62
Die Teilung der Welt

[249] Als der Große Geist die Flüsse, die Luft und den Wald geschaffen und sie mit allerlei Tieren belebt hatte, beschied er den roten Mann und seinen jüngeren Bruder, den weißen, zu sich in seine Wohnung und zeigte ihnen die vielen Büffel, Bären, Ottern, Biber usw.[249] »Seht«, sagte er, »diese meine Geschöpfe gebe ich euch zum Eigentum; ihr sollt über sie herrschen, und sie sollen euch zur Nahrung dienen.«

Darauf begann er sie zu verteilen. Der rote Mann, den er am meisten liebte, weil er ein munterer, kräftiger und furchtloser Bursche war, erhielt die stärksten und wildesten Tiere: Jaguar, Büffel, Bison und Hirsch, und von Vögeln: Adler, Habicht, Truthahn, Eule usw. Dem weißen Manne wurden das Schaf, das Schwein, die Kuh, die Ente und die Gans zugeteilt, und von den Fischen erhielt er nur die dünnen und leichten, die man bequem mit der Angel herausziehen kann, während die des roten Mannes so dick und lang waren, daß er große Speere brauchte, um sie zu fangen.

Darauf nahm der weiße Mann die ihm zugeteilten Tiere und trieb sie auf eine freundliche Ebene mit fettem Boden und üppigem Gras. Dort zähmte er sie und band Pferde und Ochsen zum Fahren und Pflügen zusammen, aß das Fleisch des trägen Schweins und machte sich aus der Wolle des geduldigen Schafs Kleider.

Der rote Mann wickelte seine Tiere in eine große Decke, die er zufällig bei sich hatte, und legte sich dann schlafen. Nach einigen Tagen erwachte er wieder, doch als er sich nach seinen Tieren umsah, waren sie alle verschwunden. Sie waren während seines Schlafs herausgekrochen und hatten sich in Wald und Feld einen angenehmeren Aufenthaltsort gesucht. Um sie wieder einzufangen, mußte er nun das Geschäft[250] des Jagens betreiben, das ihm so viel Vergnügen machte, daß er es später nie bereute, zu jener Zeit geschlafen zu haben. Auch seine Nachkommen haben ihm deshalb nie einen Vorwurf gemacht.

Quelle:
Knortz, Karl: Märchen und Sagen der Indianer Nordamerikas. München: Verlag Lothar Borowsky, 1979, S. 249-251.
Lizenz:
Kategorien: