Das Buschweibchen.

[132] Das Buschweibchen wohnt im tiefsten Walde und nur alle hundert Jahre läßt es sich einmal sehen.

Ein altes Weib (aus Warnsdorf) wollte es gesehen haben und erzählte Folgendes: Als ich noch eine flinke Dirne war, trieb ich oft des Pfarrers Kühe auf die Weide. Die Weide aber war eine Waldwiese, weit vom Dorfe entfernt. Eines Tages saß ich ganz einsam da; nur die Kühe grasten in meiner Nähe. Ich hatte die Spindel in der Hand und spann und war[132] so ganz in Gedanken versunken. Da raschelte es im Laube und hervor trat ein altes Weib, deren Anblick mich nicht wenig erschreckte. Ich war bald fest überzeugt, es müsse das Buschweibchen sein; denn es sah gerade so aus, wie es mir meine Großmutter beschrieben hatte.

Es war ein steinaltes, tiefgebücktes Mütterchen. Seine Haare waren lang und schneeweiß, und hiengen ihm in wilder Unordnung um den Kopf. In der Hand hielt es einen knotigen Stock; die Schürze hatte es heraufgebunden, als trüge es etwas darin, und auf den Füßen wuchs ihm Moos.

Das Mütterchen wankte heran zu mir und fragte mich: »Mädl, willst mir die Haare ordnen?« – Mich schauderte; trotzdem machte ich mich daran, ihre Haare in Ordnung zu bringen. Aber ihr Kopf war eiskalt und auch meine Hände erstarrten. Mich befiel ein Zittern, ich mußte mich niedersetzen, und sagte: Ich kann nicht mehr! Das Buschweibchen trat vor mich hin und schüttete mir schweigend eine Menge gelber Blätter in den Schoß. Dann wandte sie sich, wankte von dannen, bog um eine Waldecke und war in kurzer Zeit verschwunden.

Ich sprang auf, warf das welke Laub weg, trieb die Kühe zusammen und eilte mit ihnen dem Dorfe zu. Keuchend und zitternd kam ich im Pfarrhofe an und brachte die Kühe in den Stall. Als ich ihnen den Trank reichen wollte, mußte ich mir die Schürze fester binden. Ich löste das Band und – klirr – fiel etwas zu Boden. Ich bückte mich, hob es auf und siehe, es war ein Goldstück. Nun ward mir's klar. Eines jener Laubblätter, die mir das Buschweibchen geschenkt und die ich später weggeschüttet hatte, war vom Schürzenbändchen[133] festgehalten und zum Dukaten geworden. Später erzählte ich dem Pfarrer mein Erlebniß; er schüttelte den Kopf und sprach: Sieh, Mäd'l, du hättest leichtlich dein Glück gegründet! – Nie habe ich das Buschweibchen wiedergesehen.

Die Leute um Warnsdorf im nördlichen Böhmen glauben fest an das Dasein des Buschweibchens. Wenn im Frühlinge und Herbste zerrissenes Nebelgewölk vom Gebirge aufsteigt, wenn »der Wald raucht,« so pflegt man zu sagen: »Das Buschweibchen kocht!« Jene Nebelstreifen werden als der Rauch von seinem Herde bezeichnet.

Wenn im April ein Hagelschauer naht und die Gipfel der Berge verschleiert, so ruft man: »Seht, das Buschweibchen steigt über das Gebirge!« (Vernaleken, S. 242.)

Quelle:
Grohmann, Josef Virgil: Sagen-Buch von Böhmen und Mähren. 1: Sagen aus Böhmen, Prag: Calve, 1863, S. 132-134.
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