Das Wunschfläschchen.

[205] Bevor die Eisenbahnen aufkamen, vermittelten die Reischdorfer Fuhrleute den Handel zwischen Böhmen und den übrigen Ländern. So fuhr auch einmal ein Reischdorfer nach Nürnberg. Eines Tages, da ein großer Sturm und Regen herrschte, geschah es, daß unser Fuhrmann mit seinem Wagen in einen Abgrund fiel, wo Wagen und Pferde zerschmetterten. Er fluchte und jammerte, allein Alles vergebens. Plötzlich fühlte er, daß ihm Jemand auf die Achseln klopfe. Er schaute sich um und sah einen sonderbar gekleideten Mann vor sich, der ihn fragte, weshalb er so jammere. Der Fuhrmann zeigte auf seinen Wagen und erzählte sein Unglück. Da zog der Fremde ein Fläschchen aus der Tasche, in welchem sich ein Ding hin und her bewegte, und sagte zum Fuhrmann, er solle ihm dafür zwei Thaler geben;[205] wenn er das Fläschchen rüttle, und sich dabei etwas wünsche, so werde sein Wunsch augenblicklich in Erfüllung gehen; nur müsse er das Fläschen billiger verkaufen, als er es eingehandelt habe. Der Fuhrmann zahlte voll Freuden das Geld, rüttelte das Fläschchen und wünschte sich das schönste Haus in Nürnberg. Dort lebte er in Hülle und Fülle. Eines Tages aber, als er wiederum im Wirthshaus saß und mit Geld um sich warf, sah er einen schwarz gekleideten Herrn, der ihn ganz seltsam anblickte. Der Fuhrmann gieng auf ihn zu und fragte ihn, warum er ihn so betrachte. Der Fremde antwortete, daß ihm seine Verschwendung auffalle. Ja, sagte der Reischdörfer: Ich hab da ein Fläschchen, damit kann ich mir Alles wünschen, was ich will. Um einen Thaler jedoch will ichs Euch verkaufen. Der Fremde nahm das Fläschchen, sprach einen Spruch darüber, so daß es in tausend Stücke zersprang; das darin befindliche Ding aber ward eine Schlange, die so stank, daß der Bauer in Ohnmacht fiel. Als er erwachte, befand er sich auf der nämlichen Stelle, wo sein Gespann zu Grunde gegangen war. Er gieng nach Nürnberg, um zu sehen, was aus seinen Reichthümern geworden sei. Da sah er auf dem Balkone des Hauses, das ihm gehört hatte, seine eigene Gestalt, die ihm zuwinkte. Er trat ins Haus, allein alle Leute darin waren ihm fremd und die Gestalt war verschwunden. So kehrte er eben so arm nach Hause zurück, als er ausgezogen war. (J. Gundel aus Kommotau.)

Quelle:
Grohmann, Josef Virgil: Sagen-Buch von Böhmen und Mähren. 1: Sagen aus Böhmen, Prag: Calve, 1863, S. 205-206.
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