[196] 44. Das Geschenk des Windes.

Es lebte einmal ein Bauer mit seiner Frau in der größten Armut. Der Bauer war ein sehr gutmüthiger Mann, seine Frau dagegen so boshaft, daß sie ihn um Kleinigkeiten oft prügelte, und zwar nach Noten. Eines Tages schickte sie den geduldigen Mann mit Getreide in die Mühle; der Müller, der ihre Armut kannte, mahlte ihnen das Getreide umsonst. Als der Bauer nach Hause ging, erhob sich ein starker Wind und wehte ihm das ganze Mehl weg. Da ging's ihm natürlich zu Hause sehr schlecht. Seine Frau schickte ihn zum Winde, damit er entweder Geld oder das Mehl verlange. Also ging er fort und kam in einen Wald, wo er einem alten Mütterchen begegnete. Das fragte ihn, warum er so traurig daher gehe. Darauf erzählte er ihr alles und sie sagte: »Folge mir! Ich bin die Mutter des Windes und habe vier Söhne, den Ost-, West-, Süd- und Nordwind. Welcher von diesen hat dir das Mehl weggeblasen?« Da sagte er: »Ich glaube, der Südwind.« Darauf gingen sie tiefer in den Wald und kamen zu einer kleinen Hütte, in welcher die Alte wohnte. Nach einer Weile sprach die Alte zum Bauern: »Wickle dich nur recht ein, denn meine Söhne werden bald kommen.« »Warum soll ich mich denn einwickeln?« »Der Nordwind ist sehr kalt, und du könntest erfrieren.«

Bald fanden sich die Söhne ein, und als der Südwind kam, sagte seine Mutter: »Es ist Klage gegen dich eingelaufen.« Ohne zu antworten gab der Südwind dem Bauern ein[196] Körbchen, welches alle Speisen und Getränke verschaffe, die man sich nur wünsche. Wer war froher als der Bauer? Er ging nach Hause und gab seiner Frau das Körbchen, und diese überzeugte sich gleich von der Güte desselben. Als eines Tages ein vornehmer Herr vorüber fuhr, befahl die Frau ihrem Manne, diesen Herrn zum Essen einzuladen. Das that er, allein der Herr lachte über die Einladung und schickte nur seine Diener hin, welche nicht wenig erstaunt waren, als sie in dieser ärmlichen Hütte einen so herrlich gedeckten Tisch erblickten. Sie bemerkten aber, daß die Frau alles von dem Körbchen forderte und erhielt. Das merkten sie sich, und einige Tage darauf kamen sie wieder, brachten ein ganz ähnliches Körbchen mit und vertauschten es mit dem des Bauern. Als die Frau den nächsten Tag wieder alles von dem Körbchen verlangte, so mußte der arme Mann wieder herhalten; denn sie meinte, das Körbchen verrichte nur eine bestimmte Zeit lang seine Dienste. Der Mann machte sich auf und ging wieder zum Winde. Als er zu der alten Frau, der Mutter des Windes kam, beschwerte er sich über sein Weib. Die Alte sagte ihm, er solle auf ihren Sohn warten, er werde bald kommen. Als der Südwind erschien, fing der Bauer auch bei ihm an über sein Weib zu klagen. Da sprach der Wind: »Du dauerst mich, Alter, daß du so eine böse Frau hast, ich will dir helfen und deine Frau soll dir nichts mehr anthun. Nimm dieses Faß, und wenn du zu Hause bist und deine Frau dir zu nahe kommt, so stelle dich hinter das Faß und sage: Fünf aus dem Faß, prügelt meine Frau! und wenn das geschehen ist, so sage: Fünf wieder in das Faß!« Der Bauer ging heim, und sprach: »Frau, da hast du anstatt des Körbchens ein Faß.« Die Frau wurde böse und sprach: »Was soll ich mit deinem Fasse machen? Warum hast du kein Mehl gebracht?« Bei diesen Worten ergriff sie die Ofengabel. Er aber nicht faul, stellte sich sogleich hinter das Faß und rief: »Fünf aus dem Faß, prügelt meine Frau!« Auf[197] einmal sprangen aus dem Fasse fünf Bursche hervor und thaten ihre Schuldigkeit. Und als der Bauer meinte, daß es genug sei, rief er: »Fünf wieder in das Faß!« Da hörten sie auf und verkrochen sich in's Faß. Von der Zeit an wurde die Frau sanft. Und nun hatte der Bauer Zeit, über sein Körbchen nachzudenken. Er schöpfte Verdacht gegen seine Gäste und vermuthete, daß sie es wohl vertauscht hätten. Er berathschlagte mit seiner Frau, wie sie das Körbchen wieder bekommen könnten, und die Frau sagte: »Da du jetzt ein wunderbares Faß hast, so kannst du nicht nur mit einem Menschen, sondern mit Hunderten fertig werden. Geh zu dem vornehmen Herrn und laß dir dein Körbchen wieder geben.« Der Bauer ging zu dem Herrn und forderte ihn zu einem Zweikampf auf. Dieser aber lachte über die Thorheit des Bauern und erwiederte: »Gut, ich werde erscheinen, komm morgen auf das freie Feld, da wollen wir bald fertig sein.«

Des andern Tags nahm der Bauer sein Fäßchen untern Arm und ging ins Feld, wo er auf den Herrn wartete, welcher in Begleitung seiner Diener sich einfand. Als er näher zu ihm kam, befahl er seinen Dienern den Bauern zum Spaß tüchtig durchzuprügeln. Der Bauer sah, daß man ihn zum besten habe, und im Vertrauen auf sein Fäßchen rief er: »Gebt mir mein Körbchen, sonst wird es euch schlecht gehen!« Da fielen sie über ihn her; der Bauer aber rief: »Fünf auf jeden aus dem Faß!« Sogleich sprangen fünf Bursche auf jeden und fingen an, sie unbarmherzig zu dreschen. Da rief der Herr aus vollem Halse: »Lieber Bauer, laß sie doch aufhören!« Alsdann gebot der Bauer: »He Bursche, geht alle zurück in's Faß!« Da hörten sie auf und verkrochen sich in's Faß. Der Herr befahl sogleich seinen Bedienten, das Körbchen zu holen und zurück zu geben. Und es geschah auf der Stelle. Der Bauer nahm sein Körbchen, ging nach Hause und lebte seit der Zeit mit seiner Frau im besten Frieden.[198]

Quelle:
Vernaleken, Theodor: Kinder- und Hausmärchen dem Volke treu nacherzählt. 3.Auflage, Wien/Leipzig, 1896 (Nachdruck Hildesheim: Olms, 1980), S. 196-199.
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