.

»Guten Tag, Kapitän, habt Ihr schönes Wetter gehabt? Wie geht's der Gevatterin?«

»Ich danke Euch, mein Vater. Hier ist ein Piaster für Eure Kirche.«

»Vergelt's Gott, mein Sohn ... Kommt Ihr übrigens bald nach Hause zurück?«

»Heute abend.«

»Nun, dann seid so freundlich, Eure tugendsame Hausehre zu grüßen und zu bitten, mir die heilige Reliquie wieder zu bringen!«

»Die heilige Reliquie? Wovon sprecht Ihr nur?«

»Aber hat sie Euch denn nichts davon erzählt?«

»Weiß nicht, wovon die Rede ist!«[140]

»Aber von der heiligen Reliquie des ruhmreichen Cyriacus! Euer Weib kam und erbat sie sich von uns für vierzehn Tage, und wir haben sie ihr geliehen. Nun zögert sie, sie uns wiederzubringen, und mehr denn eine Frau liegt uns in den Ohren, um sie zu bekommen!«

»Wozu frommt denn diese Reliquie?«

»Sie verschafft Kinder den Weibern, die noch keine haben, und Ihr wißt doch zuversichtlich, daß Eure Gattin Gott bei Tag und Nacht bittet, Euch einen Erben zu schenken!«

»Ja, ja,« murmelt der Kapitän. »Aber wollet mir noch sagen, wie schaut die Reliquie aus?«

»Mein Gott, auf den ersten Blick würde man sie nicht auf der Straße auflesen. Es ist ganz einfach die Unterhose, die der heilige Cyriacus im Laufe seines sterblichen Lebens trug.«

»'S ist gut, mein Vater. Ich weiß nun, was Ihr wollt. Werde Euren Auftrag erledigen. Und zum Dank dafür, daß Ihr die heilige Reliquie hergeliehen habt, nehmt diesen Geldbeutel zum Unterhalte Eurer Kirche!«

Der Kapitän läßt Geschäfte Geschäfte sein und macht sich singend auf, seine liebe Taube wiederzusehen. Eifersüchtig ist er nicht mehr. Sein geheimnisvoller Fund hat sich aufgeklärt. Aber er schämt sich, seinen Argwohn einzugestehn. Verbirgt die Unterhose in einem Korbe voll schmutziger Wäsche, umarmt sein Weib und geht wieder aufs Schiff.[141]

Der Pope läuft herbei.

»Nun?« fragt er.

»Er ist gekommen und frühzeitig wieder fortgegangen. Ich hab' gesehen, daß er die Hose in dem Korbe mit schmutziger Wäsche versteckt hat.«

»Und warum das? ... Ich erzähl' es dir.«

Und der Pfarrer berichtet die Geschichte von des heiligen Cyriacus' Unterhose. Das Weibchen glaubte vor Lachen sterben zu müssen. Und hält's für besser, wenn anderen Tags die ganze Geistlichkeit der Nachbarschaft unter Vortritt des alten Priesters in feierlichem Zuge die heilige Reliquie holen kommt, welche die Nachbarschaft der schmutzigen Wäsche ein weniges entheiligt hatte.

War es des heiligen Cyriacus' Werk, war's das des Popen oder des Kapitäns? Fest steht, daß die Kapitänsfrau in dem Jahre einen kräftigen Buben gebar.

Seit der Zeit ist die Unterhose des heiligen Cyriacus zwanzig Meilen im Umkreise hoch berühmt. Die unfruchtbaren Weiber kommen in Scharen herbei, um vor der heiligen Reliquie zu beten, die stets hilft dank den jungen Priestern des Ortes.

Quelle:
[Hansmann, Paul] (Hg.): Schwänke vom Bosporus. Berlin: Hyperionverlag, [1918], S. 135-142.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Tschechow, Anton Pawlowitsch

Drei Schwestern. (Tri Sestry)

Drei Schwestern. (Tri Sestry)

Das 1900 entstandene Schauspiel zeichnet das Leben der drei Schwestern Olga, Mascha und Irina nach, die nach dem Tode des Vaters gemeinsam mit ihrem Bruder Andrej in der russischen Provinz leben. Natascha, die Frau Andrejs, drängt die Schwestern nach und nach aus dem eigenen Hause.

64 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon