[273] 58. Sie tanzen nach der Pfeife.

Es lebte einmal ein Ehepaar, welches drei Söhne hatte. Zwei derselben galten für die schönsten Burschen des Ortes; ihrem Bruder, der bucklich war, thaten sie aber allen nur möglichen Schabernack an. Dieser ließ sich anfangs alles gefallen, doch die Brüder trieben es immer ärger, so daß er genöthigt war, das Weite zu suchen.

Der Buckliche ging traurig fort und wanderte den ganzen Tag durch das Gebirge. Gegen Abend war er so matt, daß ihn ein Schwindel befiel, in Folge dessen er am Wege niederfiel. Bei seinem Erwachen sah er ein kleines, zwei Fuß hohes Männchen neben sich stehen, welches im Begriffe war, ihm aus einem Fläschchen eine gelbe Flüssigkeit in den Mund zu gießen. Der Buckliche sah sich weiter um und bemerkte mit Staunen, daß er sich in einer Höhle befand, welche durch ein mattes Licht erleuchtet wurde. Der Zwerg sprach ihn an und fragte, ob er Hunger habe. »O ja«, sagte er, und der Zwerg führte ihn in ein anderes Zimmer, in welchem ein gedeckter Tisch stand. »Von diesen Speisen da«, sagte der Zwerg, »genieße so viel du willst, und wenn du genug gegessen hast, so lege dich in jenes Bett und schlafe, bis ich dich wecke.« Der Buckliche that alles, was der Zwerg befohlen, und bald machte ein fester Schlaf ihn alle Mühseligkeiten vergessen.

Am andern Morgen weckte ihn der Zwerg auf, sie frühstückten und gingen dann aus der Höhle durch einen langen Gang, der nur dann und wann von einer matten Öllampe[273] beleuchtet war. Schon zwei Stunden waren sie gewandert, als sie plötzlich durch eine Thür ins Freie gelangten. Hier reichte der Zwerg dem Bucklichen die Hand und sprach: »Du siehst hier eine dir ganz fremde Gegend, aber mach dir nichts daraus und wandere nur diesen Weg fort. Damit du aber ein Andenken von mir hast, so nimm dieses Pfeifchen, welches bewirkt, daß jeder, der es hört, tanzt und zwar so lange, als du pfeifest.« Der Zwerg verschwand und der Buckliche ging seines Weges fort. Auf demselben begegnete ihm ein Hirt und an diesem wollte er die Kraft seines Pfeifchens gleich versuchen. Er nahm dasselbe in den Mund und pfiff, worauf der Hirt gleich zu tanzen anfing. Selbst die Schafe sprangen freudig im Kreise herum. Darauf gelangte er in einen Wald, wo ihn die Nacht überraschte. Er begab sich daher an einen Hollunderstrauch und wollte sich eben schlafen legen, als er nebenan einen Lärm hörte, der immer stärker wurde. Anfangs war er ängstlich, aber bald schlich er näher. Von einem herabhängenden Aste verdeckt, bemerkte er eine Menge Räuber, die ihren Raub, der aus vielen Goldstücken bestand, gerade zählen wollten. Das blinkende Gold gelüstete ihn und er sann darauf, wie er dasselbe bekommen könnte.

Da fiel ihm sein Pfeifchen ein. Schnell nahm er es zur Hand und blies fest hinein. In demselben Augenblicke erhoben sich die Räuber und tanzten so lange, bis sie zusammenfielen. Da trat der Buckliche hervor, nahm das Geld und lief davon. Nach einigen Stunden ward es lichter und er kam dann in einen Ort, wo die Bewohner ganz traurig zu sein schienen. Er fragte nach der Ursache und erhielt zur Antwort, daß der Gutsherr, der mit den Bewohnern so gut gewesen war, sein Eigenthum verkaufen wolle, um in eine andere Gegend zu ziehen. Der Buckliche ging zu dem Eigenthümer, kaufte ihm sein Gut ab und nun war er Gutsherr. Die Bewohner behandelte er sehr gut, nur liebte er es, sie oft mit seinem Pfeifchen zu plagen.[274]

Da kamen eines Tages zwei Bettler, die ihn um eine Gabe baten. Er sah sie genauer an und erkannte in ihnen seine beiden Brüder. Er gab sich zu erkennen und forderte sie auf, ihm zu erzählen, wie denn das gekommen, daß sie als Bettler herumziehen müßten. Sie erzählten ihm nun, daß bald nach seiner Entfernung im Orte ein Feuer ausgebrochen sei, welches ihnen alle ihre Habe verzehrte. »Die Eltern«, sagten sie, »konnten sich nicht zeitig genug retten und erstickten. Da wir nun nichts mehr hatten, zogen wir weiter und kamen so hierher.« Dann baten sie, er möge ihnen das verzeihen, was sie ihm angethan hätten. Dazu war er gern bereit und behielt sie fortan auf seinem Gute.

Eines Morgens aber sprach er zu seinen Brüdern: »Liebe Brüder, ich habe euch erzählt, wie ich mir das Gut erworben habe. Ich will euch nun eine Freude machen, betrachtet das Gut als euer Eigenthum, ich werde fortziehen, um mir ein anderes zu suchen.« Die Brüder weigerten sich anfangs, doch als er nicht nachgab, ließen sie ihn gehen und wünschten ihm viel Glück auf die Reise.

Er ging fort und war schon einige Monate gewandert, als sich zu ihm ein schön gekleideter Herr gesellte. Sie sprachen von gleichgültigen Dingen, allein bald zeigte der Herr ihm eine Büchse, von der er sagte, daß sie nie leer werde. »Die könnt' ich wohl brauchen«, äußerte der Buckliche. Der Herr versprach sie ihm, wenn er ihm seine Seele verschreiben würde. Darauf ließ sich jedoch der Buckliche nicht ein, weil er die Büchse auf eine leichtere Art bekommen konnte. Er nahm nämlich sein Pfeifchen heraus und pfiff so lange, bis der Teufel zusammenstürzte. Dann nahm er die Büchse, ging damit in eine große Stadt und lebte reich und angesehen noch lange Zeit.[275]

Quelle:
Vernaleken, Theodor: Kinder- und Hausmärchen dem Volke treu nacherzählt. 3.Auflage, Wien/Leipzig, 1896 (Nachdruck Hildesheim: Olms, 1980), S. 273-276.
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