[32] 9. Die Affenfrau

Es war einmal ein Mann und eine Frau, die hatten eine Äffin gefangen und aufgezogen. Sie war so zahm und anhänglich geworden, daß die alten Leute sie ruhig allein zu Hause ließen, wenn sie fortgingen. Eines Tages, als sie ausgegangen waren, um Freunde zu besuchen, streifte die Äffin ihre Haut ab, warf sie über einen der Hausbalken und band sich eine Perlenschürze um und anderen Zierat, der im Hause zurückgeblieben war. Darauf machte sie sich an die Kassawa, die sie kochte und aß. Endlich zog sie ihr Fell wieder an.

Als die Hausbewohner zurückkamen, suchten sie die Kassawa und konnten sie nirgends finden. Aber obgleich sie sich sehr darüber wunderten, beargwöhnte niemand die Äffin. Bei der nächsten Gelegenheit, als wieder einmal alle fortgingen, verbarg sich ein junger Mann und blieb zurück, um aufzupassen, damit nicht zum zweitenmal jemand die Kassawa stehle.

Nach einiger Zeit zog die Äffin ihr Fell aus, kleidete sich[32] wie zuvor und fing an, Kassawa zu backen. Da sprang der junge Mann hervor und ergriff sie. Es gab einen harten Kampf. »Nein!« sagte sie, »ich kann nicht deine Frau werden.« »Aber ich habe ein solches Verlangen nach dir,« war die Erwiderung. »Das ist alles recht schön,« sagte sie, »aber du wirst mich doch schlecht behandeln und prügeln.« Als er ihr versicherte, daß er sie niemals schlecht behandeln würde, willigte sie endlich ein, sich seinen Wünschen zu fügen. Da riß er das Affenfell vom Balken herunter und warf es ins Feuer.


9. Die Affenfrau

Sie lebten lange Zeit zusammen, und sie gebar ihm einen Knaben. Danach begannen aber ihre Leiden, denn er war ihrer überdrüssig geworden. Er fing an, sie zu schlagen, »Affe« zu ihr zu sagen und sie in jeder Weise zu quälen. Schließlich wurde es ihr zu viel, und sie sagte zu sich selbst: »Ich kann diese Behandlung nicht länger ertragen. Ich will zurückkehren zu meinen Leuten.« Sie sagte ihrem Manne, sie wolle zum Baden gehen. Statt dessen ging sie aber weit fort in den Wald hinein. Ihr Mann wartete lange, lange auf sie, und endlich machte er sich auf, sie zu suchen. Sie hinkte unterdessen mit einem Stock umher und versuchte, ihre frühere Gangart auf vier Füßen wieder herauszubekommen. Gerade war es ihr geglückt, nach alter Gewohnheit sich von einem Baum zum anderen zu schwingen. Ihr kleiner Knabe fing schon an, die Bewegungen der Mutter nachzuahmen.

Als ihr Mann kam, da sah er sie mit dem Kleinen vom Wipfel eines Baumes zum anderen springen. »Komm nach Hause zurück!« rief er, aber sie hörte nicht auf ihn. Nur der Knabe, dem der Vater leid tat, warf ihm Spinnen und[33] Insekten zum Essen herunter. – Affen können solche Dinge wohl essen, aber sie sind keine Kost für Menschen, und so blieb er hungrig. – »Komm nach Hause zurück!« schrie er von neuem, während er versuchte, ihr unten durch die Büsche zu folgen. Sie sah auf ihn herab und rief ihm zu: »Nein, ich bin genug gestraft gewesen durch dich!«

So setzten sie ihren Lauf fort, der Vater unten auf dem Boden, Mutter und Kind sich in den höchsten Zweigen von Baum zu Baum schwingend. Endlich kamen sie an einen breiten Fluß. Da rief die Äffin ihren Verwandten zu: »Kommt und holt uns!« Und es kam ein starker Wind, der wehte wider die Bäume der gegenüberliegenden Uferseite, daß sie sich weit über den Fluß hinüberneigten und die Bäume der anderen Seite berührten. Da konnte die Mutter mit ihrem Kind hinüberspringen, und als sie drüben waren, schlugen die Bäume und Büsche zurück, wie sie vorher gestanden hatten. Die Äffin rief dem Manne zu: »Du mußt uns nachschwimmen, wenn du uns haben willst!« Und der kleine Knabe, der seinen Vater wirklich gern hatte, rief: »Lebe wohl, ich gehe fort!« Aber die Mutter rief nichts mehr.

Der Mann verließ das Ufer und ging wütend nach Hause. Dort zerstörte er alles, was der Frau gehört hatte. Er zerschnitt ihre Hängematte, zerbrach ihre Kalabassen und zerschlug ihre Töpfe. Was für eine schlechte Laune muß er gehabt haben!

Quelle:
Koch-Grünberg, Theodor (Hg.): Indianermärchen aus Südamerika. Jena: Eugen Diederichs, 1927, S. 32-34.
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