1. Wie die Naturgläubigen sie erzählen

[68] Als Ridjalu 'l Ghahib den Himmel, Sonne, Mond und die Erde erschaffen hatte, beschloß er, nachdem er in geraumer Zeit alle Vorbereitungen getroffen hatte, auch für Lebewesen auf der Erde zu sorgen; so wollte er denn Menschen schaffen.

[68] Er nahm ein wenig Lehm und knetete daraus eine menschliche Gestalt. Darauf rief er einen der von ihm erschaffenen Geister, um der Gestalt Leben zu geben, und setzte ihn in das Haupt des Wesens. Die Lehmform war jedenfalls zu schwer, denn der Geist konnte sie nicht tragen; sie fiel hin und zerschmetterte auf dem Boden in tausend Stücke; und da die Form durch den Geist bereits beseelt gewesen war, so besaß jede Scherbe Leben. Sie verbreiteten sich über die Erde und wurden zu den scheusäligen bösen Geistern, denen die Menschen hernach den Namen Teufel gaben.

Der Schöpfer bedachte sich und merkte, daß er dem von ihm gebildeten Wesen keine Lebenskraft gegeben hatte, die doch nötig war, damit es als ordentlicher Mensch wirken konnte; und so formte er ein neues Gebilde aus Lehm, das war besser als das erste; er gab ihm das Aussehen eines Mannes und die Kraft der Dreieinigkeit, nämlich: das lelembutan und das adji, d.i. das Leben und das Gemüt; die juni und die perwatek, d.i. den Willen und den Charakter; den sukma und den jiwa, d.i. den Geist und die Seele. Als er dem Wesen diese Eigenschaften verliehen hatte, wurde es lebendig, und der Mensch war erschaffen.

Der Schöpfer verfiel nun wieder in Nachdenken und meinte: »So habe ich also den Mann erschaffen, doch vermag er allein nicht die Erde zu bevölkern. Ich will ihm also eine Djodo, eine Gemahlin, geben, damit er sich ihres Besitzes erfreut.«

Und als nun der Schöpfer ein Gebilde schaffen wollte, das zur Frau werden sollte, da merkte er, daß all der Stoff bei der Bildung des ersten mißglückten Wesens aufgebraucht worden war. Doch wußte der Schöpfer sich nach ernstlichem Nachdenken zu helfen und dem Manne eine schöne Gattin zu erschaffen.

Er nahm die Rundung des Mondes, das Winden der Schlange, das Umarmen der Schlingpflanzen, das Zittern des Grases, die Schlankheit der Gerte, den Duft der Blumen, die Leichtigkeit und Beweglichkeit der Blätter, den Blick des Rehs, die Freundlichkeit und Fröhlichkeit des Sonnenstrahls, die Geschwindigkeit[69] des Windes, die Tränen der Wolken, die Zartheit der Flaumfedern, die Schreckhaftigkeit eines Vogels, die Süßigkeit des Honigs, die Eitelkeit des Pfaus, die Schlankheit der Schwalbe, die Schönheit des Demantens und das Girren der Turteltaube. Alle diese Eigenheiten mengte er durcheinander und bildete daraus ein weibliches Wesen, dem er auch die vorhin schon genannten Eigenschaften verlieh. Und als es Leben geworden, da übertraf es alle Schöpfungen an Anmut, Liebreiz und Schönheit. Der Schöpfer gab das Wesen dem Manne zum Weibe, damit nunmehr die Erde bevölkert werde.

Nach einigen Tagen kam der Mann zu Ridjalu 'l Ghahib und sagte:

»Herr, die Frau, die Ihr mir gabt, vergiftet mir das Leben. Sie schwatzt, ohne aufzuhalten, sie nimmt meine ganze Zeit in Anspruch, sie klagt bei den geringsten Anlässen und ist alleweil krank.«

Da nahm der Schöpfer die Frau wieder zu sich, um den Gatten zu schlagen. Schon nach einer Woche kam der Mann wieder und sagte:

»Herr, ich bin einsam, seither Ihr mir die Frau fortnahmt. Sie tanzte und sang bei mir. Ich muß immerfort daran denken, wie lieblich sie mich ansehen und liebkosen konnte, wie schön sie mit mir spielte und bei mir Schutz suchte.«

Da gab der Schöpfer ihm die Frau zurück.

Kaum waren drei Tage vergangen, war der Mann wieder beim Schöpfer, um Klage zu führen.

»Herr,« sagte er, »ich verstehe es einfach nicht; und wenn ich darüber nachdenke, dann fühle ich, daß die Frau mir mehr Ärger als Freude macht. Bitte, befreie mich von ihr.«

Aber der Schöpfer sprach zu ihm:

»Tu nur dein Bestes. Damit du im Einverständnis mit deiner Frau lebst und du sie leiden kannst, soll sie dir gehorsam sein.«

Doch der Mann antwortete hoffnungslos:

»Ich kann nicht mit ihr zusammenleben.«

[70] »Kannst du denn ohne sie leben?« fragte der Schöpfer.

Da ließ der Mann bekümmert das Haupt auf die Brust sinken und sagte:

»Weh' mir! Ich kann nicht mit ihr, aber auch nicht ohne sie leben.«

Quelle:
Hambruch, Paul: Malaiische Märchen aus Madagaskar und Insulinde. Jena: Eugen Diederich, 1922, S. 68-71.
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