[100] 23. Der Waldkater.

Es war einmal ein Köhler, der hatte nichts als ein Weib mit einem Kinde, das erst ein paar Tage alt war. Dieses war noch nicht getauft, und der Köhler beschloß, sich um einen Pathen umzusehen. Weil er im Walde wohnte, so mußte er in das nächste Dorf gehen, um sich einen Gevatter auszubitten, und er machte sich deshalb in seinem Sonntagsgewande auf den Weg. Dort angelangt, ging er schnurgerade in des Richters Haus, um sich ihn zum Gevatter zu bitten. Doch der entschuldigte sich ein wenig grob und sagte, daß er für so ein Gesindel kein Geld auszugeben habe, und es hätte wenig gefehlt, so hätte er den Köhler zur Thür hinausgeworfen.

Nicht besser ging es ihm bei den übrigen. Die Kindstaufe sollte des andern Tages sein, und daher mußte er, ob gerad' oder ungerade für einen Gevatter sorgen. Er ging in das nächste Dorf, das wol drei Stunden weit entfernt war und am Saume eines großen Walde lag. Als er mitten auf dem Wege war, stieg ein so arges Donnerwetter auf, daß er sich tiefer in den Wald begeben mußte, um nicht bis auf die Haut naß zu werden und sein Sonntagsgewand oben drein zu verderben. Unterdessen war es finster geworden; der Köhler, indem er auf seine Klugheit zu sehr rechnete, hatte sich dießmal geirrt. Anstatt später aus dem Walde zu kommen, verirrte er sich immer mehr und mehr. Schon wollte er[100] sich, matt und müde wie er war, unter einem der Bäume niederlegen, um dort die Nacht zuzubringen, als er nicht gar weit von ihm entfernt ein Lichtlein brennen sah. Er nahm seine letzten Kräfte zusammen, schleppte sich bis zu dem Orte hin, wo das Lichtlein brannte, und sah eine große Hütte vor sich stehen, an welche er anklopfte. »Wer da!« rief eine rauhe Stimme von innen, neben der sich das Knurren eines Katers vernehmen ließ. – »Ein armer verirrter Mann, der nur um eine Nachtherberge bittet.« – »Wenn's sonst nichts ist, die kann ich Euch schon geben«, ließ sich wieder die vorige Stimme hören. Die Thür wurde aufgemacht, und ein großer starker Mann trat heraus, dem ein schwarzer Kater, so groß wie ein Kalb, auf dem Fuße folgte. Der Mann führte den Köhler in die Hütte und fragte ihn, was ihn noch so spät in den tiefen Wald herein brächte. Der Gevatter Köhler erzählte nun, er suche einen Pathen für seinen kleinen Buben, allein überall sei er abgewiesen worden, er habe in das nächste Dorf gehen wollen und sich verirrt.

Der Mann hatte dem Erzähler aufmerksam zugehört und sagte: »Nun, wenn Ihr nichts anderes wollt als das, den Gefallen kann ich Euch schon selber thun; für heute geht schlafen, und was morgen zu thun ist, das wollen wir schon richten.« Er wies dem Köhler ein Bett zum Nachtlager an, während er sich mit dem Kater auf die Erde legte. Zeitlich früh stand er auf, pflückte einen »Buschen« von seinen Fensterblumen, weckte den Köhler, spannte den schwarzen Kater ein, und fort ging's zu des Kohlenbrenners Hütte. Dort angekommen, nahmen sie das Kind und fuhren in's Dorf zur Taufe. In derselben erhielt es auf den Wunsch des Pathen den Namen »Waldkater«. Man fuhr gleich wieder nach Hause, wo der Fremde das Kind und den Strauß dem Vater übergab und mit seinem Rappen waldeinwärts fuhr. Der Kohlenbrenner übergab nun den Knaben sammt dem Buschen der Mutter und sagte zugleich den Namen des Kindes.[101]

Doch da hatte der gute Mann ein Wetter zu überstehen. »Pfui Teufel«, fing sie an »das ist nicht einmal ein Name für einen Hund, geschweige denn für einen ehrlichen Christenmenschen; aus dem Kerl da wird was Saubres werden, und den Buschen hätt' sich der eiserne Aff' auch behalten können; für den ist es schon der Mühe wert, einen Waldkater als Kind zu haben. Ich hätte ihm den Buschen vor die Füße geworfen.« ...

Als sie dieß sagte, fiel er ihr wie weggeblasen aus der Hand, und eine Menge Dukaten rollten aus demselben heraus. Das setzte das überraschte Ehepaar in nicht geringes Erstaunen. Erfreut klaubten sie das Geld auf und sahen, daß es nicht weniger als tausend Gulden waren. Nun hatte aller Streit ein Ende, aller Zorn war verschwunden, sie lobten den edlen Wohlthäter und dachten nur daran, was mit dem vielen Gelde anzufangen wäre. Der Mann wollte den ganzen Wald kaufen und sein Handwerk im großen betreiben, aber das Weib, welches ein wenig herrschsüchtig und eitel war, wollte durchaus ein Herrschaftshaus haben. Endlich einigten sie sich dahin, einen Meierhof zu kaufen, um dort ruhig und glücklich ihre Tage zuzubringen. Das geschah, und von der Zeit an lebten sie geehrt und zufrieden.

Unterdes war auch unser kleiner Waldkater größer und ein schlimmer Bub geworden, wie seine Mutter vorausgesagt hatte. Er bekam daher mehr Schläge als zu essen, und das bestimmte ihn, seinen Eltern bei Nacht und Nebel durchzugehen. Wohin, das wußte er selbst nicht, aber es war ihm auch alles eins, wohin er käme, darum rannte er schnurgerade in den Wald hinein, und fort und fort, bis er endlich selbst nicht mehr wußte, wo ein und wo aus.

Sorgenlos legte er sich nieder, und als es Tag geworden war und er erwachte, sah er unweit seines Lagerplatzes eine Hütte stehen. Er ging hin und mir nichts dir nichts klopfte er fest an, um zu sehen, ob denn nicht jemand darinnen sei.[102] »Wer da!« sagte eine rauhe Stimme, neben welcher sich das Knurren eines alten Katers vernehmen ließ. »Ich bin's, der Waldkater, macht auf, ich hab Hunger.« Die Thür wurde von einem alten Manne aufgemacht, und ein großmächtiger Kater war schon im Begriff, auf den Wildfang loszuspringen, als Herr und Kater zugleich ihren Freund wieder erkannten, mit dem sie vor mehr als zwölf Jahren die Spazierfahrt in die Kirche und wieder zurück gemacht hatten. Der Pathe nahm ihn gleich freundlich auf und fragte ihn, wie es ihm gegangen sei. Als nun der Knabe alles erzählt hatte, was er wußte, fing der Pathe an: »Mein Kind, du bist jetzt gerade in einem Alter, wo man was lernen soll; wenn dich daher das Gärtnerhandwerk freut, so kannst du gleich bei mir bleiben. Ich bin jetzt ohnehin schon alt, und bevor ich sterbe, will ich dich zu meinem Erben und Nachfolger einsetzen.« Waldkater willigte ein, um nicht zu verhungern; er fügte sich dem Willen seines Pathen und ward ein Gärtner.

So blieb er nun fünf Jahre dort und lernte nebst der Gärtnerei noch viele andere nützliche Dinge. Endlich wurde ihm die Gärtnerei auch langweilig, und er ging nun, wie früher seinen Eltern so jetzt seinem Pathen, im Wind und Wetter durch. Auch dießmal war er so unvorsichtig, sich ohne Lebensmittel fortzuschleichen, und er sah sich bald genöthigt, sich auf sein Handwerk zu verlegen. Als er schon ziemlich lange gewandert hatte, gewahrte er ein prächtiges Schloß. Er klopfte an und fragte, ob man keinen Gärtner brauche. Da wurde er sogleich als Hofgärtner aufgenommen.

Der König, dem das Schloß gehörte, hatte eine Tochter, die war wunderschön. Sie kam oft in den Garten und fand großes Wohlgefallen an dem jungen Gärtner. Die Hofbeamten beneideten ihn deswegen, aber weil sie ihn sonst gut leiden konnten, so sannen sie nur auf Mittel, ihn zu entfernen. Sie sagten ihm daher, der König habe ihn gesehen, wie er die Prinzessin geküßt, und deshalb habe er befohlen, den[103] Gärtner umzubringen. Darüber erschrak er und suchte zu entfliehen. Er theilte das im Vertrauen der Königstochter mit, und im Garten schwuren sie einander treu zu bleiben ein Jahr und einen Tag. Der Gärtner floh nun aus dem Schlosse, aber des ewigen Herumziehens müde, verdingte er sich gleich im nächsten Dorfe als Schafhalterknecht, und nicht lange darauf ward er zum wirklichen Schafhalter erhoben. Und in der That, wenn er seine Herde austrieb, so war es eine Freude sie anzusehen: In Reih und Glied marschierten sie daher wie ein Regiment Soldaten; sie waren dabei auch so abgerichtet, daß sie auf jeden Befehl hörten. Wenn sie dann des Abends nach Hause getrieben wurden, so marschierten sie wieder ordentlich vor unserm Waldkater her, und der spielte so lustige Stücklein auf der Flöte, daß es eine Freude war. Das that er aber um der Königstochter willen, unter deren Fenstern die Schafe vorbeigetrieben wurden. Doch gab er sich nie zu erkennen und hüllte sich tiefer in seinen Mantel, wenn er vor dem Palaste des Königs vorbeikam, um von den Höflingen nicht entdeckt zu werden.

Auf diese Weise war nun ein Jahr vergangen, ohne daß etwas vorfiel. Am letzten Tage desselben trieb Waldkater seine Herde ungewöhnlich weit in den Wald hinein, da kam ihm auf einmal ein fürchterlich großer Riese entgegen, der brüllte ihn an mit den Worten: »Was hast du Zwerg da in meinem Garten zu thun, weißt du nicht, daß ein jeder, der auf mein Gebiet kommt, von mir gefressen wird?« »Meiner Seel, das wußte ich nicht«, sagte bis zum Tode erschrocken der Hirt und bat ihn, sein junges Leben zu schonen. Aber der Riese gab nicht nach und brüllte fort. Da sagte der Hirt: »Nun, wenn Ihr mich schon durchaus umbringen wollt, so bitt ich Euch nur um etwas noch: Laßt mich mein Lieblingslied noch einmal spielen, und dann will ich gerne sterben.« »Meinetwegen«, sagte der Riese, »Musik hab ich immer gern gehört.« Nun fing er an zu spielen, so reizend und lieblich[104] und traurig, daß der Riese zu schlafen anfing. Das eben hatte der Hirt gewollt, er zog sein Hirtenmesser aus der Tasche, und auf ja und nein lag der Kopf des Riesen auf der Erde und verwandelte sich in einen kleinen goldenen Apfel, während der übrige Körper des Riesen sich in einen großen grünen Hügel verwandelte. Schon wollte Waldkater seine Herde heimtreiben, da hörte er auf einmal ein Geräusch und sah, wie aus dem Innern des Waldes Räuber kamen und sich auf der andern Seite des Hügels lagerten. Sie machten ein Feuer an, um Fleisch zu braten, und sprachen heftig untereinander. Waldkater schlich sich nun leise an sie heran und hörte, daß sie eben berathschlagten, wie sie in der folgenden Nacht, in welcher die Hochzeit der Prinzessin mit einem fremden Prinzen sein sollte, das Schloß ausplündern und alle ermorden wollten. Als sie darüber einig waren, aßen und tranken sie und entfernten sich. Als sie aber fort waren, ging der Waldkater her, schnitt den Apfel in zwei Theile und schrieb auf dieselben das, was er von den Räubern gehört hatte, sowie auch, daß er der Gärtner sei, und den Schwur, den ihm die Königstochter geleistet hatte. Dann trieb er seine Herde heim. Die Königstochter erschien wie gewöhnlich am Fenster, aber dießmal allein, und diese günstige Gelegenheit benützte der Hirt, ihr die beiden Apfelhälften in den Schoß zu werfen. Die Königstochter erkannte ihn jetzt, war sehr erfreut darüber und beschloß, die Sache einstweilen geheim zu halten.

Als aber der Morgen kam, sagte sie zu dem Könige: »Vater, verschiebe meine Hochzeit, der heutige Tag ist ein Unglückstag; ich habe so einen schrecklichen Traum gehabt, der mich vor meiner Hochzeit warnt. Mir träumte nämlich: Wir saßen froh und vergnügt bei der Hochzeit beisammen, auf einmal hörten wir Feuer rufen, und das ganze Haus stand in Flammen, darauf drangen Räuber in den Saal und ermordeten alle Gäste, und als sie auf uns zukamen, da wachte[105] ich auf, ganz mit Schweiß bedeckt und an Händen und Füßen zitternd.«

Der König sah darin gleich ein vom Himmel ihm gesandtes Zeichen, verschob die Hochzeit, ließ im Innern des Palastes Soldaten aufstellen, die Zimmer des Schlosses festlich erleuchten und alles so vorbereiten, als ob Hochzeit gehalten würde. Gegen Mitternacht kamen wirklich die Räuber daher und waren schon im Begriffe, das Schloß anzuzünden und in die Säle hinaufzusteigen, um zu plündern, als die Wachen aus dem Verstecke herausbrachen und alle gefangen nahmen.

Nun gestand die Königstochter ihrem Vater die Wahrheit, und der König willigte jetzt gern in die Heirath, da er dem Hirten sein Leben verdankte.[106]

Quelle:
Vernaleken, Theodor: Kinder- und Hausmärchen dem Volke treu nacherzählt. 3.Auflage, Wien/Leipzig, 1896 (Nachdruck Hildesheim: Olms, 1980), S. 100-107.
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