34. Keang-Njamo

[121] Es war einmal ein Stück Baumbast, Keang-Njamo, wie es die Leute gern klopfen und zum Kleiden ihrer Blöße verwenden. Das hatten sie auf ein Gestell, nahe dem Feuer, zum Trocknen hingelegt. Es lag dort lange, niemand achtete es, es wurde trocken, es wurde hart. Da dachte es so bei sich: »Eigentlich ist es doch arg, daß ich hier so müßig liegen muß und niemandem nützen kann. Arbeiten oder anderes kann ich nicht. Ich will zum lieben Gott gehen und ihn bitten, ob er nicht aus mir vielleicht einen Menschen machen kann, dann bin ich doch zu etwas nütze und kann arbeiten.« Sogleich führte Keang-Njamo sein Vorhaben aus und ging zum lieben [121] Gott. Als der liebe Gott Keang-Njamo kommen sah, sagte er: »Nun, Keang-Njamo, warum kommst du hierher? Was möchtest du?« – »Ach,« antwortete das Stückchen Baumbast, »ich muß immerfort nutzlos auf einem Gestell herumliegen, ich möchte gern ein Mensch sein, damit ich arbeiten kann.« – »Deine Bitte wird dir erfüllt,« sagte der liebe Gott, »gehe heim!« – Und alsobald wurde aus Keang-Njamo, dem Stückchen Baumbast, Keang-Njamo, der Mensch.

Hoch erfreut kehrte er nach Hause zurück, konnte arbeiten und sich nähren wie die andern Menschen.

Nach und nach merkte Keang-Njamo, daß die dauernde Sorge um seinen Unterhalt und die Arbeit ihn doch rechtschaffen müde machten. So meinte er schließlich: »Auf die Dauer halte ich es mit der Arbeit doch nicht aus; ja, wenn ich reich wäre, dann würde ich wohl zufrieden sein. Ich werde zum lieben Gott gehen.« Sprach's, tat's und ging zum lieben Gott. »Nun, was gibt es denn, Keang-Njamo? Wo fehlt es?« fragte der liebe Gott. »Ach,« erwiderte Keang-Njamo, »du erfülltest mir meine Bitte und machtest mich zum Menschen. Doch nun muß ich arbeiten, das gefällt mir gar nicht mehr; ich kann es nicht länger aushalten und habe gar keine Lust mehr dazu.« – »Was möchtest du denn?« fragte der liebe Gott. »Ich möchte so reich sein, daß ich nicht mehr zu arbeiten brauchte, dann wäre ich zufrieden und glücklich.«

Der liebe Gott erfüllte ihm den Wunsch.

Keang-Njamo wurde reich und immer reicher; er hatte Geld, Überfluß an den schönsten Sachen; viele Menschen standen in seinem Dienste, und viele Sklaven hörten auf seine Befehle. Das befriedigte ihn zunächst; allmählich regte sich jedoch wieder der Neid, und er begehrte neue Dinge. Sein Reichtum öffnete ihm alle Wege, er genoß Ehren, und die Menschen verehrten ihn; aber wie sein Ansehen wuchs, nahm auch sein Stolz zu, er begehrte nach höherem Ansehen und größerer Macht. Solche Gedanken und vielerlei Pläne ließen den Keang-Njamo nicht zur Ruhe und zum Frieden kommen; sie scheuchten ihm den Schlaf von den Augen. Da meinte er, alles würde [122] sich ändern und er erst wahrhaft glücklich sein, wenn er König würde; dann gäbe es niemand, dem er gehorchen müßte, und gäbe es niemand, den er zu beneiden hätte. Gedacht, getan. Er begab sich wieder zum lieben Gott, um ihm seine Wünsche vorzutragen. Der liebe Gott hörte seine Wünsche zum dritten Male geduldig an und erfüllte seine Bitte.

Es dauerte nicht lange, und Keang-Njamo wurde zum König gewählt.

Nun war auch dieser Herzenswunsch in Erfüllung gegangen. Es wuchs sein Reichtum, seine Macht, seine Weisheit; sein Reich breitete sich weiter und weiter aus; überall stand er in hohem Ansehen und genoß vielerlei Ehren. Endlich schien er zufrieden und vollauf glücklich zu sein. Leider schien es nur so. Denn tief im Herzen saß ihm ein Stachel. Es gab noch ein Wesen, das höher und angesehener war als er, nämlich der liebe Gott. Den Gedanken konnte Keang-Njamo nicht vertreiben; er freute sich seines Glücks nicht mehr, und der Neid ließ ihm keine Ruhe bei Tag und bei Nacht. Lange sann er hin und her, was er wohl machen sollte; bis er sich schließlich wieder und zum vierten Male zum lieben Gott aufmachte. Der liebe Gott war ganz verwundert und fragte: »Warum kommst du nochmals, was fehlt dir noch?« Darauf antwortete Keang-Njamo: »Sieh', zuerst war ich ein Stückchen Baumbast, dann machtest du mich zum Menschen, du machtest mich reich und machtest mich endlich zum König. Aber noch immer fehlt mir etwas; ich kann noch nicht zufrieden sein.« – »Was fehlt dir denn?« fragte der liebe Gott. »Ja,« meinte Keang-Njamo, »ich möchte doch werden so wie du, ich möchte der liebe Gott sein, dann wäre ich gleich zufrieden.« Als der liebe Gott diese Worte hören mußte, ergrimmte er im Zorn. Er fluchte dem Keang-Njamo und sprach: »Ursprünglich warst du Baumbast, jetzt werde wieder zu Baumbast!«

Keang-Njamo kehrte nach Hause zurück. Hart und eingetrocknet, als Baumbast lag er wieder auf dem Gestell, nahe dem Feuer, im Rauche.

Quelle:
Hambruch, Paul: Malaiische Märchen aus Madagaskar und Insulinde. Jena: Eugen Diederich, 1922, S. 121-123.
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